Ein Autofahrer hupt die Arbeiter in ihren signalorangen Anzügen an. Im Würzburger Stadtverkehr muss er gerade warten, er kommt nicht am in die Kreuzung ragenden Müllfahrzeug vorbei. "Die demonstrieren wegen mehr Geld, und dann behindern sie. Ich finde das nicht in Ordnung", beschwert sich der Fahrer hinterm Lenkrad. Es kann schon mal ruppig zugehen für die Männer und Frauen bei der Müllabfuhr.
Müllfrau Lissi: "Man braucht schon ein dickes Fell"
"Man braucht schon ein dickes Fell. Man darf nicht empfindlich sein", sagt Elisabeth Fischer, die von allen nur Lissi genannt wird. Trotzdem arbeitet die 59-Jährige gerne als Müllfrau: "Die frische Luft, die Leute, die Kollegen. Es ist einfach ein Traum." Erst mit Anfang 50 ist Fischer zur Müllabfuhr gewechselt, vorher arbeitete sie in einer Bäckerei – bis sie einen lokalen Zeitungartikel mit dem Titel "Starke Frau in Orange" gelesen hat. "Mir hat eigentlich schon die Überschrift gereicht", sagt Fischer, "da wusste ich: Jetzt stellen sie Frauen ein, jetzt kommt deine Zeit."
Für den ersten Part einer dreiteiligen Serie hat Kontrovers – Die Story Müllmänner und -frauen bei ihren Schichten begleitet. Fischer ist in ihrer Branche noch immer eine Rarität: In München arbeiten aktuell 533 Männer als Müllwerker, aber nur drei Frauen. In Frankfurt ist das Verhältnis 340 zu eins, in Berlin 788 zu 24. Einige Städte wie Köln oder Leipzig beschäftigen gar keine Müllwerkerinnen. "Das liegt an der körperlich schweren Arbeit", heißt es aus Leipzig auf Nachfrage von Kontrovers – Die Story.
Gelegentliche Begegnungen mit Ratten im Müll
Lissi Fischer kennt solche Vorurteile: "Für mich ist das Motivation zu zeigen: Das können auch Frauen." Als sie in Würzburg anfing, gab es nicht mal passendes Schuhwerk in ihrer Größe. "Die ersten 14 Tage waren hart, Muskelkater und alles", erzählt Fischer.
In der Stadt läuft sie neben dem Müllfahrzeug her: Wenn der Fahrer hält, heißt es: die schweren Tonnen aus den Innenhöfen holen, kippen, zurückschieben und weiterlaufen zum nächsten Haus. Ein anstrengender Job, aber Fischer hat es durchgezogen. Seit acht Jahren ist das ihr Arbeitsalltag. Auch gelegentliche Begegnungen mit Ratten im Müll und der Gestank stören sie nicht.
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Nur ein Drittel der Abfälle im Restmüll gehört eigentlich dort hin
Zu tun gibt es für die Müllabfuhren in Bayern genug. Knapp zwei Millionen Tonnen Restmüll fallen im Freistaat pro Jahr an. Vom Säugling bis zur Rentnerin entspricht das im Schnitt rund 150 Kilogramm pro Person. Dabei ist nur rund ein Drittel der Abfälle, die in der Restmülltonne landen, tatsächlich Restmüll wie zum Beispiel Windeln oder Staubsaugerbeutel. Die anderen zwei Drittel gehören eigentlich anders entsorgt.
Knapp 40 Prozent in den Restmülltonnen sind in Wahrheit Biomüll, dazu kommen 28 Prozent Wertstoffe wie Altpapier und Plastik, die recycelt werden könnten. Fischer zieht mehrere Teile aus dem Müll, die einst wohl eine Kleiderstange bildeten und legt sie neben die Tonnen: "Das ist Metall, das darf hier nicht rein."
6.30 Uhr ist Schichtbeginn
Während Fischer und ihre Kollegen durch die teils engen Straßen in Würzburg manövrieren, sammeln Sebastian Huber und Stefan Puscher den Müll in Moosburg im Landkreis Freising. Um 6.30 Uhr ist Schichtbeginn, bis 15 Uhr müssen sie die Ladung in München abliefern, sonst schließt die Müllverbrennungsanlage und das Fahrzeug muss über Nacht voll beladen im Hof stehen bleiben. "Das ist nicht ideal", sagt Huber.
Zu Beginn der Schicht sitzt er am Steuer während sein Kollege am Fahrzeugende die Tonnen in die Vorrichtung einhängt. Später, nach der Hälfte der Arbeitszeit, wird gewechselt. Bei der Fahrt von Haus zu Haus ruft Puscher vielen der Anwohner ein morgendliches "Griaß di" entgegen. Auf dem Land ist die Arbeit der Müllabfuhr weit weniger anonym, als in der Stadt. "Wir kennen viele Leute persönlich", sagt Puscher, "das ist immer nett." Ab und zu stehen für die Müllwerker neben den Tonnen auch kleine Geschenke in Form von Kaltgetränken bereit.
Familie lässt sich nur mit Zweitjob ernähren
Die Arbeit der Müllabfuhr ist unverzichtbar, das Gehalt könnte für manch einen aber noch besser ausfallen. Er verdiene 2.500 Euro netto sagt Huber und fügt hinzu: "Ich glaube nicht, dass man damit eine Familie ernähren kann." Um ihren Lohn aufzustocken, haben sowohl er als auch sein Kollege einen Zweitjob. Huber arbeitet als Hopfenbauer, Puscher als Christbaumbauer.
An diesem Tag wird es knapp mit der Frist von 15 Uhr, immerhin ist es nach der letzten Tonne noch rund eine Stunde Fahrt von Moosburg nach München. Letztendlich kommen die Müllwerker rechtzeitig an. "Gott sei Dank pünktlich in der Zeit", sagt Puscher am Steuer. Rund 13 Tonnen Müll landen im Schacht und werden verbrannt. Auch Lissi Fischers Arbeitstag in Würzburg ist vorbei. Ihr Smartphone dokumentiert, wie viel sie heute gelaufen ist. Was sagt der Schrittzähler? "19.296", sagt Fischer, "doch mehr als ich gedacht habe."
- Folge 2 der dreiteiligen Serie über Müll: Recycling auf dem Schrottplatz: So wertvoll ist unser Müll
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