Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, am Internationalen Kindertag
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Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, am Internationalen Kindertag

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Kindergrundsicherung: Landkreistag befürchtet mehr Bürokratie

Die Kindergrundsicherung ist eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel-Regierung. Sie soll Kinder vor Armut bewahren, einfach und unbürokratisch sein. Aber Bayerns Landkreise warnen nun, das Gegenteil könnte der Fall sein.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Theorie und Praxis sind zwei Sachen. Das muss derzeit Familienministerin Lisa Paus (Grüne) beobachten. Denn in der Theorie haben sich die Ampel-Partein im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass eine Kindergrundsicherung kommen soll. In der Praxis streiten sie derzeit darüber, wie umfangreich und teuer das Projekt werden darf, das zu ihren größten sozialpolitischen Vorhaben zählt. Der Streit geht schon seit Wochen. Und jetzt mischen auch noch die Landkreise mit und fragen, ob die Kindergrundsicherung überhaupt der richtige Weg ist, um Kinderarmut zu reduzieren.

"Kontraproduktiv": Landkreistag fürchtet mehr Bürokratie

"Das ist aus unserer Sicht kontraproduktiv und wird mehr an Schnittstellen und Bürokratie schaffen, als vorher", sagt Klaus Schulenburg aus der Geschäftsführung des Bayerischen Landkreistags. Vor allem hat er drei Sorgen: Dass Familien weiterhin zahlreiche Anträge stellen müssen, dass Behörden Probleme haben werden, Daten auszutauschen und dass am Ende mehrere Behörden mit einem Antrag beschäftigt sind.

Viele Anträge, viele Behörden

Die Idee der Kindergrundsicherung ist einfach. Momentan gibt es zahlreiche Leistungen für Familien und Kinder: Kindergeld und –zuschlag, Wohngeld, Bürgergeld, Sozialhilfe. Hinzu kommen Steuerfreibeträge. Es sind so viele verschiedene Leistungen, die von verschiedenen Stellen beantragt werden müssen, dass viele Betroffene den Überblick verlieren. Schätzungen des Bundesfamilienministeriums zufolge erhalten zum Beispiel nur ein Drittel der berechtigten Familien den Kinderzuschlag. Oder anders gesagt: 1,5 Millionen Kinder erhalten ihn demnach nicht.

Paradigmenwechsel durch die Kindergrundsicherung

Mit der Kindergrundsicherung sollen deswegen die Leistungen gebündelt werden und bei nur einer Stelle leicht und digital beantragt werden. Es soll einen Garantiebeitrag von 250 Euro für jedes Kind geben und darüber hinaus einen Zusatzbeitrag, der je nach Einkommen und Alter der Kinder unterschiedlich hoch ausfällt. Der Staat soll aktiv auf die Menschen zugehen, die Anspruch auf den Zusatzbeitrag haben. In der Theorie alles "unterstützenswert", sagt Schulenburg. In der Praxis steckt der Teufel im Detail.

Doch noch mehrere Anträge?

Zum einen ist da die Frage, welche Leistungen am Ende in der Kindergrundsicherung gebündelt werden. Die Landkreise befürchten, dass Betroffene auch weiterhin mehrere Anträge stellen müssen. So sieht beispielsweise ein Referentenentwurf des Bundesfamilienministeriums vor, dass Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket aufgeteilt werden. Ein Teil – nämlich monatlich 15 Euro und ein jährliches "Schulbedarfspaket" von 174 Euro – sollen automatisch über die Kindergrundsicherung ausgezahlt werden, wenn ein Kind Anspruch auf den Zusatzbeitrag hat. Die übrigen Leistungen des Paketes – wie Hilfen für Klassenfahrten, den Schulweg oder Nachhilfe – müssen dem Entwurf zufolge weiterhin bei den zuständigen Stellen in den Ländern beantragt werden.

"Die Frage ist, ob wirklich alle Leistungen in der Kindergrundsicherung aufgehen und an welche Voraussetzungen sie geknüpft sind", sagt auch Dorothea Störr-Ritter (CDU). Sie ist Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates, der die Bundesregierung zum Bürokratieabbau berät. Außerdem ist sie selbst Landrätin im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. "Je mehr Voraussetzungen, desto komplizierter die Umsetzung", sagt sie. Und dann sei da noch die Frage der Daten.

Komplizierter Datenaustausch zwischen Behörden

Die Kindergrundsicherung soll möglichst einfach, digital und automatisiert sein. Dafür ist es aber notwendig, dass die nötigen Daten zum Einkommen, zu Vermögen, zu bereits bezogenen Sozialleistungen für alle Behörden schnell abrufbar sind. Derzeit liegen sie aber bei vielen Beteiligten: Familienkassen, Rentenversicherung, Jobcentern, Sozialämtern. Dorothea Störr-Ritter und Klaus Schulenburg befürchten, dass der Austausch der Daten in der Praxis sehr mühsam und zeitaufwendig werden könnte.

"Das ist etwas, was die Politik immer wieder unterschätzt", sagt Schulenburg. "Es müssen Datenfelder einheitlich definiert werden. Die sind nicht immer einheitlich. Dann kann es zu Übertragungsfehlern kommen." Theoretisch könne zwar eine entsprechende Software geschrieben werden. Aber das passiere nicht von heute auf morgen.

Das Bundesfamilienministerium schreibt auf Anfrage von BR24: Es sei ein "elektronisches Datenaustauschverfahren" vorgesehen, durch das die zuständige Behörde bereits vorhandene Daten bei anderen Behörden abfragen kann. Bürger sollen also nur ein Mal ihre Daten angeben müssen. Zur Digitalisierung der Kindergrundsicherung sei das Ministerium ansonsten in engem Austausch mit der Bundesagentur für Arbeit, heißt es.

Mehrere Behörden könnten einen Antrag bearbeiten

Zuletzt ist da noch ein Punkt. Schulenburg befürchtet, dass am Ende mehrere Behörden mit einem Antrag beschäftigt sein werden. "Wenn die Kinder über die Kindergrundsicherung in die Zuständigkeit der Familienkassen übergehen, bleiben ja die Eltern", sagt er. Was er meint: Wenn in einem Haushalt mehrere Personen Sozialleistungen erhalten, müssten diese miteinander verrechnet werden. Wenn also in einer Wohnung beispielsweise mehrere Personen Bürgergeld erhalten, dann sollen nicht alle den vollen Satz für das Wohnen erhalten, weil ihre Kosten auch geringer sind. Für die Kindergrundsicherung befürchtet Schulenburg, dass die Leistungen der Kinder, mit denen der Eltern verrechnet werden müssen. Und dann wären mehrere Behörden dabei, nachzurechnen.

Einigung in den kommenden Tagen angekündigt

Derzeit warten alle Behörden auf die Details des Gesetzes. In der Bundesregierung laufen die Gespräche auf Hochtouren. Morgen soll wieder ein Treffen im Kanzleramt stattfinden. Bis spätestens kommende Woche, wenn sich das Kabinett in Meseberg trifft, sollen die offenen Fragen geklärt sein.

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