Wie wirken sich Wahl-Gerüchte auf die Bürger und Bürgerinnen aus?
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#Faktenfuchs: Welche Wirkung haben Wahl-Gerüchte?

#Faktenfuchs: Welche Wirkung haben Wahl-Gerüchte?

Die Wiederholung von Falschbehauptungen und Mythen rund um Wahlen hat Einfluss, sagen Experten. Das kann so weit gehen, dass Wahlen dann tatsächlich beeinträchtigt werden könnten. Tatsächlicher Wahlbetrug ist strafbar. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Dieser #Faktenfuchs ist erstmals am 9. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Darum geht’s:

  • Seit Jahren stellen Experten fest, dass immer bei Wahlen ähnliche Gerüchte gestreut werden - etwa über Wahlhelfer, Urnen oder die Briefwahl.
  • Die Gerüchte haben bei einigen Menschen verfangen. Das Misstrauen in die Institution der Wahlen birgt Gefahren.
  • Glaubwürdige Informationen vor der Wahl und im Wahllokal können helfen.

Jede Bürgerin und jeder Bürger darf die Landtagswahl am 8. Oktober beobachten. Wie jede andere Wahl ist sie öffentlich - ein wichtiges Prinzip für die Sicherheit von Wahlen. Solche Wahlbeobachter sollen Abstand halten von den Wahlhelfern und vom Wahlvorstand, etwa während der Auszählung. Auch das dient der Sicherheit, nämlich jener der Wahlhelfer.

Bei der Bundestagswahl 2017 und der zurückliegenden Landtagswahl 2018 in Bayern bestand die Gefahr, dass die Wahlen gestört wurden. Der Ursprung waren Gerüchte, die kampagnenartig gestreut wurden, um Misstrauen zu schüren. "Da ging es auch immer darum zu sagen: 'Wir als Wahlbeobachtende verhindern Wahlbetrug'", sagt Karolin Schwarz, freie Analystin und Expertin für Desinformation, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.

Es sei damit die Grundannahme verbreitet worden, es gebe Wahlbetrug und die Aufgabe der Aufgerufenen sei es, ihn zu verhindern, so Schwarz. (Wahlbetrug ist strafbar. Lesen Sie in einer Glühbirne weiter unten, welches Strafmaß für die einzelnen Taten vorgesehen ist.) Zur bevorstehenden Landtagswahl ist das auch wieder zu beobachten: Die AfD in Bayern ruft Unterstützer explizit zur Wahlbeobachtung auf, um "Wahlbetrug" zu verhindern.

"Wahlbeobachtung ist zulässig. Die Wahl findet öffentlich statt, vom Anfang bis zum Ende", sagt der bayerische Landeswahlleiter Thomas Gößl dem BR24 #Faktenfuchs. "Aber was natürlich wichtig ist: Es gibt Grenzen. Es darf nicht sein, dass die Wahlhandlung gestört wird."

Kontrollmöglichkeiten für Bürger - und wie sie ausgenutzt werden

In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass das nicht selbstverständlich ist. Denn manche wollten diese Öffentlichkeit der Wahl instrumentalisieren: Sie riefen Bürger und Bürgerinnen dazu auf, als Wahlbeobachter in die Wahllokale zu gehen und die Auszählung zu verfolgen.

Zur Bundestagswahl 2017 waren derartige Aufrufe Experten zufolge sehr stark verbreitet, und in den Folgejahren gab es ähnliche Fälle, wie dieser BR24-Bericht zur Europawahl 2019 zeigt. Vor allem der Verein "Ein Prozent", den das Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft, war derart aktiv. Auch AfD-Landespolitiker hatten zu den Aktionen von "Ein Prozent" aufgerufen.

Wie aus vermeintlichem Wahlbetrug Kapital geschlagen wird

Die Strategie dahinter erklärt Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung so: "Aus der Sicht jetzt spezifisch der AfD ist das Spiel mit dem vermeintlichen Wahlbetrug eine Win-win-Situation. Sie können vor der Wahl sagen, wir erwarten soundsoviel Prozent. Und wenn sie das nicht bekommen, kann man einfach sagen: 'Wahlbetrug'. Im schlimmsten Fall passiert nichts. Im besten Fall hat man dadurch den politischen Gegner diskreditiert, das politische System diskreditiert, und baut sich eine bessere Position für die nächsten Wahlen auf."

Die Aufrufe hätten aber auch eine individuelle Wirkung auf die Einstellung jener, die solchen Aufrufen folgten, sagt Schwarz: Es führe dazu, "dass man schon mit einem ganz anderen Mindset dahingeht: etwas zu bekämpfen". In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass diese Herangehensweise "teilweise einfach sehr aggressiv machte".

Eine Wirkung, die sich auch in Bayern zeigte, wenn auch laut Landeswahlleitung nicht besonders häufig: "Wir haben in Bayern nur wenige Fälle gehabt dieser Art", sagt Landeswahlleiter Gößl. Und dennoch:

Es wurde in Folge dieser Wahlbeobachtungsaufrufe eine weitere Regel eingeführt: Ein Ein- bis Zwei-Meter-Abstand, der zu den Wahlhelfenden und zum Wahlvorstand eingehalten werden sollte. "Das war tatsächlich eine Hilfestellung für die Wahlvorstände jetzt in den Jahren der Bundestagswahl 2017 und der Landtagswahl 2018, wo das Thema zum ersten Mal wirklich kam", sagt Gößl.

Die AfD in Bayern macht das auch diesmal vor der Landtagswahl explizit.

Problematisch wird es laut Daniel Hellmann, wenn die Wahlbeobachter die Auszählung stören und dafür des Wahllokals verwiesen werden, wie es in sehr seltenen Fällen vorgekommen sei. "Dann können sich die Wahlbeobachter nämlich hinstellen und behaupten, sie wären des Raums verwiesen worden, weil hinter verschlossenen Türen geschummelt werden solle. Also auch das ist ein Mechanismus, den man populistisch ausnutzen kann."

Wer ruft zur Wahlbeobachtung auf?

In den vergangenen Jahren seien die Aufrufe zur Wahlbeobachtung nach Einschätzung von Karolin Schwarz vielfältiger geworden. "Es gab mehrere Akteure und Akteurinnen und Gruppen, die das dann entsprechend genutzt haben und nicht mehr nur unbedingt 'Ein Prozent' und die klar rechtsextreme Schiene, sondern eben auch verschwörungsideologische Akteure, 'Querdenker' und so weiter, die ihre Reichweiten dafür genutzt haben."

Aufrufe in organisierter Form von anderen Parteien als der AfD sind dem Wahl-Experten Hellmann nicht bekannt. Vereinzelt könne es aber auf persönlicher Ebene vorkommen, dass Parteien Wahlbeobachter schicken. "Generell ist das ja eher ein seltenes Phänomen, was vermutlich auch daran liegt, dass die meisten Bewerber der Auszählung vertrauen", so Hellmann.

Eine zweifelhafte Quelle - weite Verbreitung

Die Sozialen Medien führten Hellmann zufolge zu einer neuen Dynamik. "Anders als früher braucht es einfach nur eine Person, die bei Facebook, Twitter oder wo auch immer postet: 'Ich war gerade in Wahllokal XYZ. Ich habe das und das beobachtet. Und das ist doch ein ganz klares Zeichen für organisierten Wahlbetrug.'" Das werde geteilt - und dann habe man auf einmal sehr viele Leute, die dasselbe behaupten, sich auf dieselbe Quelle beziehen. "Und diese Quelle kann entweder das einfach bloß falsch beobachtet haben, falsch wahrgenommen haben oder eben ganz offenkundig diese Situation erfunden haben", sagt Hellmann.

Der Medienforscher Axel Bruns von der Queensland University of Technology in Australien sieht das ähnlich: "Mitunter reicht es schon, dass eine einzige Falschinformation ein größeres Publikum erreicht, um großen Schaden anzurichten", sagte er 2022 dem Science Media Center. "Und das ist natürlich auch der Ansatz vieler Desinformations-Akteure: Viele Inhalte rauszuhauen in der Hoffnung, dass davon auch nur der eine oder andere viral geht und seinen Schaden anrichtet." Insgesamt gebe es also viele Desinformationen mit sehr geringer Reichweite, und einige wenige mit großer Reichweite – und letztere seien das deutlich größere Problem.

Für entsprechend problematisch hält Karolin Schwarz es, wenn große Medien oder prominente Persönlichkeiten - wie etwa vor der Bundestagswahl 2021 bestimmte Medien und einzelne Politiker - Falschmeldungen aufgreifen. Das führe dazu, dass tendenziell mehr Menschen daran glauben, sagt die Desinformations-Expertin.

Wie groß ist der Einfluss von Falschinformationen zu Wahlen in Deutschland?

Eine bundesweite, repräsentative Befragung von wahlberechtigten Internetnutzern der Nichtregierungsorganisation Reset.tech ergab: 2021 befürchteten 31 Prozent der Befragten, dass es bei der Wahl - etwa der Briefwahl - nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. (Reset.tech ist eine Non-Profit-Organistion, die sich dafür einsetzt, dass große Technologie-Konzerne auch Regeln befolgen müssen, die das öffentliche Interesse schützen.) Dabei äußerten diese Sorge bezüglich der Briefwahl überproportional häufig Wähler und Wählerinnen der AfD (69 Prozent). Wie sicher die Briefwahl tatsächlich ist, schaute sich der #Faktenfuchs auch 2021 schon genauer an.

Dennoch sieht etwa das Institute for Strategic Dialogue (ISD) das Vertrauen in die Institution der Wahl bislang nicht bedrohlich erschüttert. Das ISD ist ebenfalls eine Non-Profit-Organisation, die sich unter anderem gegen Desinformation einsetzt. Der Thinktank ermittelte digitale Bedrohungen während des Bundestags-Wahlkampfs von 2021, am Wahltag und nach der Wahl. Das Ergebnis der Autorinnen in ihrem Bericht von 2022: "Mehrere kulturelle Faktoren, wie ein stärkeres Vertrauen in die Medien und ein Mehrparteiensystem, das weniger anfällig für Polarisierung ist, haben vermutlich dazu beigetragen, dass das deutsche Online-Publikum weitgehend resistent gegen digitale Manipulation geblieben ist." Die Online-Verbreitung von Desinformation über die Integrität der Wahl in Deutschland sei im Großen und Ganzen auf verschwörungsideologische und rechtsextreme Kreise, Covid-19-Skeptiker und Gruppen von AfD-Unterstützen beschränkt gewesen.

Auch die freie Analystin und Desinformations-Expertin Schwarz wägt in ihrer Einschätzung ab: "Wenn jetzt eine Falschbehauptung zur Briefwahl die Runde macht, das trägt noch nicht unbedingt dazu bei, dass das Vertrauen in die Briefwahl generell unterhöhlt wird", sagte sie dem #Faktenfuchs. "Aber wenn das über Jahre passiert, und das ist ja der Fall gerade, dann hat das letztendlich schon einen gewissen Effekt durch die Wiederholung", sagte Schwarz.

Der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann von der Universität Leipzig sagte dem Science Media Center 2022: "Es gibt Desinformation – aus dem In- und aus dem Ausland. Aber es gibt keinen Anlass, unsere Demokratie dadurch als gefährdet zu betrachten. Laut Umfragen haben viele Bürger Angst vor den Auswirkungen von Desinformation auf unsere Demokratie. Das ist kaum gerechtfertigt."

Was können die Behörden tun?

Die Wahlorgane - wie der Landeswahlleiter - sind dafür verantwortlich, dass die Wahl ordnungsgemäß ablaufen kann. Um Falschinformationen zu begegnen, haben sie Möglichkeiten.

In sozialen Medien Falschmeldungen zu beantworten und darauf zu reagieren, hält Karolin Schwarz für eine gute Strategie. "Es wird einen Teil geben, den man vielleicht auch einfach nicht überzeugen kann aus verschiedenen Gründen, aus generellem Misstrauen gegenüber politischen Prozessen. Das löst man jetzt nicht einfach nur, indem man auf die Wahl und Falschmeldung zur Wahl reagiert", sagt Schwarz. "Aber ich glaube, es ist wichtig, dass man aufpasst, dass es nicht zu viele Menschen erreicht. Da können auch die Landeswahlleiter darauf reagieren und entsprechend Statements herausgeben, auch im Vorfeld, weil es eben immer wieder das Gleiche ist", sagt Karolin Schwarz. Auch in den Wahllokalen oder schon früher könnten den Menschen Informationen helfen.

💡 Welches Strafmaß ist möglich bei Wahlmanipulation?

Ob Manipulationen im Zusammenhang mit einer Landtagswahl im Einzelfall einen Straftatbestand erfüllen, prüft jeweils die Staatsanwaltschaft - und letztlich entscheiden darüber unabhängige Gerichte im jeweiligen Einzelfall. Die Staatsanwaltschaften sind grundsätzlich verpflichtet, einen konkreten Sachverhalt unter sämtlichen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, wie das bayerische Justizministerium dem #Faktenfuchs versichert. Dem Ministerium zufolge sieht das Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit Wahlen zum Beispiel folgende Strafbarkeiten vor:

1) Wahlbehinderung (§ 107 StGB): Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Wahl oder die Feststellung ihres Ergebnisses verhindert oder stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

2) Wahlfälschung (§ 107a StGB): Wer unbefugt wählt, ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

3) Fälschung von Wahlunterlagen (§ 107b StGB): Mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, wer

  • seine Eintragung in die Wählerliste (Wahlkartei) durch falsche Angaben erwirkt,
  • einen anderen als Wähler einträgt, von dem er weiß, dass er keinen Anspruch auf Eintragung hat,
  • die Eintragung eines Wahlberechtigten als Wähler verhindert, obwohl er dessen Wahlberechtigung kennt,
  • sich als Bewerber für eine Wahl aufstellen lässt, obwohl er nicht wählbar ist.

4) Verletzung des Wahlgeheimnisses (§ 107c StGB): Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft.

5) Wählernötigung (§ 108 StGB): Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer rechtswidrig

  • mit Gewalt,
  • durch Drohung mit einem empfindlichen Übel,
  • durch Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses oder
  • durch sonstigen wirtschaftlichen Druck einen anderen nötigt oder hindert, zu wählen oder sein Wahlrecht in einem bestimmten Sinne auszuüben.

6) Wählertäuschung (§ 108a StGB): Wer durch Täuschung bewirkt, dass jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

7) Wählerbestechung (§ 108b StGB): Wer einem anderen dafür, dass er nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle, Geschenke oder andere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Fazit

Gerüchte und Kampagnen, die vermeintlichen Wahlbetrug unterstellen, kursieren regelmäßig vor, während und nach Wahlen. Das kann einen Einfluss haben auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratische Institution der Wahl. Eine repräsentative Umfrage etwa zeigte, dass 2021 knapp ein Drittel der Befragten befürchtete, dass es bei der Wahl - etwa der Briefwahl - nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Behauptungen, es gebe Wahlbetrug, kann in Einzelfällen zu Aggressionen gegen Wahlhelfende führen. Tatsächlicher Wahlbetrug ist strafbar.

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