Spärliches Licht scheint von schmutzigen Neonröhren, wirre Schriftzüge schmücken die Wände. Die eigenen Schritte hallen durch den Gang und der beißende Geruch von Urin steigt in die Nase. Nach 140 Metern endlich wieder am Tageslicht. Wer durch die Unterführung am Münchner Ostbahnhof muss, geht gern mal einen Schritt schneller. Für viele ist es unangenehm, durch Unterführungen zu gehen. Ein häufiger Begleiter durch die Tunnel: Schmierereien an der Decke und an den Wänden.
Unterführungen für viele ein regelrechter Angstraum
Nicht schön, dachte sich Francesco Sormani, der lange in Berg am Laim wohnte und die Unterführung zwischen der Orleonstraße und Friedenstraße oft passierte. Der Student griff daher selbst zur Spraydose. "We are all one" und ein rotes Herz sprühte er an die Wände voller Graffiti. Ein Polizist ertappte ihn auf frischer Tat. "Und ich musste dann tausend Euro Strafe zahlen", erinnert sich der heute 27-Jährige.
Er startete ein Crowdfunding und beglich seine Schuld. Die schäbigen Tunnelwände aber ließen ihn nicht los und er fasste einen Beschluss: "Ich werde mich darum bemühen, diesen Tunnel kreativ neu zu gestalten."
Ein Anstrich gegen Angst und Aggression
Sormani wandte sich an "Die Städtischen" – ein junges interdisziplinäres Kollektiv, das sich für eine kreative Gestaltung im öffentlichen Raum einsetzt. Gemeinsam klemmten sie sich drei Jahre hinter das Projekt. "Wir haben es dann doch hinbekommen, dass wir jetzt die finanziellen Mittel haben und die Genehmigung, diesen Tunnel neu zu gestalten", freut sich der 27-Jährige.
Heute stehen die Ehrenamtlichen im Malerkittel, mit Pinsel und Hochdruckreiniger am Tunneleingang – bereit für eine Veränderung. "Es wird immer noch ein Tunnel bleiben, aber wir machen ihn so angenehm, wie es geht", erklärt Sormani. Die Lösung der Ehrenamtlichen ist simpel: pinke Wände, pinke Decke, pinker Boden. Die Farbe nehme das Angstgefühl, sagt der 27-Jährige, es nehme die Aggressivität heraus.
Pink steht für Optimismus, Vielfalt und Lebensfreude
Farbarchitektin Julia Hausmann teilt Sormanis Einschätzung: "Pink gleicht aus, wirkt besänftigend und kann optimistisch stimmen". Die Nuance ist dabei wichtig. So konnte bei einem Experiment in Gefängniszellen mit dem Farbton "Cool Down Pink" sogar eine aggressionshemmende und blutdrucksenkende Wirkung festgestellt werden.
"Die Farbe Pink hat viele Nuancen und steht je nach Ton in unseren Kulturkreisen für Optimismus, Vielfalt, Extravaganz, Einfühlungsvermögen und Lebensfreude", erklärt Hausmann. Laut der Farbexpertin könne dadurch tatsächlich das Verhalten der Passanten beeinflusst werden. "Kontrapunkt ist, dass Pink schlecht altert und nur positiv wahrgenommen wird, wenn es sehr sauber und perfekt ist", so Hausmann. Doch die Farbarchitektin blickt trotzdem optimistisch auf das Vorhaben "Der Städtischen": "Wenn die Gestaltenden darauf achten, wird es eine gute Aktion."
Schon ein erster Anstrich bewirkt Wunder
Aktuell sind die Kollektivler dabei, die Wände weiß zu streichen – die Grundierung für den pinken Anstrich. Anouar Mahmoudi ist gelernter Architekt, Zimmerer und Mitglied des Kollektivs. Er kennt sich aus in Sachen Raumgefühl: "Man sieht, dass der Eingangsbereich jetzt – einfach nur, weil wir ihn weiß gestrichen haben – viel luftiger ist und viel heller. Einfache Flächen, helle Flächen, die reflektieren und der Tunnelweg wird breiter, obwohl wir keine baulichen Maßnahmen angewendet haben."
Jeder kann sich an dem Projekt beteiligen
Knallpink soll die Unterführung in den kommenden Wochen werden. Das Projekt ist partizipativ, jeder kann per Anmeldung auf Instagram mitmachen. Am Sonntag, 13. August, wollen "Die Städtischen" mit der Umgestaltung fertig sein. Die Eröffnungsfeier soll eine Überraschung werden – angekündigt via Social Media. Kollektivmitglied Hanna Sastrich sieht im Projekt ein nachhaltiges Potenzial: "Wir arbeiten auch mit städtebaulichen Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Aufstellen von Mülleimern, dass dieser Tunnel nicht nur schöner wird, sondern eben auch sauberer."
Damit die Unterführung in Zukunft auch pink bleibt, werden die Wände abschließend mit einem speziellen Graffitischutz bemalt. Und vielleicht wird aus dem schnellen Schritt durch den dunklen Tunnel ab Mitte August ein langsames Schlendern durch eine leuchtend-pinke Galerie.
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