Im strömenden Regen ist Alexander auf dem Weg zum Jobcenter in Straubing; er ist zu einem Termin bestellt worden. Mehr als 40 Minuten ist er zu Fuß unterwegs. Den langen Weg nimmt er in Kauf, denn der 22-Jährige hofft darauf, dass es im Jobcenter um seinen geplanten Umzug nach Landshut gehen wird. Dort wird er in einer betreuten WG wohnen und kann dann endlich aus seiner jetzigen Bleibe ausziehen - der Obdachlosenunterkunft. Noch weiß er nicht, wann es so weit sein wird. Aber für ihn ist klar: je früher, desto besser.
Immer mehr Menschen stehen auf der Straße
In Straubing ist Jugendamtsleiter Markus Wimmer für die Obdachlosenfürsorge der Stadt zuständig. Markus Wimmer sagt: Immer mehr Menschen sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Ein Grund dafür ist die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt. Mieten steigen, Wohnungen werden knapper.
Selbst für das Sozialamt stehen immer weniger Wohnungen zur Verfügung: "Viele glauben, die Stadt Straubing hat 100 Wohnungen im Bestand, über die wir frei verfügen können. Das ist nicht so. Durch den Zuwachs, den die Stadt erlebt, wird es immer schwieriger, dass wir noch an freien Wohnraum kommen."
BR24 hat zwei Menschen besucht, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Die 60-jährige Monika aus Regenstauf steht kurz davor, ihr Haus zu verlieren. Der 22-jährige Alexander lebt in einer Obdachlosenunterkunft in Straubing. Die BR24 vor Ort-Reportage – zu sehen im folgenden Video:
Umzug nach Landshut ist das große Ziel
Wie lange Alexander schon in der Unterkunft in Straubing lebt, weiß er selbst nicht. Als Kind kam er ins Heim, seine Eltern konnten sich nicht um ihn kümmern. "Dann hat es mit der Arbeitssuche nicht geklappt, jetzt bin ich hier", sagt er. Er lebt von rund 560 Euro Bürgergeld im Monat, damit kommt er aus. In manchen Monaten bleibt sogar etwas Geld übrig. Sein Zimmer muss der 22-Jährige mit einem Mitbewohner teilen. Deswegen hat er ein großes Ziel: Er will so bald wie möglich nach Landshut in eine betreute WG ziehen. Hier bekommt er sein eigenes Zimmer und wird bei der Jobsuche unterstützt. In etwa zwei Monaten könnte es so weit sein.
Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen ist nicht genau bekannt
Derzeit leben in Straubing 90 Menschen in Unterkünften der Obdachlosenfürsorge, darunter 41 Kinder. Die Stadt hat eine Männerunterkunft mit zehn und eine Frauenunterkunft mit drei Plätzen. Die Familien werden unter anderem in Sozialwohnungen untergebracht.
Wie viele Wohnungs- oder Obdachlose es in Deutschland tatsächlich gibt, ist schwer zu erfassen. Klarheit gibt es nur über die Menschen, die staatlich oder kommunal untergebracht wurden. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 (Stichtag 31. Januar) bundesweit gut 372.000 Personen wegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit untergebracht, darunter rund 105.500 Kinder und minderjährige Jugendliche, also knapp ein Drittel.
💡 Was ist der Unterschied zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit?
Wohnungs- und Obdachlosigkeit werden oft gleichgesetzt, allerdings gibt es Unterschiede: Wohnungslosigkeit ist der übergreifende Begriff, Obdachlosigkeit ein Teil davon. Als wohnungslos gelten Menschen, die über keinen mietvertraglich abgesicherten oder eigenen Wohnraum verfügen oder in Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege oder in kommunalen Einrichtungen leben. Bei Menschen, die vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten untergekommen sind, spricht man von verdeckter Wohnungslosigkeit. Als obdachlos werden Menschen bezeichnet, die im öffentlichen Raum (zum Beispiel Parks, Kellern, Bahnhöfen) übernachten, oder über die jeweiligen Ländergesetze der Sicherheit und Ordnung vorübergehend untergebracht sind.
Krisen im Leben führen zu Wohnungslosigkeit
Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig, sagt der Straubinger Amtsleiter Wimmer. "Ganz häufig sind es krisenhafte Ereignisse im Leben. Das kann eine Scheidung sein, der Verlust der Arbeitsstelle, die Suchterkrankung oder eine psychische Erkrankung. Das kann einfach auch die Überforderungssituation sein."
Laut dem Wohnungslosenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2022 gaben 47 Prozent der Befragten an, dass Mietschulden sie in die Wohnungslosigkeit gebracht haben. 39 Prozent der Befragten hatten noch nie eine Wohnung in Deutschland, zum Beispiel aufgrund einer Fluchtgeschichte, oder weil sie das Elternhaus oder die Jugendeinrichtung verlassen hatten. Für neun Prozent der Wohnungslosen war eine Inhaftierung ursächlich, bei acht Prozent eine Trennung oder Scheidung.
Wegen hoher Mieten: Wohnungssuche oft aussichtslos
Von Wohnungslosigkeit bedroht ist auch Monika Wittmann aus Regenstauf. Sie wohnt seit ihrer Geburt in ihrem Elternhaus in der Gemeinde im Landkreis Regensburg. Jetzt steht die 60-Jährige kurz davor, ihr Zuhause zu verlieren. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde das Haus an andere Verwandte vererbt. Sie wollen es jetzt verkaufen. Gegen Monika läuft eine Räumungsklage. Seit zwei Jahren ist sie auf Wohnungssuche, aber: "Mit 1.200 Euro Gehalt kann ich mir einfach keine Wohnung für 800 Euro leisten." Derzeit läuft zwar ein Aufschubsgesuch. Allerdings rechnet Monika Wittmann damit, dass sie in wenigen Wochen das Haus räumen muss.
Letzter Ausweg wäre für sie eine Sozialwohnung in Regenstauf. Allerdings sind auch die meist belegt. Und ein weiteres Problem: Mit zwei großen Hunden dürfe sie in die Notwohnung nicht einziehen. "Ich bin mit den Nerven am Ende", sagt Wittmann.
Regenstauferin erfährt viel Unterstützung
Sie habe schon viel versucht, um eine eigene Wohnung zu finden: In der Gemeinde habe sie Handzettel verteilt, Freunde hatten ihren Notfall auf Facebook gepostet. Und auch die Gemeinde will ihr helfen: Wittmann durfte eine Anzeige im Amtsblatt aufgeben. Bisher aber ohne Erfolg. "Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, aber andererseits habe ich auch schon ein bisschen aufgegeben, obwohl das hier mein Elternhaus ist", sagt Wittmann unter Tränen.
Hilfsangebote bei Sozialämtern oder sozialen Verbänden
Bei drohender Wohnungslosigkeit gibt es unterschiedliche Hilfsangebote: Betroffene können sich an die Sozialstellen der eigenen Kommune wenden. Außerdem gibt es beratende Hilfe für Wohnungsnotfälle bei der Caritas und der Diakonie. Darüber hinaus sind in Bayern derzeit Präventivstellen, wie die Wohnungsnotfallhilfe, im Aufbau.
Berufsberatung bringt Zukunft in Landshut näher
Zurück in Straubing wird es für den 22-jährigen Alexander ernst. Wann rückt sein Ziel von der WG in Landshut näher? Pünktlich um 8.30 Uhr betritt er das Gebäude des Jobcenters in Straubing. Und ist nach nur wenigen Minuten wieder draußen: Tatsächlich wollte der Angestellte des Jobcenters mit ihm klären, wie es für ihn in Landshut weitergehen soll. Bei einer Berufsberatung wurde geklärt, in welchem Bereich er nach dem Umzug arbeiten will.
Damit wird für Alexander der Traum von einem eigenständigen Leben außerhalb der Unterkunft konkreter. In spätestens zwei Monaten soll der große Umzug kommen, hofft er. Und auch Monika hofft, dass sie vor der Zwangsräumung doch noch eine Wohnung für sich und ihre Hunde findet. Für beide wäre es ein wichtiger Schritt hinaus aus der Wohnungslosigkeit.
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