Eigentlich sehen diese "Dinger" nicht spektakulär aus, ein bisschen wie eine runde Kartoffel, sagt Anna Merkel. Fossiliensammler würden sie wohl aussortieren oder gar nicht beachten – zum Glück hat die Geologin genauer hingeschaut. Denn der Klumpen, den sie in einer Tongrube in der Fränkischen Schweiz gefunden, aufgeschnitten und unter dem Mikroskop angeschaut hat, entpuppte sich als Glendonit: ein Kristall, der aus der Jurazeit stammt – das war vor 150 bis 200 Millionen Jahren – und der kalte Temperaturen benötigte. Eigentlich waren sich Forscher einig, dass es so etwas hier nicht geben dürfte. War alles doch anders als gedacht? Mussten die Dinosaurier in Franken etwa frieren?
"Der Moment, von dem man als Wissenschaftler träumt"
Ein Glendonit sei ein umgebildetes Mineral, sagt Anna Merkel. Das ursprüngliche Mineral heißt Ikait, benannt nach dem Fjord in Grönland, wo es zum ersten Mal gefunden worden war. Der Ikait ist ein wasserhaltiger Kristall, der nur bei niedrigen Temperaturen zwischen -2 und +7 Grad entsteht. Dieser sei aber nicht sehr stabil und wandle sich deshalb bei höheren Temperaturen in einen rautenförmigen und wenige Zentimeter großen Kalzit-Kristall um, den man dann Glendonit nenne, so die Geologin. Franken habe sich vor über 200 Millionen Jahren auf circa 40 Grad Nord befunden, also auf der Höhe, wo heute Italien liegt. Die Temperaturen für Ilkaite, aus denen dann Glendonite entstehen, waren also eigentlich viel zu warm, so Merkel.
Als sie sich für ihre Masterarbeit zum Thema "Warmphasen" in einer Tongrube in der Fränkischen Schweiz auf die Suche nach Anhaltspunkten für klimatische Veränderungen machte, entdeckte sie die unscheinbaren Klumpen. Später stand fest: Es war ein Glendonit. "Das war der Moment von dem man als Wissenschaftler eigentlich immer so träumt. Der Moment, wo man realisiert: Ich hab gerade etwas gefunden, was vor mir wahrscheinlich noch keiner gefunden hat", so Anna Merkel, die Doktorandin am Geozentrum Nordbayern der Universität Erlangen-Nürnberg ist.
Mittlerweile hat die 27-Jährige einen ganzen Berg von Glendoniten gesammelt und diese zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht. Zusammen mit Axel Munnecke, Professor für Paläontologie am Geozentrum Nordbayern, arbeitet sie daran, Modelle zu entwickeln, die diesen Fund erklären können.
Gab es doch Gletscher in Franken?
Franken lag zu Zeiten des Juras ziemlich wahrscheinlich komplett unter Wasser. Im Landkreis Kronach wurden jüngst Spuren des ersten Massensterbens der Erde gefunden. Inseln, auf denen Dinosaurier lebten, gab es zum Beispiel dort, wo heute Böhmen ist, nur rund 60 Kilometer vom Fundort der Glendonite entfernt. Lagen Teile Frankens also doch unter Eis? Mussten die Dinosaurier, die hier lebten, also frieren? Wohl eher nicht, sagt Anna Merkel, dafür gebe es keine Belege, sie vermutet, dass kalte, tiefe Meeresströmungen die Ursache für die Entstehung der Glendonite waren. Dafür hat sie ein "pfiffiges Strömungsmodell" entwickelt, sagt Professor Munnecke. Die Theorie sei, dass das kalte Wasser aus dem Norden von der Arktis kam, die zu diesem Zeitpunkt wohl vereist war und weiter bis in den Süden ins heutige Franken strömte.
Doch ein Strömungsmodell zu entwickeln ist eine große Herausforderung, denn heute sei das Wasser ja komplett weg, so Merkel. Das Einzige, was man noch aus dem Jura habe, seien die ganzen Gesteinsablagerungen. Sie versuche nun anhand der Fossilien und Glendonitefunde zu eruieren, wie die kalten Meeresströmungen verlaufen sein könnten. Auch in Norddeutschland oder in Sibirien gebe es weitere Funde. Außerdem möchte sie europaweit weiter suchen, wo es noch solche kleinen Kristalle zu finden gebe.
Modell muss sich beweisen
Ob die Strömungstheorie der jungen Geologin stimmt? Das werde die Zukunft zeigen, sagt Professor Axel Munnecke. Vieles sei schon sehr aufschlussreich und um weiter forschen zu können, habe man einen Forschungsantrag eingereicht, um die Konstruktionen von Tiefenwasserströmungen voranzutreiben. Es gebe ganz viele spannende Fragen, so Munnecke.
So viel ist klar, Anna Merkel hat mit ihrem Fund bereits die Aufmerksamkeit von internationalen Wissenschaftlern auf sich gezogen und ihre Ergebnisse auf Konferenzen vorgestellt. Dass die Dinosaurier im Wasser gefroren haben, glaubt sie aber nicht, außer, sie seien ganz tief getaucht und mit den kalten Strömungen in Kontakt gekommen. Wie tief genau? Auch das will die Doktorandin vom Geozentrum Nordbayern an der Universität Erlangen-Nürnberg bald herausfinden.
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