Birgit Jauernig würde zu gerne wissen, wem die Bayreuther Haube, die sie gerade für eine Sammlung restaurieren ließ, einmal gehört hat. "Wir wissen nur, dass sie die letzten Jahre in Bad Berneck war", sagt die Trachtenberaterin des Bezirks Oberfranken und blickt bewundernd auf die seltene Kopfbedeckung aus Spitze.
Bayreuther Haube: Berühren nur mit Handschuhen erlaubt
Das Berühren der vielleicht 250 Jahre alten Haube ist nur mit Handschuhen erlaubt. Deshalb lässt Birgit Jauernig den Blick über die Stickereien auf dem zwölf Zentimeter breiten sogenannten Haubenstrich gleiten. "Die Arbeit, die in dieser Haube steckt, lässt sich nicht bemessen", schwärmt sie. Der auffällig ausladende Spitzenrand wurde gestärkt und plissiert, also in Falten gelegt. Zuvor wurden hauchdünne Drähte eingearbeitet, die das Muster in Form halten sollen. Der schirmartige Spitzenrand ist mit Nadeln an einer Unterhaube befestigt, die mit Ajourstickerei, einer Art Weißstickerei, verziert ist. Dieser "Haubenboden" verbarg die Haare der Trägerin und wurde unter dem Dutt fixiert. Unter dem Kinn hatten die Frauen im späten 18. Jahrhundert die Bayreuther Haube mit Spitzenbändern zusammengebunden, damit sie nicht verrutschte. Ein breites Seidenband, im Nacken zur Schleife gebunden, sollte sie zusätzlich schmücken.
Wertvolle Schenkung der Stadt Bad Berneck
Doch wie kam die Trachtenberaterin zu dem wertvollen, alten Schmuckstück? "Ich war gebeten worden, ein paar Textilien aus einer aufgelösten Sammlung in Bad Berneck zu begutachten. Plötzlich hielt ich die Bayreuther Haube in den Händen. Ich konnte es erst nicht glauben", erzählt Birgit Jauernig: "Es war wie das Heben eines Schatzes." Doch von der ursprünglichen Pracht war nicht mehr viel übrig, als die Trachtenberaterin die Haube für die Sammlung des Bezirks als Geschenk von der Stadt Bad Berneck entgegennahm. Vor ihr hatte offenbar niemand den historischen Wert der Spitzenhaube erkannt. "Ich habe mir die Erlaubnis geholt, die Haube restaurieren zu lassen", fährt Jauernig fort. "Dafür kam nur die Textilrestauratorin Sibylle Ruß infrage."
Reinigung mit Pinsel und Vorsicht
"Für mich war diese die erste Bayreuther Haube, die ich in meiner Werkstatt bearbeitet habe", berichtet die Bambergerin. Die Haube war Sibylle Ruß allerdings in einem jämmerlichen Zustand übergeben worden. "Sie war plattgedrückt, das Seidenband eingerissen und vom ursprünglichen Weiß war nichts mehr zu sehen." Ganz vorsichtig bringt Sibylle Ruß die Bayreuther Haube wieder in Form – mit Pinseln streicht sie die Plissees aus, unterlegt das Seidenband mit einer speziellen Folie und reinigt das empfindliche, gestärkte Gewebe des Haubenstrichs und den Haubenboden mit viel Alkohol und ganz wenig Wasser.
"Die Haube muss einmal weiß gewesen sein, aber das bekommen wir nicht mehr hin", bedauert sie. Doch ihre alte Form hat die Haube wieder erhalten und wird künftig sorgsam auf einem speziell zugeschnittenen Styroporgestell aufbewahrt. Birgt Jauernig hat unterdessen im Austausch mit der Restauratorin geforscht, wie, wann von wem diese Hauben getragen wurden.
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Im schönsten Schmuck an den Tisch des Herrn
"Wir wissen heute, dass die Bayreuther Haube bei den Bayreuther Bürgerinnen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis etwa 1810 in Mode war", berichtet die Trachtenberaterin. Der früheste Hinweis stamme aus einer Reisebeschreibung von 1784. "1799 wurde die Haube in der damals europaweit führenden Modezeitschrift, dem "Journal des Luxus und der Moden" erwähnt", so Birgit Jauernig. Von Bayreuth aus habe sich diese Haubenform in den evangelischen Gebieten Ostoberfrankens verbreitet.
"Das wirklich interessante Geschehen ist zu beobachten, als die Hauben in den Städten unmodern wurden und vermutlich zunächst als Secondhand-Ware in unterbürgerliche Schichten und aufs Land wanderten", erklärt Birgit Jauernig. Dort bekam die Bayreuther Haube demnach ein "zweites" Leben. Sie wurde in das traditionelle Kleidungssystem eingegliedert: als Kopfbedeckung für das Abendmahl, für Taufen und für den Kirchgang an den höchsten Festtagen. Gegen 1860 war die Bayreuther Haube "out". Viele Frauen hatten sich bis dahin auch mit ihr bestatten lassen. "Das ist sicherlich einer der Gründe, warum es heute kaum noch erhaltene Exemplare gibt", erklärt die Trachtenexpertin. Mit dem jüngsten Fund sind es vier: Zwei davon bewahrt das Fichtelgebirgsmuseum in Wunsiedel auf, ein weiteres das Bayerische Nationalmuseum in München. Die Sammlung des Bezirks Oberfranken hat nun ihr eigenes Exemplar.
Das Hoffen auf weitere Schätze
Birgit Jauernig hat noch viele Fragen, die sie noch klären möchte: "Gibt es in Oberfranken vergleichbare Ajourstickereien oder handelte es sich um Importe? Stammen die Spitzen eventuell aus den ehemaligen Zentren der Textilherstellung im benachbarten Sachsen? Lassen sich vielleicht noch Porträts aus dem 19. Jahrhundert finden, auf denen erkennbar ist, auf welche Weise die Haube gebunden und mit welcher Kleidung sie kombiniert wurde?". Vielleicht gibt es ja irgendwann wieder einen solchen Sensationsfund auf einem Dachboden oder in einer alten Kiste, den die Trachtenexpertin begutachten darf – und vielleicht stößt sie dabei wieder auf einen Schatz, den sie heben kann.
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