Im niederbayerischen Regen blickt eine Gruppe junger Männer auf einen anrollenden Schützenpanzer vom Typ Puma. Sie sind einer Einladung der Bundeswehr gefolgt und wollen im Rahmen eines mehrtägigen "Camps" herausfinden, ob der Soldatenberuf etwas für sie wäre. Auf dem Programm stehen unter anderem Vorführungen, Vorträge, eine Biwaknacht sowie auch die Mitfahrt im Panzer.
Bildrechte: Kilian Neuwert/BR

Im niederbayerischen Regen blickt eine Gruppe junger Männer auf einen anrollenden Schützenpanzer vom Typ Puma.

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Nachwuchs dringend gesucht: Bundeswehr wirbt um Bewerber

Die Bundeswehr hat Nachwuchssorgen. Das Ziel, die Truppe um gut 20.000 Soldatinnen und Soldaten aufzustocken, wirkt weiter entfernt denn je. In Bayern wirbt die Bundeswehr um Bewerber, etwa mithilfe von Camps.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Eine Gruppe junger Menschen zwischen 17 und Anfang 20 blickt konzentriert auf eine Landkarte. Sie versuchen sich zu orientieren: mithilfe eines Kompasses den weiteren Weg bestimmen. Erst kurz zuvor haben die jungen Männer und Frauen gelernt, mit Karte und Kompass umzugehen. Sie alle tragen die Flecktarnuniform der Bundeswehr. Die Gesichter haben sie sich schwarz-grün geschminkt. Bei einigen hängt der Schlafsack so am Rucksack, dass er leicht abfallen kann.

Turn- oder Wanderschuhe an den Füßen verraten, dass die Uniform nur ausgeliehen ist. Für ein paar Tage – für ein "Camp", mit dem sich das Panzergrenadierbataillon 112 im niederbayerischen Regen potenziellen Bewerbern vorstellen möchte. Die 19-Jährige, die die Gruppe mit der Karte anführt, ist dafür extra aus der Nähe von Dortmund angereist. Für die Erfahrung sei es das wert, sagt die junge Frau. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Während sie die anderen über einen Kiesweg lotst, schildert sie, dass sie den Einblick "interessant" findet. Der Soldatenberuf sei "vielfältig" aufgrund verschiedenster Aufgaben. "Panzergrenadier werden", das treibe sie an.

Die 19-Jährige kommt vorbereitet: Sie kennt Fahrzeugtypen, wie den Schützenpanzer Puma. Militärjargon kommt ihr fast beiläufig über die Lippen, wenn sie erwähnt, dass Panzergrenadiere "auf- und abgegessen kämpfen".

"Realitätscheck" im Bayerischen Wald

Mit derartigem Vorwissen ist sie nicht allein: Unter den 29 Teilnehmern sind sich viele schon recht sicher, dass sie Soldat werden wollen. Die Tage in Regen: Aus ihrer Sicht eine Chance, diesen Wunsch einem "Realitätscheck" zu unterziehen. Ein junger Mann möchte für sich selbst herausfinden, ob er wirklich Panzergrenadier werden möchte oder ob es doch zur Militärpolizei gehen soll – zu den Feldjägern. Es sei ein krisensicherer Job, berichtet er. Er möchte Kameradschaft erleben, viel draußen unterwegs sein und Abwechslung haben.

Ein anderer Teilnehmer ist aus Sachsen angereist. Er hat klare Vorstellungen, möchte in den Sanitätsdienst der Bundeswehr eintreten und dort Notfallsanitäter werden. Panzergrenadier? "Eher nicht, aber trotzdem ist es gut, das aus der Nähe zu sehen." An seiner Fitness werde er arbeiten, verspricht er. Der wenige Kilometer lange Orientierungsmarsch bringt ihn ordentlich ins Schwitzen.

Bewerberzahlen rückläufig

Blickt man auf die jüngsten Zahlen aus dem Verteidigungsministerium, sind derart motivierte Interessenten für die Truppe wohl so etwas wie ein Sechser im Lotto. Auf 203.000 Soldatinnen und Soldatinnen soll sie bis 2031 anwachsen. Aktuell dienen etwa 181.000 Menschen in Uniform in der Bundeswehr (Stand 30. Juni). Vor einem Jahr waren es rund 183.000. Die Bewerberzahlen sanken von Januar bis Ende Mai 2023 deutlich. Im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum 2022 entspricht das einem Rückgang von rund sieben Prozent. Gleichzeitig verzeichnete das Verteidigungsministerium 16 Prozent mehr Beratungsanfragen.

Ukraine-Krieg Grund für Entwicklungen?

Einen möglichen Grund für die Entwicklungen sieht der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes im Krieg in der Ukraine. Der Bundeswehrverband ist die Interessensvertretung der Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilangestellten der Bundeswehr. Oberstleutnant Marcel Bohnert sagte jüngst in einem ARD-Hörfunkinterview, vielleicht sei angesichts des Konflikts und der Bedrohungslage deutlicher, "was es bedeutet, wenn es da tatsächlich mal zu einem heißen Konflikt kommen würde".

Pistorius will Tempo machen

Den Vorwurf, nichts zu tun, können Beobachter der Truppe angesichts unzähliger Werbemaßnahmen kaum machen. Zu diesem Schluss kam Anfang des Monats auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Besuch in einem Karrierecenter der Bundeswehr in Stuttgart. Pistorius mahnte allerdings mehr Tempo im Umgang mit den Bewerbungen an. Kurze Verfahrenszeiten wurden auch von den Teilnehmern einer vor etwa drei Monaten veröffentlichten Studie erwartet. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hatte sie von Mai bis Juli 2022 mit Bewerbern der Bundeswehr durchgeführt.

Die Truppe steht aber nicht nur vor der Herausforderung, neues Personal zu gewinnen. Sie muss auch Personal halten. Immer wieder ist aus Bundeswehrkreisen Kritik am Umgang mit den Soldaten zu hören. Mancher, der gerne bleiben würde, bemängelt etwa fehlende Perspektiven oder fehlende Weitsicht bei der Personalplanung.

Truppe will sich realitätsnah präsentieren

Zurück nach Regen: Hier will sich das Panzergrenadierbataillon so realitätsnah wie möglich präsentieren, so formuliert Oberleutnant Alexander den eigenen Anspruch. Der Offizier marschiert an der Seite der Interessenten über den Übungsplatz, stellt immer wieder Fragen nach deren Befinden. Seinen vollen Namen dürfen wir auf Geheiß der Bundeswehr nicht nennen.

Alexander gibt auch Tipps, was sich gegen Blasen an den Füßen tun lässt. Jede Gruppe wird von erfahrenen Soldaten begleitet. Dem Oberleutnant ist es dabei wichtig, den jungen Menschen zu vermitteln, "dass es kein Computerspiel ist, was wir hier machen; kein Abenteuer". Jedem müsse die Aufgabe der Soldatinnen und Soldaten bewusst sein.

Dreimal pro Jahr findet das Camp statt – und das bereits seit elf Jahren. Es ist eine von Dutzenden, vielleicht auch Hunderten Veranstaltungen, die die Bundeswehr jährlich organisiert, um für sich zu werben. Längst konkurriert sie mit der Wirtschaft um Personal. Verschärft wird die Situation seit dem Aussetzen der Wehrpflicht durch den demografischen Wandel.

Nicht jede Einheit hat Nachwuchssorgen

Nachwuchssorgen habe dabei allerdings nicht jede Einheit, meint der Kommandeur des Regener Panzergrenadierbataillons. Oberstleutnant Falko Dreher sieht seinen Verband in einer begünstigten Situation: Die Truppengattung der Panzergrenadiere stehe in keinem Konkurrenzverhältnis zur Wirtschaft, so Dreher: "Wer Panzergrenadier sein möchte, kann das nur in der Bundeswehr sein." Den Interessenten stattet er am späten Nachmittag einen Besuch ab. Klarer Blick, kräftiger Händedruck. Er will wissen, wie es den Teilnehmern des Camps geht.

Einige stehen um ein Lagerfeuer herum. Sie erholen sich bei einem Schluck Tee vom Marschieren, die Turnschuhe durchweicht vom Regen. Andere nageln Zeltplanen in den nassen Waldboden. Geschlafen wird in dieser Nacht draußen. Über dem Feuer köchelt Eintopf: ein bisschen Biwak-Romantik im Bayerischen Wald.

Einen "ehrlichen Eindruck vom Dienstalltag in der Bundeswehr" sollen die Teilnehmer bekommen, sagt Kommandeur Falko Dreher. Und dabei "mögliche Kameraden erleben". Also aktive Soldatinnen und Soldaten, die "authentisch in Gesprächen aus ihrem Dienstalltag berichten können, ohne dass ein Vorgesetzter danebensteht".

Einblick statt Abbruch

Geht es nach Dreher, ist es immer gut, wenn ein Bewerber vorher zumindest eine Idee hat, worauf er sich einlässt, anstatt später einen Versetzungsantrag zu stellen oder gar abzubrechen. Damit scheint der Offizier ganz auf der Linie des Verteidigungsministers zu sein. Boris Pistorius sagte bei seinem Besuch des Stuttgarter Karrierecenters: "Wir haben beim Heer eine Abbrecherquote von 30 Prozent, das ist bekannt. Das hat viel mit Erwartungshaltung, mit Erwartungsmanagement zu tun, mit vielleicht falschen Vorstellungen, im Einzelfall auch mit Überforderung."

Mitfahren im Panzer

Im Falle der Teilnehmer des Camps in Regen ist die Erwartungshaltung in einem Punkt völlig klar: Die Mitfahrt im Schützenpanzer Puma am Abend werde ein "Highlight", davon sind mehrere junge Männer überzeugt. Als sich später die Einstiegsluke schließt, sind glückliche und erwartungsfrohe Gesichter zu erspähen.

Am Abend sitzt Abiturientin Jessica am Lagerfeuer. Sie will nur ihren Vornamen nennen. Einen Bürojob könne sie "nicht ihr Leben lang machen", da ist sich die 18-Jährige sicher. Sie müsse "etwas machen, wo man mittendrin ist im Geschehen". Die Begeisterung für die Bundeswehr verspüre sie seit Kindertagen. Panzer reizen sie besonders. Jetzt mitzufahren, das sei "ein tolles Gefühl, bevor man die Laufbahn einschlägt".

Verpflichtungszeit: Eine Hürde?

Zwei Jahre lang will sie sich erstmal alles ansehen. Einen Grund, warum sich so wenige junge Menschen ihrer Generation für die Truppe als Arbeitgeber begeistern können, sieht sie in der Scheu, sich für etwas zu verpflichten.

Am nächsten Morgen sitzt sie gemeinsam mit den anderen in Zivilkleidung in einem Unterrichtssaal in der Kaserne. Manchem klebt noch schwarz-grüne Tarnschminke hinter den Ohren. Nach der kurzen Biwak-Nacht draußen bricht der letzte Tag des Camps an. Nachts konnten die Teilnehmer unter anderem noch modernste Nachtsichtgeräte ausprobieren. In Regen haben sie Material herzuzeigen, von dem wohl manche Verbände träumen.

Fünf Bewerber pro Camp

Am Ende der Tage in Regen stehen Karriereberater bereit. Wer will, kann das Gespräch suchen oder sich gleich vor Ort bewerben. Jessica, jetzt im grauen Pulli, die Augen etwas müde unter der Brille, will die Uniform möglichst bald wieder anziehen. Insgesamt haben sich 10 der 29 Teilnehmer für eine Laufbahn bei der Bundeswehr beworben, teilen die Verantwortlichen im Nachgang mit. 17 hätten Interesse an weiterer Beratung.

Über dieses Thema berichtet am 20. August, um 08.05 Uhr die Sendung "Politik und Hintergrund" im Radioprogramm von BR24. Den Politik-und-Hintergrund-Podcast finden Sie zum Beispiel in der ARD-Audiothek. Dort ist auch eine aktuelle Hintergrundsendung zur Situation der Bundeswehr abrufbar: "Einsatzarmee Bundeswehr: Was bleibt nach 30 Jahren Out-of-Area-Missionen?"

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