Eine Apothekerin vor Medikamenten in der Auslage.
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Das Gesetz gegen Lieferengpässe bei Medikamenten zeigt noch keine Wirkung. Im Gegenteil: Die Situation verschlechtert sich.

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Medikamenten-Engpass: Jetzt wird das nächste Mittel knapp

Medikamenten-Engpass: Jetzt wird das nächste Mittel knapp

Alles sollte besser werden. Doch das Gesetz gegen Lieferengpässe bei Medikamenten zeigt noch keine Wirkung. Im Gegenteil: Die Situation verschlechtert sich, auch bei Präparaten in der Intensivmedizin. Irenat-Tropfen sind bis 2028 nicht lieferbar.

Über dieses Thema berichtet: Das Gesundheitsmagazin am .

Das Medikament unter dem Handelsnamen "Irenat in Tropfenform" blockiert die Jodaufnahme und wird unter anderem bei Schilddrüsen- und Herzkatheteruntersuchungen eingesetzt. Es ist das einzige Natrium-Perchlorat-Präparat in Deutschland. Und: Für das Medikament gibt es seit September eine Lieferengpasswarnung bis 2028. Bereits Ende des Jahres wird es in deutschen Kliniken knapp.

Irenat-Engpass: Importe helfen nur vorübergehend

Der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner, BDN, warnt davor, dass das Präparat "Irenat" aktuell in der EU nur noch bis Ende des Jahres reichen wird. Irenat-Tropfen werden in vielen Bereichen der bildgebenden Diagnostik verwendet, wie zum Beispiel bei Computertomografien (CT), Herzkatheteruntersuchungen oder Kardio-CTs. Sie sind als Arzneimittel für Kinder und Erwachsene bei vielen intensivmedizinischen und diagnostischen Untersuchungen alternativlos, denn bis jetzt gibt es nur den irischen Hersteller Alliance Pharma, der für das Präparat eine Zulassung auf dem deutschen Markt hat. Und der will nicht mehr für den in Deutschland gezahlten Preis produzieren.

"Aktuell kann das Produkt zum gesetzlich festgelegten Herstellerabgabepreis von 7,23 Euro pro Packung nicht hergestellt werden", heißt es in der Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Seit Juni war das Bundesministerium für Gesundheit mit Alliance Pharma im Gespräch. Seit September gilt der Lieferengpass für die nächsten fünf Jahre.

Und nicht nur in Erlangen versuchen Apotheken die Versorgung auf verschiedenen Wegen sicherzustellen. "Wir haben im Moment noch ausreichend, um die Patienten und Patientinnen bis Jahresende mit dem Original-Präparat versorgen zu können", erklärt Sabine Krebs von der Apotheke des Uni-Klinikums in Erlangen. "Wir prüfen gerade die Versorgung mit einer Eigenherstellung von Perchlorat-Tropfen – und auf der anderen Seite ist es so, dass wir eine Möglichkeit gefunden haben, Irenat-Tropfen aus dem Ausland zu importieren. Das wird aber natürlich auch nur eine Übergangslösung sein können."

Denn: Im Prinzip kann auch dieses Medikament über das Ausland bezogen werden. Zu beachten gilt jedoch, warnt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, "dass dann auch ein anderer Wirkstoffgehalt an Natriumperchlorat pro Tropfen vorliegen kann."

Lichtblick: Ein deutscher Hersteller

Das BfArM teilt weiter mit, dass für Irenat-Tropfen ein neuer Hersteller gefunden worden sei. Doch zu dem Preis wolle der auch nicht produzieren. Konkret handelt es sich um einen deutschen Produzenten. "Dieses Präparat ist mehr als doppelt so teuer", erklärt Sabine Krebs von der Apotheke des Uniklinikums Erlangen. Der Originalhersteller dürfe für 40 ml Irenat-Tropfen 7,23 Euro abrechnen. "Der neue Hersteller verlangt pro 20 ml mehr als 40 Euro. Das heißt, wir haben hier eine Vervielfachung des Preises in der Versorgung."

Das Problem: Billig oder extrem teuer

"Das Problem liegt im Generika-Sektor, der immer preiswerter die Arzneimittel zur Verfügung stellen soll", so die anerkannte Pharmazeutin Ulrike Holzgrabe. Auf Generika entfallen laut dem zuständigen Verband 78 Prozent der benötigten Tagestherapiedosen (DDD). Sie bestimmen damit einen überwiegenden Teil unserer medikamentösen Versorgung. Die Generika-Hersteller sind jedoch gezwungen, durch die Preisvorgaben der Kostenträger, also Krankenkassen, immer billiger zu produzieren.

Nur noch ein Hersteller blieb übrig, um für 1,43 Euro eine Flasche Paracetamol-Fiebersaft herzustellen. Das bekamen Produzenten noch bis Mitte dieses Jahres von den Krankenkassen erstattet. So kam es erst zum Lieferengpass.

Daran ändert wohl nichts das seit Juli geltende Gesetz gegen Arzneimittelknappheit (ALBVVG). "Das aktuelle Gesetz habe nur einen sehr kleinen Bereich der Generika im Fokus. Für 98 Prozent gelten weiter Rabattverträge", erklärte Josip Mestrovic, Vorstand im Verband Pro-Generika in einer Diskussionsveranstaltung der Deutschen Apothekerzeitung vor wenigen Wochen. Und auch Thomas Müller vom Bundesgesundheitsministerium gesteht in dieser Diskussion ein: Problematisch sei insbesondere das starke Missverhältnis der Preise von generischen und Patent-Arzneimitteln. Letztere seien in den letzten Jahren stark im Preis gestiegen, während Generika zu Minimalpreisen vertrieben werden. Hier müsse eine angemessene Balance gefunden werden.

Und das, obwohl sein oberster Chef, Karl Lauterbach (SPD), als Bundesgesundheitsminister noch im April verkündete: "Ich werde heute schon reagieren, dass die Krankenkassen angewiesen werden, 50 Prozent mehr zu zahlen als diesen Festbetrag. Dann werden die Medikamente, die jetzt in Holland verkauft werden, wieder in Deutschland verkauft."

Der Fall "Irenat-Tropfen" könnte beispielhaft werden. Entweder dem irischen Hersteller mehr als 7,23 Euro (netto) pro 40 ml zahlen oder dem deutschen Unternehmen für 42,19 Euro (netto) das Go geben. Die Firma stammt aus Köln und produziert nach eigenen Angaben auch Irenat vor Ort. Unklar ist, woher der Wirkstoff stammt, denn der ist entscheidend für die Medikamentenproduktion.

Deutschland war die Apotheke der Welt

Die Grundsatzdiskussion nimmt hier ihren Lauf. Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Dann wurde der Preis zum entscheidenden Index. Dabei wird Ibuprofen zum Beispiel in Ägypten teurer verkauft als in Deutschland. Und 70 Prozent der Wirkstoffe unserer Medikamente stammen nach einer Studie von Mundicare im Auftrag von Pro Generika aus dem Jahr 2020 aus China.

Die Rückholung der Produktion nach Deutschland oder Europa ist kostspielig, aber Österreich macht es vor: Der Pharmakonzern Novartis mit seiner Tochter Sandoz hat eine der größten Antibiotika-Fabriken weltweit in Tirol aufgebaut. Das bedarf Willen und vor allem Subventionen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron will verstärkt auf Produktion im eigenen Land setzen. Für etwa 50 essenzielle Medikamente, bei denen man stark von Importen aus nicht-europäischen Ländern abhänge, wolle man die Herstellung des pharmazeutischen Rohstoffs oder des Endprodukts nach Frankreich verlegen. Das Augenmerk des französischen Präsidenten liegt dabei auf Medikamenten für Krebs, aber auch auf Schmerzmitteln. Macron wolle eine Liste von 450 notwendigen Medikamenten erstellen, bei denen die Versorgung unbedingt sichergestellt werden muss.

Apotheker vor Ort: "Uns fehlt Antibiotika"

Aber nicht nur die Krankenhausapotheken klagen über Liefer- und Versorgungsengpässe, sondern auch die Apotheker vor Ort. Der Bamberger Apotheker Volker Seubold spricht von einem "Lieferengpass auf hohem Niveau". "Antibiotika, Penicillin, viele Blutdrucksenker, Kodein-Tropfen, Mittel gegen Diabetes, Cholesterinsenker, bestimmte Augentropfen, Augensalben, dann auch Nasensprays: Hier herrscht Lieferengpass." Alles sogenannte Blockbuster, also tausendfach verschriebene oder verkaufte Medikamente. In diesem Jahr sitzt er noch mehr Stunden am Computer, als dass er berät. Er telefoniert mit Großhändlern, versucht aus dem Ausland Medikamente zu importieren, um irgendwie an wichtige Präparate für seine Patienten zu kommen.

"Es ist letztendlich ein Beschaffungsproblem. Wir sind jetzt nicht pharmazeutisch tätig, sondern das sind ja eher logistische Sachen. Ja, wir haben diese Lieferengpässe nicht zu verantworten, aber wir müssen sie letztendlich ausbaden. Das ist tatsächlich ein Großteil unserer Zeit, die da gebunden wird." Volker Seubold, Bayerischer Apothekerverband

Das ALBVVG: Langer Name ohne Wirkung

Das ALBVVG, das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, ist im Juli in Kraft getreten. Es hat bis jetzt nicht gegriffen oder vielleicht noch nicht. Aber eines ist klar: Der Generikamarkt wurde über Jahre hinweg kaputtgespart. Der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner hat sich in Sachen Irenat an die Regierung in Berlin gewandt mit dem Satz: "Wir appellieren dringend an den Gesetzgeber, den Herstellern eine wirtschaftliche Produktion zu ermöglichen."

Ministerpräsidenten appellieren an Bund

Die Situation trieb auch die Länderchefs bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz um. Demnach sehen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder einen "dringenden Handlungsbedarf" hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Arzneimitteln. Weiter heißt es dazu: "Derzeit zählt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über 500 Lieferengpässe".

Den Ministerpräsidenten ist auch klar, dass das am Preis vor allem für Generika liegt. In einem Beschluss, den das Ärzteblatt veröffentlichte, heißt es weiter, dass der deutsche Absatzmarkt für Arzneimittel "aufgrund der aktuellen Erstattungspreispolitik für Pharmaunternehmen nicht mehr attraktiv ist". Es habe eine zunehmende Produktionsverlagerung in Länder außerhalb der EU-Grenzen und eine Monopolisierung bei einzelnen Herstellern stattgefunden. Deutschland und die EU hätten "kaum noch Einfluss auf Produktion und Lieferketten".

Bildrechte: BR/Claudia Grimmer
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"Irenat-Tropfen" des Herstellers Alliance Pharma

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