Die Deutschen leben im Schnitt kürzer als andere Westeuropäer. Die jüngste Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung lässt aufhorchen: Ganze 1,7 Jahre beträgt der Abstand gegenüber den Nachbarn demnach.
Dabei ist Deutschland immer stärker zurückgefallen: Im Jahr 2000 betrug der Rückstand der Bundesrepublik zur durchschnittlichen Lebenserwartung in Westeuropa noch rund 0,7 Jahre. "Der langjährige Rückstand in der deutschen Lebenserwartung scheint sich wesentlich durch eine höhere Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im fortgeschrittenen Erwachsenenalter beziehungsweise Rentenalter zu erklären", so die Autoren der Studie.
Bayern im deutschlandweiten Vergleich nicht schlecht
Auf der Suche nach möglichen Gründen fällt der Blick auf die Unterschiede zwischen den Regionen: Bayern etwa landet im deutschlandweiten Vergleich bei der Lebenserwartung auf Platz 2. Im Freistaat neugeborene Mädchen haben laut aktuellen Zahlen des Landesamts für Statistik eine durchschnittliche Lebenserwartung von über 83,6 Jahren, bei den Buben sind es 79,1 Jahre. Baden-Württemberg liegt auf Platz eins.
Dabei scheint der Wohnort eine Rolle zu spielen: Laut einer Analyse des Max-Planck-Instituts, die allerdings aus dem Jahr 2020 stammt, unterscheidet sich die statistische Lebenserwartung stark, je nachdem, wo die Menschen leben. Und zwar um bis zu fünf Jahre. Die höchste Lebenserwartung haben laut den Forschern Frauen im Landkreis Starnberg: Sie werden durchschnittlich 85,7 Jahre alt. Spitzenreiter bei den Männern ist München. Dort liegt die Lebenserwartung bei 81,2 Jahren.
Insgesamt sehen die Forscher bei der Lebenserwartung ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Und auch zwischen Ost und West unterscheide sich die Lebenserwartung noch erheblich. Mehr Landkreise mit niedriger Lebenserwartung liegen laut Analyse in Mitteldeutschland. Fazit der Forscher: Die Lebenserwartung hänge auch vom Wohlstand ab. Maßnahmen, die die Lebensstandards für ärmere Teile der Bevölkerung verbessern, seien daher am ehesten dazu geeignet, die existierenden Unterschiede in der Lebenserwartung zu reduzieren.
Experte: Zusammenhang zwischen Essen und Herzinfarkt
Nicht allzu verwundert über die Ergebnisse der aktuellen Studie des BiB und des Max-Planck-Instituts zeigt sich Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der TUM (Technische Universität München). Unsere Essensgewohnheiten seien "zu etwa 30 bis 50 Prozent für Herzinfarkte und Schlaganfälle verantwortlich, weil über Ernährung viel Fett aufgenommen wird, was die Blutfette verschlechtert".
Außerdem, so der Experte, enthält unsere Ernährung viel Salz, das den Blutdruck ansteigen lässt, und andere Komponenten, die möglicherweise den gesamten Stoffwechsel und damit die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten negativ beeinflussen.
Genau lasse sich nicht aufschlüsseln, ob die Ernährungsgewohnheiten in anderen Ländern besser sind. Aber Hauner hat beobachtet, dass sich zum Beispiel in den Niederlanden und den skandinavischen Ländern in den vergangenen Jahren viel getan hat: "Dort wurde vieles angepackt, um die Ernährung in den Schulen, aber auch am Arbeitsplatz zu verbessern. Da hat Deutschland noch Nachholbedarf", so der Forscher.
Warum passiert zu wenig in Deutschland?
In Deutschland gebe es zwar Einzelinitiativen von Krankenhäusern und Schulen, aber auf breiter Front sei flächendeckend zu wenig passiert, befindet Hauner, der sich mit der Erforschung von ernährungsmitbedingten chronischen Krankheiten wie Adipositas und Typ-2-Diabetes beschäftigt. Die hauptsächlich dafür verantwortlichen Bundesländer haben nach Ansicht des Experten mit wenigen Ausnahmen nichts Essenzielles getan. Stattdessen gebe es immer mehr verzehrfertiges Essen in Imbissbuden oder an Bahnhöfen, das nicht geeignet sei für eine gesunde Ernährung.
Auch die sogenannten "hochverarbeiteten Lebensmittel" mit sehr viel Salz, Fett und Zucker sind weiter auf dem Vormarsch. Fachleute fordern deshalb schon lange eine veränderte Mehrwertsteuer mit einem geringeren Steuersatz auf Obst und Gemüse, sowie eine Zuckersteuer, wie sie in zahlreichen anderen Ländern existiert. Nicht zuletzt müsse aber auch beim Konsumenten ein Bewusstseinswandel eintreten, so Hauner.
Nüsse und Hülsenfrüchte als Schlüssel zu längerem Leben?
Es gibt zahlreichen Studien aus den vergangenen Jahren, die zeigen, welche Ernährung die Lebensdauer verlängern kann. Ein Team der Universität Bergen in Norwegen berechnete etwa, wie sich eine Ernährungsumstellung statistisch gesehen auswirken kann. Im Idealfall wären bei heute 20-Jährigen mehr als zehn Jahre herauszuholen, so die Forscher. Selbst Menschen im hohen Alter könnten noch etwa drei Jahre dazugewinnen.
Eine ordentliche Portion Hülsenfrüchte (200 Gramm täglich) gilt als einer der Ernährungstipps, außerdem Vollkornprodukte, Gemüse, Obst und Nüsse.
Auch an der US-Universität Harvard wurden die Ergebnisse einer groß angelegten Studie zu diesem Thema im vergangenen Jahr veröffentlicht. 120.000 Personen hatten über 36 Jahre lang daran teilgenommen. Auch hier zeigte sich, dass das Risiko, an Krebs, Demenz oder einer Atemwegserkrankung zu sterben, mit einer besseren Ernährung abnahm.
Dieser Artikel ist erstmals am 23. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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