"Wir dürfen nicht wieder in die Fehler der 70er und 80er Jahre zurückfallen, wo man alles versiegelt und zugemacht hat", mahnt Matthias Rühl. Der Raumplaner aus Neustadt an der Aisch hat schon viele dieser Fehler rückgängig gemacht – das heißt, er hat Flächen entsiegelt. "In einer mittelfränkischen Gemeinde waren zum Beispiel viele Pinselfabriken vorhanden, die gibt es nicht mehr", erzählt Rühl. Die Restgebäude stünden aber noch da – nicht selten baufällig.
Diese Fläche wird dann entsiegelt: "Das heißt, es werden die Gebäude abgebrochen, der Beton, die Pflasterungen, alles Mögliche wird beseitigt." Es reiche aber nicht aus, nur die Oberfläche zu bearbeiten. "Man muss auch an die Verschattung und Verdunstung denken." Dazu werden Bäume und Sträucher gepflanzt. Rühl sagt: "Wenn wir nicht jetzt die Bäume pflanzen wollen, die in 30 Jahren Schatten geben sollen, wann dann?"
Entsiegelung in Bayerns Kommunen
Damit möglichst viele Gemeinden in Bayern ihre versiegelten Flächen vom Beton befreien, hat die Bayerische Staatsregierung das Förderprogramm "Flächenentsiegelung" ins Leben gerufen, das seit 2018 umgesetzt wird. 78 Gesamtmaßnahmen hätten bisher Finanzhilfen aus der Förderinitiative erhalten, teilt das Bayerische Bauministerium auf BR24-Anfrage mit.
Mit dem Programm können Gemeinden als Zwischeneigentümer Flächen ankaufen, darauf Gebäude abreißen und die neue Nutzung des Areals planen. Im Anschluss kann das Gelände an Privateigentümer verkauft werden – mit einem Vertrag, der eine erneute Versiegelung verbietet.
35,3 Millionen Euro habe der Freistaat dafür zur Verfügung gestellt, erklärt das Bauministerium. Aber nur rund drei Viertel der Gelder wurden auch genutzt. Rühl erklärt sich das damit, dass die Prozesse lange dauern: "Wenn ein Grundstück mehrere Eigentümer hat, die noch dazu vielleicht im Ausland leben, kann es Jahre dauern, bis man einen Konsens gefunden hat." Insgesamt bewertet der Raumplaner das Förderprogramm aber positiv: "Das ist insofern sehr schick, weil die Gemeinden nach unten hin abgesichert sind." Wenn bei der Erschließung ein Verlust entsteht, erhalten die Gemeinden 60 Prozent Förderung, unter gewissen Voraussetzungen sogar 90 Prozent.
Kann alles wieder so werden, wie es war?
Doch kann sich der Boden überhaupt wieder regenerieren? Gänzlich wiederherstellen kann man ihn nicht, betont Geoökologin Ingrid Kögel-Knabner von der Technischen Universität München: "Den fruchtbaren, landwirtschaftlich nutzbaren Boden bekommen wir nicht so einfach wieder." Denn der Oberboden wurde zur Versiegelung abgetragen. Dieser müsste nun langsam wieder aufgebaut werden. Sehr langsam, um genau zu sein: "Unsere Böden sind nach der letzten Eiszeit entstanden. Was wir jetzt haben, ist in etwa 12.000 Jahre alt. Und das kriegen wir nicht in zehn Jahren wieder."
Dennoch: Laut Ingrid Kögel-Knabner kann die Entsiegelung in Städten eine Chance sein, den Boden wieder als Speichermedium für Wasser zu nutzen. Damit kann die Umgebung gekühlt werden. Gerade in Städten müsse deshalb die "doppelte Innenentwicklung" geschehen, erklärt Raumplaner Rühl. Dabei wird zum einen dringend benötigter Wohnraum geschaffen, zum anderen werden die angesichts steigender Temperaturen notwendigen kühlenden Grünflächen in der Stadt erhalten. Rühl räumt ein: "Das ist freilich ein Zielkonflikt, aber das muss man halt lösen." Beispielsweise, indem Gebäude verstärkt in die Höhe gebaut werden. Dann können im Erdgeschoss ein Spielplatz gebaut oder Bäume gepflanzt werden.
Die Ökologin plädiert deshalb dafür, neue Bauvorhaben stärker zu hinterfragen: Braucht es wirklich einen weiteren Ausbau der Verkehrsflächen? Müssen neue, meist einstöckige und breite Gewerbegebiete neu entstehen? Die Priorität müsse dahin gehen, in den Orten Grünflächen zu haben, die das Wasser aufsaugen können, und nicht an den Rändern weit in die Landschaft auszufransen – vor allem in den kleineren Kommunen. Auch Raumplaner Matthias Rühl sagt: "Deutschland ist fertiggebaut." Die Entsiegelung in den Städten werde nur ein kleiner Baustein von vielen Dingen sein, die zu tun sind, um die Städte fit für den Klimawandel zu machen. "Aber wir müssen es machen", sagt er.
Video: Sendung "Jetzt red i" vom 21.6.
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