Fragt man Bayerns Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann, was ihm als Erstes zu Claudia Roth einfällt, sagt er sofort: "Die Umarmungen. Natürlich in Nicht-Corona-Zeiten." Auch wenn Hartmann die Fraktion im Landtag leitet, dem Roth nie angehörte, kennt er seine Parteifreundin schon seit bald 25 Jahren. Er schätzt, nur halb im Scherz, dass die langjährige Bundesvorsitzende der Partei über die Jahre jedes einzelne Mitglied drei- oder viermal umarmt hat. Man dürfe sich eine Claudia-Roth-Umarmung auch nicht als "Pseudo-Umarmung" vorstellen, betont Hartmann. "Sondern sie drückt einen so richtig an sich, als wäre man Teil ihrer Familie."
Womit man schon am Kern angekommen sein dürfte. Für Roth, mittlerweile 66 Jahre alt, sind die Grünen nämlich genau das: Familie. Gut 20 Jahre Abgeordnete im Bundestag, rund zehn Jahre Bundesvorsitzende der Partei bis 2013, Menschenrechtsbeauftragte der Regierung von Gerhard Schröder (SPD), davor viele Jahre im Europaparlament - Roths Vita ist eng verbunden mit ihrer Partei. Nun kandidiert sie erneut als bayerische Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Seit nunmehr fast acht Jahren ist die Grünen-Politikerin, die in der Nähe von Memmingen aufgewachsen ist und ihren Wahlkreis in Augsburg hat, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestags.
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Roth: "Wenn so eine wie ich..."
Spricht Roth selbst über diese Aufgabe, hört man auch ein gewisses Erstaunen. Vergangenen Herbst sagte sie im BR Fernsehen: "Wenn so eine wie ich Vize-Präsidentin im Deutschen Bundestag sein darf und die deutsche Demokratie nach draußen repräsentieren darf, dann zeigt sich doch, dass sich dieses Land sehr verändert hat." Was sie damit unter anderem meint, erläuterte Roth an anderer Stelle, als es um ihre Kindheit und Jugend im konservativ geprägten Bayern geht: "Es hat lange gedauert, bis Bayern auch Heimat geworden ist von denen, die nicht bei der CSU sind."
Mit der CSU hadert Roth in vielen Punkten, besonders in Sachen Flüchtlingspolitik. Gleichzeitig ist ihre Freundschaft mit CSU-Politiker Günther Beckstein fast schon legendär. "Alle Meinungen, die Claudia vertritt, halte ich für falsch", sagte Beckstein mal in einem gemeinsamen Interview. Roth erwiderte: "Geht mir genauso mit dir!" Und ergänzte: "Der Günther bleibt sich treu, das schätze ich."
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Kämpferin für ihre Überzeugungen
Ausgleichen, verbinden, offen sein - das nennt auch Bayerns Grünen-Fraktionschef Hartmann als Roths große Stärke. "Als Bundesvorsitzende ab 2004 hat sie immer einen Weg gefunden, die Partei zusammenzuhalten - also Fundis und Realos zu verbinden. Und auf Bundesebene waren das ja Zeiten, als es nicht so ruhig gelaufen ist wie in den vergangenen Jahren." Er habe auch noch nie erlebt, dass Roth irgendwo nachtrete, betont Hartmann. Gleichzeitig kämpfe sie für ihre Überzeugungen - für die Rechte von Schwulen und Lesben, für eine multikulturelle Gesellschaft, für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Allerdings kennt auch Roth innerparteiliches Scheitern. Bei der Urwahl zur bundesweiten Spitzenkandidatin 2013 landete sie hinter Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt und Renate Künast. "Diese Niederlage hat sie hart getroffen und auch gekränkt", sagt Hartmann im Rückblick. "Das hat vielleicht auch gezeigt, dass die Parteibasis ihr trotz aller Stärken die deutschlandweite Spitzenkandidatur nicht zugetraut hat." Allzu erfolgreich verlief die Wahl 2013 freilich auch mit den Spitzenkandidaten Trittin und Göring-Eckardt nicht - was auch Roth Konsequenzen ziehen ließ. Nach dem Ergebnis von 8,4 Prozent trat sie als Parteivorsitzende nicht mehr an.
Hass und Hetze: "Bin ja eigentlich eine Nette"
Damals verabschiedete sich ein Unikat aus der ersten Reihe: Roth fällt auf im politischen Betrieb, wegen ihrer Art, ihrer Emotionalität, ihrer demonstrativ bunten Kleidung. Bekannt wurde sie einst als Managerin der Band "Ton, Steine, Scherben". Seit Langem polarisiert die 66-Jährige wie wenige andere Politikerinnen und Politiker - in den Kommentarspalten des Internets findet man kübelweise Beschimpfungen, darunter auch regelmäßig Fälle für die Staatsanwaltschaft. Wofür man Roth vor allem bewundern müsse, betont Hartmann, sei ihr Umgang mit derlei Hetze. "Es ist schon verdammt viel Hass und Wut unterwegs", sagte Roth selbst dazu vergangenen Herbst im BR. "Und ich weiß gar nicht warum - ich bin ja eigentlich eine Nette."
Viele Politiker, auch aus anderen Parteien, halten ihre Standfestigkeit gegen den Hass für bewundernswert. "Claudia stand immer dafür, was sie war", sagt Hartmann, das könne man mögen oder nicht. "Aber ich glaube, dass bei uns Grünen auch dank ihr viele Frauen längst sehr selbstbewusst auftreten." Ob zu Roths bisherigen Stationen weitere dazukommen, sofern die Grünen Teil der kommenden Bundesregierung sein sollten? Durchaus möglich, sagt Hartmann. "Ihre bisherigen Rollen hat sie allesamt sehr gut ausgefüllt - oder ist hineingewachsen. Eine Finanzministerin wäre sie sicher nicht, aber als Sozialministerin kann ich sie mir zum Beispiel gut vorstellen."
Die anderen bayerischen Spitzenkandidatin im Porträt
- Alexander Dobrindt (CSU)
- Uli Grötsch (SPD)
- Peter Boehringer (AfD)
- Daniel Föst (FDP)
- Nicole Gohlke (Die Linke)
- Hubert Aiwanger (Freie Wähler)
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