Eine Frau räumt Medizinprodukte in einen Schrank.
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Mangel Medizinprodukte

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EU-Verordnung: Immer mehr Medizinprodukte verschwinden

EU-Verordnung: Immer mehr Medizinprodukte verschwinden

Seit 2017 steht die EU-Medizinprodukteverordnung in der Kritik. Sie schreibt vor, dass medizinische Hilfsmittel, vom Skalpell bis zum Katheter, neu zertifiziert werden müssen. Die Auswirkung in Kliniken: Manche Produkte sind nicht mehr lieferbar.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Eigentlich sollte die EU-Zulassungsverordnung mehr Sicherheit für Patienten bringen. Doch es zeigt sich, dass dadurch zunehmend Produkte aus Kliniken verschwinden, weil sie für den europäischen Markt nicht mehr hergestellt werden. Die Überprüfung ist so aufwendig und teuer, dass die Hersteller lieber für den außereuropäischen Markt produzieren. Bayerns Kliniken spüren die ersten Auswirkungen davon.

500.000 Medizinprodukte in der Prüfung

Der Skandal um minderwertige Brustimplantate war der Auslöser für die EU zu handeln. Vor mehr als zehn Jahren wurden schadhafte Implantate bei Frauen eingesetzt, die aus billigem Industriesilikon hergestellt wurden. Es kam zu schweren Entzündungen. Daraufhin verschärfte die EU die Zertifizierung von Medizinprodukten. Die Konsequenz: Alle rund 500.000 Medizinprodukte in Deutschland müssen nun neu zertifiziert werden, vom Schwangerschaftstest, Klemme, Pinzetten bis zum Beatmungsgerät und der Software. Und das auch, wenn sie schon jahrelang auf dem Markt sind.

Diese Zertifizierung sei jedoch so aufwendig und teuer, dass viele Hersteller Medizinprodukte zunehmend vom europäischen Markt nehmen, so die Deutsche Industrie- und Handelskammer, DIHK. Bei dieser Neuzertifizierung sind die Unternehmen auf speziell ausgebildetes Personal angewiesen, und das ist schwer zu bekommen. Dazu kommt, dass alle Produkte dann noch einmal alle fünf Jahre neu überprüft werden müssen. Die Konsequenz: Vor allem medizinische Hilfsmittel, die nicht so oft gebraucht werden, also nur einer kleinen Patientengruppe wie Kindern helfen, verschwinden vom Markt.

Kliniken spüren bereits Auswirkungen

Nicht nur das Klinikum in Bamberg berichtet von Schwierigkeiten bei der Bestellung von medizinischen Materialien. Betroffen seien in erster Linie Nischenprodukte, zum Beispiel im Bereich der Kardiologie. "Die Einschränkungen merken wir konkret im Rahmen des Einkaufs, da hier vermehrt eine aufwendige Suche nach Alternativen notwendig ist. Manche Produkte können aber auch nicht gleichwertig ersetzt werden", so der Ärztliche Direktor des Klinikums Bamberg, Prof. Georg Pistorius. Im Moment würde das bereits in Bamberg bis zu zehn Prozent der Medizinprodukte betreffen.

So habe zum Beispiel ein Hersteller die Produktion von Absaugschläuchen für Frühgeborene eingestellt. Die besonders dünnen Absaugkatheter werden eher selten benutzt. Die geringe Stückzahl sorgte beim Produzenten dafür, dass er diese Absaugschläuche nicht mehr aufwendig und teuer für den europäischen Markt zertifizieren lässt. Konsequenz: Die Produktion wird eingestellt. Das Klinikum Bamberg hat nach viel Recherche einen anderen Hersteller gefunden. Auch Herzschrittmacher für Kleinkinder sind kaum mehr auf dem Markt, ebenso Katheter für besondere Herz-Rhythmus-Störungen. Hier sucht das Klinikum Bamberg noch immer einen Produzenten, der für Ersatz sorgen könnte.

Auch in anderen bayerischen Kliniken sind die Auswirkungen der EU-Verordnung bereits zu spüren. Sowohl das Uniklinikum Regensburg, das Klinikum in Ingolstadt als auch die Uni-Klinik Augsburg melden auf Nachfrage des Bayerischen Rundfunks Schwierigkeiten bei der Beschaffung, Einschränkungen oder sogar Ausfälle bei Lieferungen. Hauptsächlich betroffen seien die OP- und Spezialbereiche sowie die Kinderheilkunde, schreibt das schwäbische Klinikum. Im Krankenhaus in Neumarkt sind die Probleme noch minimal.

Uniklinikum München: Gefährdung der Patientensicherheit

Die Abteilungen Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin spüren nach Angaben des ärztlichen Direktors Prof. Nikolaus Haas schon lange die Auswirkungen der EU-Verordnung. Immer mehr Katheter-Material, immer mehr Implantate, immer mehr Kleinigkeiten, die zur optimalen Versorgung der Patienten gebraucht würden, seien entweder nicht lieferbar oder würden überhaupt nicht mehr produziert, so Haas. Hier gehe es mittlerweile um Patientensicherheit. Für Kinder habe es früher einen speziellen Katheter auf dem Markt gegeben, mit dem winzige Gewebeproben entnommen werden konnten. Den gebe es jetzt nicht mehr. "Wir mussten uns mit anderen Kathetern behelfen, die wir dann modifizieren mussten. Aber wir haben schon bei zwei Kindern Löcher ins Herz gemacht, so dass es zu Wiederbelebungsmaßnahmen gekommen ist. Es ging alles gut aus, aber es wäre nicht notwendig gewesen, wenn wir vernünftiges Material gehabt hätten," erklärt Haas.

Gerade für solche Produkte, die nur eine relativ kleine Anzahl an Patienten betrifft, lohnt sich schlichtweg die aufwendige und teure EU-Zertifizierung nicht mehr.

Prothesenhersteller verringert Angebot

Auch der Medizinproduktehersteller Peter Brehm aus Weisendorf verringerte bereits sein Angebot. Das Unternehmen beschäftigt in seinem mittelfränkischen Betrieb 165 Mitarbeiter. Sie stellen von Knie- über Hüft- und Kieferprothesen und Wirbelfixateure auch spezielle Anfertigungen für Allergiker her.

Über 3,5 Millionen Euro hat der Familienbetrieb bereits für die europäische Qualitäts- und Sicherheitsüberprüfung seiner Produkte aufwenden müssen. "Die Preise für die Zertifizierung von Produkten hat sich um das 2,5-fache erhöht gegenüber der bis dahin geltenden Verordnung. Konkret heißt das bei uns, es haben bis jetzt 18 Leute zwei Jahre lang an der Zertifizierung der Produkte gearbeitet."

Wegen der hohen Kosten musste der Familienbetrieb genau entscheiden, für welche Produkte sich die teure EU-Zertifizierung noch rechne. Allein die Überprüfung für eine Produktgruppe kostet schnell einmal über 100.000 Euro. Aufgrund dessen hat Brehm seine Angebotspallette um 20 Prozent eingeschränkt. Dafür werden sie jetzt teilweise für den ausländischen Markt produziert, zum Beispiel für Japan.

"Die Innovationen werden massiv zurückgehen, einfach weil die Unternehmen viel länger brauchen, bis sie zukünftig Produkte in den europäischen Markt einführen dürfen." Oliver Brehm, Geschäftsführer Peter Brehm GmbH

Alleine im Bereich der Prothetik verlängere sich die Einführung von Neu-Produkten durch die EU-MDR um fünf Jahre. Die Politik im Europaparlament müsse jetzt handeln, fordert Oliver Brehm. "Wir müssen etwas tun, sonst ist der Innovationsstandort Deutschland für die Medizintechnik tot."

Alle fünf Jahre wieder eine Überprüfung

Mit der aufwendigen ersten Überprüfung ist es nicht genug. Die EU verlangt, dass die Produkte alle fünf Jahre rezertifiziert, also noch einmal überprüft werden. "Das ist nicht eine Komplett-Neuzulassung, kommt dem aber sehr nahe und ist auch von den Kosten entsprechend gleichzusetzen," erklärt Unternehmer Oliver Brehm. "Das ist, wie wenn sie Aspirin, was im letzten Jahrhundert irgendwann mal von Bayer erfunden wurde, alle fünf Jahre neu zulassen müssten. Das macht doch keiner. Aber genauso ist es geplant in Europa für die Medizinprodukte. Und das ist völliger Irrsinn, vor allem, wenn man betrachtet, dass die Märkte anderswo, also insbesondere in den USA, eine einmalige Zulassung verlangen, und damit ist das Gerät, das Produkt, das Implantat, was auch immer, lebenslang, dauerhaft zugelassen", kritisiert Prof. Nikolaus Haas.

Erschreckende Umfrage der DIHK

Im Dezember hat die Deutsche Industrie- und Handelskammer gemeinsam mit dem deutschen Industrieverband Spectaris und der MedicalMountains GmbH eine Umfrage unter rund 400 Herstellern durchgeführt. Danach müssen alle Produkte eine CE-Kennzeichnung aufweisen und dafür den Nachweis erbringen, dass ihre Produkte speziellen Sicherheits- und Leistungsanforderungen entsprechen.

Der Zulassungsprozess sieht zum Teil aufwendige Studien, klinische Bewertungen und detaillierte technische Dokumentationen vor. Nicht zu vergessen, dass dabei andere Verordnungen, Richtlinien und Guidelines berücksichtigt werden müssen. Es gibt aber auch EU-weit nur 41 Stellen (Stand: November 23), die diese Produkte überhaupt zertifizieren dürfen. Und denen fehlt oft Personal. Die Zulassung kann sich bis zu 18 Monate pro Antrag ziehen.

In den USA ist eine Bearbeitungszeit von 30 Tagen gesetzlich vorgeschrieben. Viele der in der EU eingestellten Medizinprodukte bleiben deshalb für Kliniken und Patienten außerhalb der EU weiterhin verfügbar. 58 Prozent der Unternehmen, die Produkte in der EU einstellen, vertreiben diese weiterhin in Ländern außerhalb der EU, zum Beispiel in den USA, China oder Indien, so das Ergebnis der DIHK-Umfrage.

"Die Umfrageergebnisse zeigen einen deutlichen Rückgang der Vielfalt an Bestands- und Nischenprodukten in der EU." Umfrage DIHK, MedicalMountains GmbH, Spectaris, Dez. 23

Immer mehr Produkte verschwinden

34 Prozent der Hersteller geben an, einzelne Produkte, 13 Prozent ganze Produktlinien und 6 Prozent sogar das komplette Sortiment einstellen zu wollen oder bereits eingestellt zu haben. Weiter heißt es: "70 Prozent der Unternehmen, die chirurgische Instrumente herstellen, wollen mindestens einzelne Produkte vom EU-Markt nehmen". Nach der Umfrage der DIHK kommt es in fast allen Bereichen zu Einschränkungen, so zum Beispiel in der Zahnmedizin bei orthodontischen Brackets und Drahtbögen, in der Pneumologie und Schlafmedizin, Anästhesie oder in der Intensivmedizin bei beispielsweise Notfallbeatmungsgeräten.

EU erkennt nur langsam das Problem

Eine Aussetzung der Verordnung kann nur auf Druck der Bundesregierung erfolgen oder die Europäische Union erkennt selbst, welche Folgen für Patienten spürbar sind – und zwar nicht nur in Deutschland. Auch in Italien, Frankreich oder beispielsweise in Spanien melden die Krankenhäuser solche Auswirkungen. Seit Jahren würden auch bei uns medizinische Fachgesellschaften auf die Problematik hinweisen und auf taube Ohren stoßen, so Haas.

Die bayerische Europaabgeordnete Angelika Niebler (EVP) hat gemeinsam mit einem weiteren EVP-Kollegen ein 10-Punkte-Programm in Brüssel vorgelegt. Darin fordern sie unter anderem schnellere Bearbeitungszeiten und weniger aufwendige und teure Prüfungen. Sie hoffe, dass die EU-Kommission noch in diesem Jahr einen neuen Vorschlag für die EU-Medizinprodukteverordnung vorlege, so Niebler. Wenn alles klappt, wird die EU-Kommission noch in diesem Jahr darüber beraten und es wird vielleicht sogar Änderungen geben. "Wir müssen schauen, dass wir das, was nicht gut gelaufen ist, korrigieren, um wieder eine hohe Patientensicherheit herzustellen. Das ist das oberste Ziel", so Niebler im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Auf vielen Ebenen habe sie bereits Diskussionen zum Thema angestoßen. "Wir können nur sagen: Da ist ein Problem. Und das, was wir aus gutem Gewissen vielleicht mal vor Jahren beschlossen haben, das müssen wir jetzt einfach korrigieren, weil wir über das Ziel hinausgeschossen sind." Und weiter: "Es kann doch nicht sein, dass wir in der EU an einem bürokratischen Zertifizierungssystem festhalten, das dazu führt, dass die Hersteller ihre Medizinprodukte bei der FDA in USA anmelden, während uns in der EU Medizinprodukte fehlen."

Doch die Änderungen kommen spät, meint auch der ärztliche Direktor des Bamberger Klinikums. "Die Firma, die jetzt das Produkt bereits runtergefahren hat, die das Produkt aus ihrer Produktion herausgenommen hat, die wird nicht in zwei Jahren einfach mal schnell wieder alles hochfahren." Und das Fazit des Implantat- und Prothesenherstellers Brehm zur MDR: "Teuer, überflüssig, beim Patienten kommt nichts an".

Im Audio: EU-Medizinprodukteverordnung: Kliniken spüren Auswirkungen

Ärzte und OP-Personal stehen während einer Operation am OP-Tisch
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Ärzte und OP-Personal stehen während einer Operation am OP-Tisch

Dieser Artikel ist erstmals am 15.02.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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