Lisbeth Herer (rechts) und ihre Familie
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Lisbeth Herer (rechts) und ihre Familie

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Erfassung jüdischer Grabmäler: Familie auf Spurensuche

Lisbeth Herer aus den USA sucht nach den Wurzeln ihrer Familie. Auf dem jüdischen Friedhof in Bechhofen wird sie fündig. Durch ein Projekt des Landesamts für Denkmalpflege ist die emotionale Spurensuche jüdischer Familien auch in Zukunft möglich.

Über dieses Thema berichtet: Das Feiertags-Feuilleton am .

"Incredible" – "unglaublich" ist das erste Wort, das Lisbeth Herer im mittelfränkischen Bechhofen am Grab ihrer Ur-Ur-Großeltern Adelheid und Samuel Schloss über die Lippen kommt. Herer lebt in Washington D.C. und ist zusammen mit ihrem Vater Gil, ihrer Nichte Lilly, ihrer Schwester Karen sowie deren Mann Alberto nach Deutschland gekommen, um nach den deutschen Wurzeln ihrer Familie zu suchen. "Wir kennen nur einen kleinen Teil unserer Familiengeschichte, weil unsere Mutter Deutschland verlassen musste, als sie sehr klein war", erzählt Lisbeth Herer auf dem alten jüdischen Friedhof in Bechhofen. Die Herers berühren die Grabsteine und legen – nach jüdischer Tradition – Steine am Grab ab.

Familie musste 1939 aus Deutschland fliehen

Lisbeth Herers Großvater, Max Schloss, ist in Ingolstadt aufgewachsen. In den 1920er Jahren zieht er nach Berlin und wird Arzt. Doch gute zehn Jahre später ist ein Leben in Deutschland für die jüdische Familie unmöglich geworden. Im Januar 1939 schafft es Max Schloss in letzter Minute zu fliehen. Zusammen mit seiner Frau und seiner sechsjährigen Tochter, Lisbeths Mutter, kommt er mit einem Dampfschiff aus Hamburg in Kuba an. Wenige Monate später lässt sich die kleine Familie in den USA nieder.

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Lisbeth Herer (rechts) und ihre Schwester Karen Belt berühren den Grabstein ihres Ur-Ur-Großvaters Samuel Schloss in Bechhofen.

Ehrenamtliche dokumentieren Grabstätten

Dass Lisbeth Herer und ihre Angehörigen die Gräber ihrer Vorfahren überhaupt finden, verdanken sie der Bechhofener Heimatpflegerin Claudia Dommel. Sie und einige Mitstreiter haben in jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit den Friedhof aus seinem Dornröschenschlaf geweckt: Das weitläufige Gelände vermessen, die Grabsteine fotografiert und die hebräischen Inschriften abgeschrieben. Seit drei Jahren passiert diese wichtige Dokumentation bayernweit und systematisiert durch das Landesamt für Denkmalpflege.

Erfassung aller jüdischen Friedhöfe ist Mammutaufgabe

In Bayern gibt es 124 historische jüdische Friedhöfe mit etwa 80.000 Gräbern. Jedes einzelne Grab soll dokumentiert werden – eine Mammutaufgabe. Die Denkmalschützer greifen auf die bereits geleistete Arbeit der Ehrenamtlichen zurück und bauen darauf auf. Jeder jüdische Grabstein in Bayern bekommt im Zuge des Projekts eine unverwechselbare Nummer, die sogenannte Grabstein-ID. Darunter werden nach Angaben von Projektleiterin Susanne Klemm alle Informationen abgespeichert: aktuelle und historische Fotografien, Grabstein-Inschriften, biografische Daten der Familie.

Die jüdische Geschichte in Bayern werde dadurch einen immensen Aufschwung erleben, ist sich Projektleiterin Klemm sicher, weil neue Zusammenhänge sichtbar würden. Bis zum Abschluss des Projekts wird es Jahre dauern. Die bisherigen Ergebnisse können sich Interessierte unter www.bet-olam-bayern.de ansehen.

Familiengeschichte ist nicht verloren

Zurück auf dem alten jüdischen Friedhof in Bechhofen. Lisbeth Herer ist nach dem Besuch am Grab ihrer Ur-Ur-Großeltern Adelheid und Samuel Schloss tief beeindruckt. "Ich fühle mich mit der Schloss-Familie jetzt viel mehr verbunden", sagt sie, und weiter: "Ich glaube, Juden denken oft, ihre Familiengeschichte ist verloren, weil alles so abrupt abgebrochen ist. Aber ich habe jetzt gemerkt, es ist alles noch da."

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