Die Ambulanz von "Kein Täter werden" in Regensburg liegt in einem ruhigen Seitengässchen in der Altstadt. Von außen sind die Räumlichkeiten des Projekts nicht sofort als Einrichtung für Pädophile erkennbar. Das ist Absicht. Denn die Männer, die hierherkommen, sollen anonym bleiben können. Sie melden sich freiwillig, um Hilfe zu bekommen.
Pädophilie ist für Betroffene oft stark belastend
Oberstes Ziel der Therapie ist die Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch. Daneben geht es aber auch darum, den Klienten die Möglichkeit zu geben, mit jemandem über ihre Neigung zu sprechen. Denn Betroffene leiden meist sehr unter ihrer sexuellen Neigung.
Thomas Leitzsch ist therapeutischer Leiter in der Regensburger Ambulanz von "Kein Täter werden". An der Hotline des Präventionsnetzwerks, unter der sich Betroffene melden können, hat er die psychischen Lasten der Männer hautnah miterlebt. "Da hat mal ein Patient angerufen, der sich vier- oder fünfmal selber beschuldigt hat und gesagt hat: Oh Gott, ich bin so ein Schwein, ich mag das gar nicht erzählen, was da in meinem Kopf vor sich geht", erzählt Leitzsch.
Eigene Sexualität nicht ausleben zu können, ist schwer
Für die Betroffenen sei es wichtig, diese Scham zu überwinden und sich einzugestehen: Ich kann mir helfen lassen. Während der Therapie bei "Kein Täter werden" lernen die Betroffenen, wie sie ihre Neigung ausblenden können. Wichtig sei dabei vor allem das Eingeständnis der Betroffenen, dass sie ihre sexuelle Neigung niemals werden ausleben können.
"Wenn über Nacht Heterosexualität strafbar wäre, dann müssten ganz viele Leute einfach aufhören, überhaupt Sex zu haben", erklärt Leitzsch. "Man könnte schon irgendwie damit leben, aber es ist sehr schwer. Und so geht es eben Pädophilen."
Ambulanzen gibt es auch in München und Bamberg
Die Forschung geht davon aus, dass rund ein Prozent der männlichen Bevölkerung pädophil ist. Frauen sind dagegen kaum betroffen. Die Therapie bei "Kein Täter werden" findet wöchentlich statt. Wie lange sie insgesamt dauert, ist unterschiedlich. Ursprünglich wurde das Projekt 2005 an der Charité in Berlin entwickelt. Mittlerweile gibt es Ambulanzen in ganz Deutschland, in Bayern neben Regensburg auch in München und Bamberg.
Die Therapie ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht. Es gibt aber eine Voraussetzung für die Männer, die hier behandelt werden: Sie dürfen vorher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sein. Männer, bei denen zum Beispiel bei einer Razzia Missbrauchsabbildungen gefunden werden, können hier nicht behandelt werden.
Probleme beim Werben für "Kein Täter werden"
Finanziert wird "Kein Täter werden" in Bayern vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und teilweise durch das Justizministerium. Momentan sind 19 Männer in der Ambulanz in Regensburg in Therapie. Insgesamt werden an den drei bayerischen Standorten aktuell rund 100 Männer behandelt. Und alle drei Ambulanzen haben noch freie Plätze für Klienten.
Das könnte auch daran liegen, dass das Projekt noch zu unbekannt ist, meint Thomas Leitzsch. Für das Präventionsnetzwerk zu werben, sei aber schwierig. "Das Thema ist krass stigmatisiert", sagt Leitzsch. Plakate im Kindergarten aufzuhängen sei zum Beispiel unvorstellbar, weil Eltern sofort dagegen protestieren würden.
Pädophilie oft auch unter Betreuungskräften ein Tabu
Auch Alexandra Schreiner-Hirsch kennt diese Probleme. Sie ist pädagogische Leiterin im Kinderschutzbund des Landesverbands Bayern. Sie erlebt immer wieder, dass es selbst pädagogischen Fachkräften unangenehm ist, sich mit dem Thema Missbrauchsprävention auseinander zu setzen. "Man denkt dann oft: 'Das hat doch nichts mit uns zu tun, in unserem Umfeld passiert das nicht.' Oder: 'Wir sind doch alle Frauen.' Solche Aussagen hören wir auch oft auf unseren Präventionsschulungen."
Kinderschutzbund: Pädophile müssen Verantwortung übernehmen
Jedes Programm, das auch nur ein Kind schützt, ist sinnvoll, sagt Schreiner-Hirsch. Aber: Das Angebot müsste eben auch angenommen werden. Hier sieht sie vor allem die Männer selbst in der Pflicht: Sie müssten Verantwortung übernehmen und aktiv nach Möglichkeiten suchen, um sich helfen zu lassen.
Demnächst steht bei "Kein Täter werden" ein Treffen mit dem Justizministerium an. Dann soll besprochen werden, ob auch Straftäter im Projekt behandelt werden können.
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