Die Germania Erlangen im Süddeutschen Kartell ist eine Burschenschaft, in der die Mitglieder sich unverbrüchliche Gemeinschaft bis ans Lebensende schwören. Die Statuten schreiben vor, dass man für Ehrenhaftigkeit, Sittlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Anteilnahme am politischen Leben eintritt. Weiter heißt es: "Jeglicher Standesdünkel, Berufsdünkel und jegliches Klassendenken ist abzulehnen. Die Auffassungen anderer sind zu achten."
Mensur soll "charakterlicher Erziehung" dienen
Die sogenannte Mensur gilt dabei als ein Mittel zur charakterlichen Erziehung der jungen Männer. Unter einer Mensur versteht man den Fechtkampf zwischen zwei männlichen Mitgliedern unterschiedlicher Studentenverbindungen mit Klingenwaffen. Die Germania-Mitglieder fechten also mit Mitgliedern anderer Verbindungen, nach strengem Reglement und genauen Sicherheitsvorschriften, die auch das Tragen besonderer Kleidung einschließen, ein Arzt ist dabei zugegen. "Dies bedeutet nichts anderes, als dass man lernt, sich in einer ungewöhnlichen, physisch und psychisch belastenden Situation zu beherrschen und die Ruhe zu bewahren", heißt es im Internetauftritt der Germania.
Wer vor den Fechthieben nicht weicht, kein Zucken zeigt und die Jury überzeugen kann, gilt als charakterlich gefestigtes Mitglied der – rein männlichen – Burschenschaft. Was sich am 10. Februar aber offenbar in der Universitätsstraße 18 in Erlangen, dem Sitz der Germania, abgespielt hat, scheint mit diesem Ritual nur wenig gemeinsam zu haben.
"Pro-Patria-Suite" statt normaler Mensur in Erlangen
Nach internen Unterlagen der Antifa Freiburg, die dem Rechercheteam von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten vorliegen, hatte die Turnerschaft Munichia Bayreuth im Coburger Convent zu einer dreigliedrigen Fechtfolge in die Hugenottenstadt geladen. Es sollten also drei "Burschen" gegen drei "Turner" antreten. "Hiermit möchte ich Euch herzlich zu unserer PP-Suite mit der B! Germania Erlangen einladen", hieß es im internen Einladungsschreiben.
Nur: Eine gewöhnliche Mensur war ganz offensichtlich nicht geplant, sondern eine PP-Suite. Die Bezeichnung steht für "Pro-Patria-Suite", eine Fechtfolge "für das Vaterland", ausgetragen unter verschärften Bedingungen und mit verminderten Schutzmaßnahmen. Es handelte sich demnach nicht um eine übliche Mensur. Ein solches Duell wird üblicherweise zur Bereinigung von Ehrenhändeln ausgetragen.
Schwerverletzte mit Knochenverletzung und Blutung
Im Laufe des Duells wurden zwei Mitglieder der Munichia Bayreuth so massiv verletzt, dass sie in die Uniklinik Erlangen gebracht werden mussten. Es habe zwei "klinische Abfuhren" gegeben, hieß es danach in der Korrespondenz der Korporationen. Der internen Kommunikation zufolge wurde ein Beteiligter in die Uniklinik eingeliefert, weil ein "Knochenlappen circa 1 Zentimeter tief in die Kalotte eindrang und senkrecht nach oben stand", also der Schädelknochen verletzt wurde. Dieser ließ sich mit "sanfter Gewalt nicht reponieren, ohne ihn abzubrechen", hielt ein Beteiligter fest. Den Verletzten brachten die Burschenschaftler zu Fuß in das nahe gelegene Universitätsklinikum in Erlangen.
Der zweite Verletzte hatte einen "satten sauberen Terz-Treffer mit starker arterieller Blutung an zwei Stellen", berichtet ein Beteiligter. Trotz aller "Tricks der erfahrenen Paukärzte [Anm. d. Red: Bei der Mensur anwesende Ärzte] gelang es nicht, die Blutungsquellen zu eliminieren". Bei einer solchen Verletzung herrsche Lebensgefahr, sagte ein Arzt dem BR/NN-Rechercheteam. Die Burschenschaftler riefen den Rettungswagen, weil der Kreislauf des Mannes immer wieder kippte. "Trotz 1,5 Liter kristallener Infusion", wie ein Beteiligter schrieb. Die Integrierte Leitstelle rief die Polizei, die aufgrund der Verletzungen nun wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Nur dadurch kam der Vorfall ans Licht.
Weder die Turnerschaft Munichia Bayreuth noch die Germania wollten öffentlich zu dem Vorfall Stellung nehmen. "Da der Sachverhalt Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens sein soll, äußern wir uns Ihnen gegenüber nicht", teilte Bertram Koch, Vorsitzender der Burschenschaft Germania, dem Rechercheteam mit.
"Vorsatz der Körperverletzung nicht wegzudiskutieren"
In der Burschenschaftsszene wird die PP-Suite von Erlangen rege diskutiert. In einem internen Forum schrieb ein Burschenschaftler: "Es ist ja auch hanebüchen, mit '3er-Klingen' aufeinander einzudreschen. Sorry, aber da ist der Vorsatz einer erheblichen Körperverletzung nicht mehr hinwegzudiskutieren". Bei diesen "3er-Klingen" handelt es sich um schwerere Klingen, als üblicherweise bei Mensuren eingesetzt werden. Das mache einen "erheblichen Unterschied", weil die Verletzungen, die durch eine schwere Hiebwaffe verursacht werden, gravierender sein könnten, meint einer, der sich mit dem Kampf auskennt.
In Burschenschaftskreisen will man den Vorfall in Erlangen möglichst schnell aus der Öffentlichkeit schaffen. "Die Vorfälle zwischen der Burschenschaft Germania und der Turnerschaft Munichia bergen das Risiko (...), die Dachverbände erheblich zu schädigen", heißt es in einem internen Kommunikationspapier, das die Antifa Freiburg dem BR/NN-Rechercheteam zur Verfügung stellte.
Zudem würde der Vorfall auch zur Verunsicherung von jungen Burschenschaftlern beitragen, da die Verletzungen erheblich waren. Ältere Burschenschaftler sollten daher laut Papier vor allem gegenüber Jüngeren kommunizieren, dass dieser "Unfall passierte, weil die Paukanten 3er-Klingen verwendeten. Wir fechten im Waffenring nicht mit 3er-Klingen". "Waffenring" meint den Zusammenschluss mehrerer schlagender Verbindungen.
BGH untersagte Mensuren zum Austragen von Ehrenhändel
Dass die Burschenschaftler so aufgeregt sind, hat seinen Hintergrund in einem Gerichtsurteil von 1953. Im "Göttinger Mensurprozess" stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass durch Mensuren gefährliche Körperverletzungen entstehen können. Diese seien allerdings nicht strafbar, weil die Kontrahenten dieser einwilligen. Diese Mensuren blieben laut BGH-Urteil aber nur straflos, wenn diese nicht zum Austragen von Ehrenhändeln dienten. Eine PP-Suite wie in Erlangen aber wird üblicherweise zur Bereinigung von solchen Ehrenhändeln ausgetragen.
Für Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth von der Justus-Liebig-Universität Gießen, die selbst über Studentenverbindungen promoviert hat, haben Ehrenstreitigkeiten, wie sie in einer Pro-Patria-Suite ausgetragen werden, nichts mit der Bestimmungs-Mensur zu tun, denen sich die Burschenschaftler quasi als Aufnahmeprüfung für die Korporation unterziehen müssen. Eine PP-Suite bewege sich immer an der "Grenze zur Legalität", sagt Kurth. Eine eindeutige gerichtliche Entscheidung dazu habe es aber in der deutschen Nachkriegsgeschichte bislang nicht gegeben.
Polizei hat Schwierigkeiten, Tathergang zu rekonstruieren
Doch inwieweit die jüngste PP-Suite denn nun tatsächlich ein juristisches Nachspiel haben wird, ist Sache der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Dort werden in den nächsten Tagen die Akten der Erlanger Polizei eintreffen. Gegenstand der Ermittlungen ist und war auch, ob sich Veranstalter beziehungsweise Teilnehmer an das "grobe Regelwerk" gehalten haben, also ob die Beteiligten Kopfbedeckung und Schutzantrug trugen. Das lasse sich nur schwer herausfinden, sagt Christian Daut, der stellvertretende Leiter der Ermittlungsgruppe. Denn die Kooperation der Zeugen habe sich in Grenzen gehalten.
"Die Mitglieder solcher Burschenschaften sind der Polizei gegenüber nicht unbedingt so aussagefreudig, die wollen sich da nicht so in die Karten schauen lassen", sagt Daut. Zwar seien zwischen zehn und 15 Menschen bei dem Vorfall anwesend gewesen, die auch als Zeugen befragt wurden, doch der Tathergang lasse sich eben aufgrund mangelnder Beschreibungen nicht wirklich rekonstruieren, so der Polizeihauptkommissar.
PP-Suite auch bei Burschenschaft Frankonia in Erlangen
Nach BR/NN-Informationen fand eine solche PP-Suite aber nicht nur im Februar bei der Germania in Erlangen statt, sondern am 12. November des vergangenen Jahres auch bei der Burschenschaft Frankonia. Deren Mitglieder duellierten sich demnach mit Burschen der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn.
Ein Burschenschaftler schrieb intern als Fazit zu dieser PP-Suite: "Es hat mich wirklich außerordentlich gefreut, dass insbesondere so viele ältere Herren zur PP am vergangenen Samstag auf dem Frankenhaus erschienen sind. Es war wirklich eine gute Stimmung". Die Erlanger Frankonia wurde vom Bayerischen Verfassungsschutz wegen Rechtsextremismus beobachtet und gehört dem rechten Dachverband "Deutsche Burschenschaft" (DB) an.
Burschenschaften befürchten Ermittlungen
Der Erlanger Grünen-Stadtrat Dominik Sauerer beobachtet die Burschenschaften in der Hugenottenstadt schon seit Langem. Auch er hat von der PP-Suite bei der Frankonia Kenntnis erlangt: "Bei dieser Veranstaltung war auch mindestens ein Mitglied des Landesvorstands der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" mit Bezügen zur rechtsextremen Identitären Bewegung eingeladen", sagt Sauerer. Bei dieser Veranstaltung ist laut BR/NN-Informationen aber niemand schwer verletzt worden.
Die Burschenschaftler sehen derzeit mit Bangen den Ermittlungsergebnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft entgegen. Sie befürchten, dass sich die Einschätzung zur Rechtslage von Mensuren grundlegend ändern könnte. "Die Meinungen haben sich seit den 50-er Jahren verändert", schreibt einer in einem internen Chat.
Der Artikel war Stand 3. März 2023 und wurde am 10. Dezember2024 aktualisiert. Das Ermittlungsverfahren wurde zwischenzeitlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Überschrift und Teaser-Text des Artikels wurden daraufhin angepasst.
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