Ohne Berührungen und persönliche Ansprache können viele Förderschüler und -schülerinnen nicht lernen. Zu Hause in Videokonferenzen driften sie schnell ab, lange Konzentrationszeiten sind nicht drin.
Die Grenzen des digitalen Lernens sind schnell erreicht
Egal, wie kreativ Pädagogen den Unterricht gestalten, die Grenzen des digitalen Unterrichtens sind schnell erreicht. Die Leiterin der Pestalozzi Schule im oberbayerischen Fürstenfeldbruck, Petra Schneider, hat beobachtet, wie im Mathematikunterricht per Videoschalte ein Erstklässler in aller Seelenruhe mit seinen Duplosteinen weiterspielt, während die Lehrerin Mengenerfassung übt. Sie hat mit einem bildschirmgroßen Backblech magnetische Elemente hin und wieder weg gezaubert. Einen richtigen Hokuspokus veranstaltet, aber trotzdem hat sie den Jungen damit nicht erreicht.
Holger Kiesel: Förderschulkinder machen Rückschritte
Für Holger Kiesel, den Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, ist klar: Corona wirkt wie eine Inklusionsbremse.
"Das heißt, die Kinder machen Rückschritte, körperliche, soziale und intellektuelle. Ihnen fehlt die Ansprache und das Gegenüber, durch das sie sich entwickeln können. All das führt dazu, dass viele Inklusionsbemühungen zwischen Kindern mit und ohne Behinderung gar nicht mehr stattfinden." Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung
Besonders um die soziale Isolation der Kinder macht sich Petra Schneider Sorgen. Die Leiterin des sonderpädagogischen Förderzentrums in Fürstenfeldbruck weiß, Schulleben bedeutet für sie auch Sozialleben. Viele leben in beengten Wohnverhältnissen und sind sehr einsam, weil sie in der Nachbarschaft kaum Kontakte haben. Normalerweise sind sie ganztags mit ihren Schulkameraden zusammen. Die wiederum kommen aus dem ganzen Landkreis – so dass selbst Spielen mit den engsten Freunden unmöglich ist.
"Ich habe mit Schülern gesprochen und sie gefragt, wie es ihnen geht und was sie am meisten vermissen und dann sagten sie, unsere schönen Maifeste, das Zusammensein." Petra Schneider, Leiterin des sonderpädagogischen Förderzentrums in Fürstenfeldbruck
Der Schock: Stundenkürzungen für den Ganztag ab dem Herbst
Ab dem kommenden Schuljahr werden die Lehrerstunden für den Unterricht im gebundenen Ganztag an Mittel- und Förderschulen gekürzt. Ein Schock für Petra Schneider. Die Pestalozzischule verliert drei von 12 Lehrerstunden. Als Ausgleich für die sonderpädagogischen Profis bekommt sie Geld, um externe Honorarkräfte einzustellen.
Noch hat sie keine Ahnung, wo sie solche Menschen finden soll, wie sie das Kollegium dann anleiten kann. Auch die Bürokratie um die neuen Arbeitsverträge ist ein zusätzlicher Zeitfaktor. Viel lieber hätte die Pädagogin mehr Zeit für die Kinder und ihre Probleme.
Mehr Flexibilität für die Schulen laut Kultusministerium
Das Bayerische Kultusministerium spricht dagegen von mehr Flexibilität beim Personaleinsatz und garantiert: "Der schulische Ganztag ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil des pädagogischen Angebotes an bayerischen Schulen - auch an den Förderschulen. Die im gebundenen Ganztag insgesamt zur Verfügung stehenden zusätzlichen Stunden bleiben auch im nächsten Schuljahr vollumfänglich erhalten – für die Schülerinnen und Schüler kommt es zu keinen Kürzungen! Die Lehrkräfteressourcen sollen in stärkerem Umfang im Kernbereich der Stundentafel der beiden Schularten eingesetzt werden."
Förderschulleiterin Petra Schneider kennt viele Kollegen, die mindestens genauso skeptisch sind wie sie, ob sie das bis zum Herbst zum Wohle der Kinder umsetzen können. Eigentlich bräuchten die Kinder gerade durch die Folgen der Pandemie mehr qualifizierte Förderung.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!