Für die Ehrenamtlichen im Global Elternverein in Nürnberg war es ein Schock: Vor einiger Zeit weigerte sich ein Schüler, im Nachhilfeunterricht Englisch zu lernen. Begründung: Es sei die Sprache, die in den USA gesprochen wird – und die USA seien dafür verantwortlich, dass viele seiner Glaubensbrüder im Nahen Osten sterben müssten. Davon war der Junge überzeugt.
Die Eltern aber wussten von der Überzeugung ihres Sohnes nichts und fielen aus allen Wolken. Für Mehmet Yilmaz, einen der Nachhilfelehrer, war das der Anlass, ein Antiradikalisierungsprojekt ins Leben zu rufen. Mit Bildung und Aufklärung versucht er seitdem, den radikalen Rattenfängern die Faszination zu nehmen.
Mehmet Yilmaz: "Bildung ist der beste Weg zur Integration"
Seit 2004 unterstützt der Global Elternverein Kinder und Jugendliche in der Schule und beim Lernen. Gerade Schülerinnen und Schülern aus sozial schwierigen Verhältnissen wollen die Ehrenamtlichen helfen. "Bildung ist der beste Weg zur Integration", glaubt Mehmet Yilmaz, wobei Bildung für ihn weit über die Vermittlung schulischen Wissens hinausgeht.
Die Kinder und Jugendlichen, die an seinem Antiradikalisierungsprojekt teilnehmen, bekommen zwar auch Nachhilfe – sie sprechen aber in ihren wöchentlichen Treffen auch darüber, mit welchen Tricks radikale Gruppen versuchen, sie über die sozialen Medien zu ködern.
Einfache Google-Bildersuche entlarvt radikale Gruppen schnell
Immer wieder komme es vor, dass eines der Kinder eine Nachricht bekomme, einen professionell aufgemachten Film, in der Stimmung gemacht wird, Ressentiments gegen eine Bevölkerungsgruppe verstärkt oder Behauptungen aufgestellt werden, berichtet Mehmet Yilmaz. Gemeinsam untersuchten sie dann, was an der Nachricht dran sein könnte.
Oft reiche schon eine einfache Bildersuche bei Google, um herauszufinden, dass die Behauptung nicht stimmt oder zumindest zweifelhaft ist. Radikale Gruppen nutzten häufig alte Bilder, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, um eine Behauptung glaubhaft zu machen. Manchmal würden auch Identitäten erfunden. Besonders rechte Gruppen versuchen, Jugendliche mit Spielen zu ködern. Die Kinder und Jugendlichen lernen, Internet und Medien kritisch zu nutzen und Inhalte zu hinterfragen. Zugleich lernen sie auch noch das Programmieren.
Internet am Anfang der Radikalisierung besonders gefährlich
Die Gefahr, die vom Internet und den sozialen Medien ausgeht, darf nicht gering eingeschätzt werden. Eine Radikalisierung nur über das Internet ist aus Sicht der meisten Wissenschaftler zwar zweifelhaft. Aber die Mehrheit der Forschenden betrachte das Internet als Unterstützer und/oder Katalysator von Radikalisierung, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung. Vor allem zu Beginn des Prozesses komme der virtuellen Welt eine große Bedeutung zu.
Es ist also wichtig, den Anfängen zu wehren, wie es der Global Elternverein mit seinem Antiradikalisierungprojekt tut. Ziel der Radikalen sei es, Kinder und Jugendliche, die sich in der Schule und in der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, in diesem Gefühl zu bestärken und so auf ihre Seite zu ziehen, hat Mehmet Yilmaz beobachtet. Der 25-Jährige versucht dagegenzuhalten und den Kindern und Jugendlichen durch Bildung eine Perspektive für ihr Leben zu geben.
"Radikale Gruppen nutzen die Perspektivlosigkeit und die Verzweiflung von Kindern und Jugendlichen und versuchen sie zu beeinflussen. Wenn sie sehen, welche Möglichkeiten sie in Deutschland haben, was das Bildungswesen ihnen anbietet, fühlen sie sich wohler und lassen sich nicht auf die Provokationen dieser Gruppen ein." Mehmet Yilmaz
Schlecht in der Schule, "weil ich Ausländer bin?"
Mehmet Yilmaz erlebt immer wieder, dass Kinder und Jugendliche behaupten, sie seien schlecht in der Schule, weil sie keine deutschen Wurzeln haben. Die Lehrer könnten sie nicht leiden, weil sie Ausländer seien. "Erst mit der Zeit erkennen sie, dass das gar nicht stimmt und dass sie sich selbst belügen."
Diese Erkenntnis setze sich aber oft erst dann durch, wenn sich die Noten bessern, wenn die Kinder erkennen, dass sie es selbst in der Hand haben und sich Chancen in der Gesellschaft erarbeiten können.
- Zum Artikel "Druck auf Lehrer: Islamisierung an bayerischen Schulen?"
Mehmet Yilmaz: Ein Vorbild für Kinder und Jugendliche
Vielen der Engagierten beim Nürnberger Global Elternverein ging es in ihrer Jugend ähnlich. Viele hatten keine guten Noten, keiner hat den direkten Weg über das Gymnasium zum Abitur genommen. Auch Mehmet Yilmaz war zunächst auf der Mittelschule und hatte Probleme mit dem Lernen, bis ihn sein Vater mit zwölf Jahren bei der Nachhilfe im Global Elternverein anmeldete.
Über den zweiten Bildungsweg machte er sein Abitur und studiert heute an der Nürnberger Fachhochschule Maschinenbau. Jetzt ist der 25-Jährige für seine Nachhilfeschüler ein Vorbild: Seht her, ich habe es geschafft, dann schafft ihr das auch!
Bayerischer Integrationspreis: Vier Preisträger 2021
Für die ehrenamtliche Arbeit in dem Antiradikalisierungsprojekt werden Mehmet Yilmaz und der Global Elternverein heute im Bayerischen Landtag mit dem Bayerischen Integrationspreis ausgezeichnet. Die Initiative belegt den mit 2.000 Euro dotierten zweiten Platz.
Der mit 3.000 Euro dotierte erste Preis geht an das Improtheater des Münchner Vereins Impro macht Schule e.V. Das Projekt richtet sich vor allem an Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, die mit Hilfe des Theaters in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden.
Die dritte Auszeichnung erhält das Projekt Youth Bridge der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie in München. Der Verein ermöglicht Jugendlichen ein zweijähriges Fortbildungsprogramm zur beruflichen Entwicklung. Den Sonderpreis bekommt Zahra Akhlaqi, Vorsitzende des Münchner Vereins heimaten. Akhlaqi setzt sich dort für junge Geflüchtete sowie für Frauen- und Mädchenrechte ein.
Der Bayerische Integrationspreis 2021 wird um 15.00 Uhr von Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Integrationsminister Joachim Herrmann und der Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Gudrun Brendel-Fischer, überreicht.
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