Ein leises Surren liegt in der Luft über dem Lorenzer Reichswald, als Piloten der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) Freising die Baumwipfel mit ihren ferngesteuerten Drohnen abfliegen. Sie machen hochauflösende Aufnahmen der Kiefernkronen – und von den Misteln, die in vielen von ihnen wachsen. "Der Kiefer geht es schlecht", sagt LWF-Präsident Peter Pröbstle: Trockenheit und Klimaerwärmung setzen der Baumart zu, außerdem Borkenkäfer, Pilze und andere Schädlinge – und zunehmend eben auch die Misteln. Der Halbschmarotzer betreibe zwar selbst Photosynthese, bohre allerdings die Kiefern an und sauge ihnen das Wasser weg, beschreibt er die Lebensweise der Kiefernmistel. Was Zusatzstress für die ohnehin geplagten Bäume bedeute.
Kiefer wächst besonders in Nordbayern
Gerade für die Wälder im Norden Bayerns könnte das unangenehme Folgen haben: Hier ist die Kiefer besonders verbreitet. Die zweitwichtigste Nadelbaumart Bayerns macht 17 Prozent der Waldflächen im Freistaat aus. In Mittelfranken sind es 45 Prozent, beschreibt Pröbstle. Im Zuständigkeitsgebiet von Johannes Wurm, dem Forstbetriebsleiter des Forstbetriebs Nürnberg der Bayerischen Staatsforsten, sogar zwei Drittel. Auch er berichtet von einer dramatischen Zunahme des Mistelbefalls. "Die genauen Auswirkungen sind aber bislang nur im Grundsatz abschätzbar", so Wurm.
Ausbreitungsmuster im Blick
Genau dort setzt nun das Projekt WaKieBY an: An mehreren Stellen in Nordbayern – in Mittelfranken, Oberfranken und der Oberpfalz – wollen die Fachleute dabei untersuchen, wie es den befallenen Kiefern geht und ob sich Ausbreitungsmuster bei den Misteln erkennen lassen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Drohnenaufnahmen: "Wir haben in Voruntersuchungen festgestellt, dass man zwar von unten häufig große Misteln erkennt, aber gerade die kleinen sind schlecht erkennbar. Und dementsprechend ist der Blick von oben sehr, sehr wertvoll. Da kriegen wir neue Erkenntnisse", beschreibt Projektleiter Hans-Joachim Klemmt. Zusätzlich können per Drohne Proben aus den Baumkronen genommen werden – zur Genanalyse und um herauszufinden, ob bestimmte Kiefern anfälliger sind für die Misteln als andere. Denn bei besonders vitalen Bäumen hat die Mistel weniger Chancen, sich einzunisten.
Vögel bringen Untermieter
Verbreitet wird die Mistel durch Vögel: Die fressen die weißen Mistel-Beeren und scheiden sie in den Baumkronen wieder aus, "pflanzen" dort quasi die wasserverschwendenden Untermieter. "Es ist für die Mistel immer relativ schwierig, durch einen Jahresring hindurch in den nächsten zu wachsen", erklärt WaKieBY-Projektleiter Peter Pröbstle. "Wenn der Baum sehr groß wächst und sehr kräftig ist und sehr gute Jahresringe entwickelt, dann kann es sein, dass die Mistel einfach mit dem Wachstum nicht hinterherkommt. Und dann schmeißt sozusagen die Kiefer die Mistel zumindest am Anfang wieder hinaus."
Kiefer "führt Buch" über Mistelbefall
Ergänzt werden die Drohnen-Daten durch Untersuchungen am Boden: LFW-Mitarbeiterin Stefanie Springer dreht einen speziellen Bohrer in den Stamm einer Kiefer, in deren Wipfel die Drohne Misteln gefunden hat. Der Bohrkern, den sie dadurch bekommt, zeigt einen Schnitt durch die Jahresringe des Baums. Sind sie breiter, ist der Baum gut gewachsen. Sind sie schmaler, haben Wasser und Nährstoffe gefehlt und es gab weniger Zuwachs. Mit den Jahresringen führt der Baum quasi Buch über sein Leben – so dass die Forschenden Baum-Wachstum und Mistelbefall an den einzelnen Standorten in Mittel- und Oberfranken oder der Oberpfalz in zeitlichen Zusammenhang setzen können.
Zusammenhänge im Blick
Denn unklar ist aktuell noch, was die Mistel-Zunahme genau bewirkt hat. "Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Misteln werden immer aggressiver durch die Wärme. Das wäre eine Erklärung. Oder die andere Erklärung ist, dass unsere Kiefern immer schwächer werden", erklärt Projektleiter Pröbstle. "Und wir untersuchen, ob die Bäume, denen es schlecht geht, ob die tatsächlich besonders viel von Mistel befallen sind." Daten, die WaKieBY liefern soll – und aus denen sich möglicherweise später Handlungsoptionen ableiten lassen könnten. Die LWF hat für diese Studie neben den Bayerischen Staatsforsten auch das Amt für Waldgenetik (AWG), die Universität Bayreuth und die Technische Universität München an Bord geholt.
Ausbreitung nicht mehr zu stoppen?
Komplett eliminieren lassen dürfte sich der pflanzliche Schmarotzer aus Frankens Wäldern allerdings nicht mehr, dafür scheint der Befall zu groß, konstatiert im Lorenzer Reichswald Forstbetriebsleiter Johannes Wurm: "In früheren Zeiten hat man tatsächlich mit Misteln befallenen Bäume bevorzugt entnommen und danach versucht, eben die Ausbreitung ein bisschen zu minimieren", erklärt Wurm. "Wir sind aber aus meiner Sicht in einer Phase mittlerweile – wir müssten so viele Kiefern entnehmen, dass wir es eigentlich gar nicht mehr schaffen." Umso wichtiger sind für ihn die Forschungsdaten, die erstmals wissenschaftlich fundierte Fakten zum Mistelbefall in Frankens Wäldern liefern sollen. Erste Daten sollen Ende des Jahres vorliegen, weitere Projekte folgen.
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