Eine hornlose Fleckviehkuh im Stall.
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Eine hornlose Fleckviehkuh im Stall. Fleckviehkühe sind weiß-braun. Gedeckt oder gescheckt. Fleckvieh ist die häufigste Rasse in Bayern.

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Darum werden Kühen die Hörner weggezüchtet

Kühe mit Hörnern bergen größere Verletzungsgefahr für Mensch und Tier. Deshalb wollen viele Landwirte lieber hornlose Tiere im Stall – durch frühes Enthornen oder entsprechende Zucht. Wie weit diese Zucht ist und welche Nebenwirkungen sie hat.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Bei Rinderrassen wie Angus oder Galloway ist die genetische Hornlosigkeit schon lange fest verankert. Fleckvieh, die häufigste Rinderrasse in Bayern, hat aber eigentlich Hörner. Doch immer mehr Fleckviehrinder sind "oben ohne". Der Grund: Wenn Kühe Hörner tragen, brauchen sie mehr Platz im Stall. Außerdem besteht in Laufställen eine größere Verletzungsgefahr für Artgenossen und Menschen.

So erzählt Tierarzt Michael Schmaußer aus Freising, dass er schon mal einer Kuh ein Auge wegoperieren musste, weil eine andere Kuh mit ihrem Horn hineingestoßen hatte. Manche Kühe hauen sich mit den Hörnern auch ins Euter. Die Folge: schwere Verletzungen oder Blut in der Milch.

Zwei Möglichkeiten: Enthornen oder genetische Hornlosigkeit

Landwirtinnen und Landwirte, die sich für eine hornlose Herde entscheiden, haben zwei Möglichkeiten: Kälber "enthornen" oder auf genetische Hornlosigkeit setzen.

Beim Enthornen werden den Kälbern - unter Gabe von Schmerz- und Beruhigungsmittel - kurz nach der Geburt die Hornknospen mit einem 600 Grad heißen Brennstab verödet, damit ihnen gar nicht erst Hörner wachsen. Dieses Veröden der Hornknospen ist schmerzhaft und deshalb umstritten. Außerdem kostet es den Landwirt Geld – in Zukunft sogar noch mehr. Denn im neuen Tierschutzgesetz steht, dass Enthornen künftig nur noch mit Lokalanästhesie erlaubt ist, diese darf nur ein Tierarzt setzen. Somit können Landwirtinnen und Landwirte nicht mehr – wie bisher – selbst enthornen.

Um das Enthornen zu vermeiden, setzen viele Landwirtinnen und Landwirte inzwischen auf sogenannte "genetische Hornlosigkeit". Seit gut 30 Jahren wird in Bayern bei Fleckvieh-Milchkühen in diese Richtung gezüchtet. Diesen Tieren wachsen dann von Natur aus keine Hörner mehr.

Zucht auf Hornlosigkeit dauert – sonst: Inzuchtgefahr

Derzeit sind laut Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) nur 16 Prozent aller Milchkühe in Bayern natürlich ohne Hörner. Nur mit diesem kleinen, hornlosen Stamm weiterzuzüchten wäre gefährlich, denn das könnte zur Inzucht führen. Das Ziel ist klar: in noch mehr gute, behornte Rinderlinien das Hornlos-Gen hineinzüchten. Doch das dauert. Denn obwohl das Hornlos-Gen dominant vererbt wird, setzen sich – nach den Mendelschen Vererbungsregeln - ab und zu doch wieder Hörner durch.

Nicht alle Nachkommen von hornlosen Tieren sind auch hornlos

Noch ist die Hornlos-Zucht also noch nicht so weit, dass alle Nachkommen von hornlosen Tieren auch keine Hörner haben. So kann es immer noch vorkommen, dass enthornt werden muss, obwohl auf genetisch hornlose Tiere gesetzt wird.

Hat die Zucht auf Hornlosigkeit "Nebenwirkungen"?

Reinerbig hornlose Rinder haben oft eine spitzere Kopfform. Manche haben sogar zwei typische Flecken auf der Stirn – ungefähr an der Stelle, an der sonst die Hörner wären. Manche haben eine doppelte Wimpernreihe oder sogenannte Wackelhörner. Die sind klein, weich und nicht mit dem Stirnbein verbunden. Kurz: alles optische Nebensächlichkeiten.

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Reinerbig hornlose Fleckvieh-Kuh mit spitzem Kopf und Flecken auf der Stirn

Benjamin Köhnlein ist Bulleneinkäufer und erklärt: "Die Kühe, die dann von Natur aus keine Hörner mehr haben, sind ja nicht genmanipuliert, sondern das ist auf natürlichem Wege so gezüchtet, so wie man auch auf Milchleistung züchten kann. Die Tiere sind das gewohnt, dass sie keine Hörner haben. Es ist rein der Sicherheitsaspekt für Mensch und Tier. Und die Landwirte ersparen sich Arbeit – dadurch, dass das Enthornen wegfällt."

Hornlose Tiere in Deutschland sehr begehrt

In den letzten Jahren sei die Hornlos-Zucht extrem auf dem Vormarsch, erklärt Bulleneinkäufer Köhnlein. Natürlich zähle in erster Linie, ob ein Zuchtbulle gute Anlagen wie hohe Milchleistung, Gesundheit oder guten Fleischansatz vererbt. Aber vererbt ein Bulle dann auch noch Hornlosigkeit, sei er besonders begehrt bei den Besamungsstationen.

Köhnlein hat mit "Witness" Bayerns teuersten Bullen ersteigert. Kosten: 206.000 Euro. Noch nie zuvor hat eine bayerische Besamungsstation so viel Geld für einen Fleckvieh-Jungstier ausgegeben. Der Grund für den guten Preis: Der hornlose Bulle stammt aus einer seltenen Blutlinie. Somit besteht wenig Inzuchtgefahr. Mit guter Milchleistung, Gesundheit und gutem Fleischansatz gebe es insgesamt ein optimales Komplettpaket, erklärt Köhnlein. Beim Fleckviehzuchtverein "Rivergen" aus Schwaben seien inzwischen zwei Drittel aller Bullen natürlich hornlos.

Erst vor rund zwei Wochen wurde in der Oberpfalz der mischerbrig hornlose Bulle Medeon zu einem Rekordpreis versteigert. Die Besamungsstation Bayern Genetik ersteigerte ihn für 153.000 Euro am Zuchtviehmarkt in Schwandorf von Züchterfamilie Pilz aus Schwandorf.

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Rekordbulle Witness am Versteigerungstag im Februar mit Züchterin Christiane Böhm aus Aufseß und Benjamin Köhnlein, Bulleneinkäufer von Rivergen.

Gleichheit im Stall: Behornte und unbehornte Tiere nicht mischen

Bei vielen Landwirten stellt sich die Frage "Mit Horn oder ohne Horn?" aber gar nicht. Denn oft übernehmen sie von den Eltern eine Herde, diese Tiere haben dann entweder Hörner oder keine. Behornte und unbehornte Tiere zu mischen, sollte vermieden werden.

So findet Tierarzt Michael Schmaußer, dass unter den Tieren "Waffengleichheit" herrschen sollte. Das heißt: In einem Stall sollten entweder alle oder kein Tier Hörner haben. Auf Almen oder bei Weidehaltung können sich Rinder zwar aus dem Weg gehen, doch die meisten Tiere sind dauerhaft – oder zumindest im Winter – im Stall. Behornte und hornlose Tiere in Laufställen zu mischen, bringe Unruhe in die Herde, so Schmaußer. Bei Rangkämpfen sollten die Tiere gleiche "Mittel" haben, um sich zu verteidigen.

Bioverbände: Hornlose Tiere als Kompromiss – statt Enthornen

Auch Bioverbände empfehlen ihren Landwirtinnen und Landwirten auf genetisch hornlose Tiere zu setzen – statt zu enthornen. Idealerweise sollte zwar die ökologische Milchviehhaltung in Stallsystemen erfolgen, die für behornte Kühe geeignet sind – also in großzügig bemessenen Laufställen, in denen die Tiere einander ungehindert ausweichen können. Doch nur wenige Betriebe haben derart großzügige Ställe. Das Halten hornloser Tiere ist daher für viele Öko-Betriebe ein notwendiger Kompromiss, heißt es auf dem Informationsportal Ökolandbau.

Hornkühe nur bei Demeter

Nur der Bioverband Demeter schreibt seinen Mitgliedern vor, dass die Tiere Hörner tragen müssen. Er verbietet als einziger Bioverband das Enthornen von Kälbern. Auch eine Zucht auf genetische Hornlosigkeit sei ausgeschlossen, heißt es auf der Demeter-Internetseite. Da sich die Hornlos-Zucht immer mehr durchsetzt, seien Kühe mit Hörnern mittlerweile vom Aussterben bedroht, erklärt Demeter.

"Hörner sind ein eigenes Organ bei den Rindern. Die sind ganz intensiv durchblutet. Am Horn kann man auch wahrnehmen, wann ein Tier erkrankt. Also wenn das Horn kühl wird oder kalt wird, dann merkt man am Horn, dass das Tier nicht mehr gesund ist", erklärt Demeter-Berater Ulrich Mück.

Seiner Ansicht nach sind Hörner für eine Kuh eminent wichtig. Sie geben auch Aufschluss über die Rangstellung in der Herde. Doch der Demeter-Berater gibt auch zu bedenken: "Die Verletzungsgefahr insgesamt durch die Hörnerkühe ist höher als bei Hornlosen, das ist so. Damit muss man sich beschäftigen als Halter von horntragenden Kühen. Deswegen braucht die Haltung von Horntragenden auch mehr Aufmerksamkeit als die Haltung von Hornlosen."

Da auch die Ställe größer sein müssen, haben Landwirte mit Hornkühen höhere Kosten. Ein Grund von vielen, warum Demeter-Milch vergleichsweise hochpreisig ist. Verbraucherinnen und Verbraucher können durch den Kauf ihrer Produkte mitentscheiden, ob sie Kühe mit oder ohne Hörner wollen. Im Einkaufsverhalten spiegelt sich jedoch keine große Nachfrage nach Milch von Hornkühen wider. Der Anteil der Demeter-Milch im Freistaat liegt im einstelligen Bereich, verglichen mit der gesamten Milcherzeugung in Bayern.

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