In der Schreinerwerkstatt des Gymnasiums Landschulheim Marquartstein im Kreis Traunstein herrscht Hochbetrieb: Es wird gesägt und gefeilt. Vormittags sind die Fünftklässler dran, denn bereits im Werkunterricht wird das Interesse für Holz und Holzbearbeitung geweckt.
In die Schreinerlehre dürfen nur gute Schüler
Die beiden 11-Jährigen, Simon und Valentin, sind mit Feuereifer am Arbeiten. Sie schreinern unter Anleitung von Werkstattleiter und Schreinermeister Michael Huber einen Briefkasten aus Fichtenholz, samt Klappe für die Briefe und Extra-Halterung für eine Zeitung. So werden schon die jüngsten Gymnasiasten an etwas herangeführt, was es nur am Gymnasium Marquartstein gibt: neben dem Abitur eine zusätzliche Schreinerlehre.
Die Herausforderung ist groß. Wer die fünfjährige Schreinerlehre neben dem "normalen" Unterricht am Gymnasium machen will, braucht deswegen gute Noten. Drei Schüler werden pro Schuljahr als Lehrlinge genommen. Sie werden jede Woche in Theorie und Praxis unterrichtet und müssen auch noch in den Ferien ein Praktikum in einer Schreinerei machen. Darunter dürfen die anderen Fächer nicht leiden. Darum entscheiden die Lehrer über die Zulassung zur Schreinerlehre am Gymnasium.
Arbeiten in Schreinerei verbessert Schulnoten
Zweimal in der Schulwoche geht es zum praktischen Arbeiten von 14.30 bis 17 Uhr in die Werkstatt des Gymnasiums. Dort lernen die Jugendlichen mit Stichsäge, Feile und sonstigen Werkzeugen zu arbeiten. Sie bauen Sitzgelegenheiten mit ausklappbaren Tischchen für die Schule oder bauen Nachtkästchen und Hocker.
Die Schreinerlehre ist inzwischen nicht ausschließlich etwas für Jungs. Immer mehr Mädchen interessieren sich dafür am Gymnasium Landschulheim Marquartstein. Wie die 16-jährige Stella, die 2024 ihren Abschluss an der Schule machen möchte. Ihre Familie ist nach Berlin gezogen, doch Stella wollte unbedingt an ihrem Gymnasium bleiben, um das Abi samt Lehrabschluss als Schreinerin zu schaffen. Stella sagt, ihr bringe die Schreinerlehre viel, vor allem im strukturierten Denken. Dadurch sei sie auch in Fächern wie Mathe und Physik besser geworden.
Lernen und Arbeiten bei Meister Huber
In den vergangenen fast 20 Jahren hat Schreinermeister Michael Huber viele Gymnasiasten zur und durch die Gesellenprüfung begleitet. Er liebt seinen Beruf und gibt seinen Erfahrungsschatz und den Umgang mit Holz gerne an die Jugend weiter.
Schreiner im Hauptberuf ist zwar keiner der Gymnasiasten geworden, doch die Zusatzqualifikation ist für jeden eine wichtige Sprosse auf der Karriereleiter. Alle können ihr erlerntes Wissen nutzen, wenn nicht im Beruf als Architekt oder als Bauingenieur, dann im privaten Bereich, um einen Schrank oder ein Regal zusammenzubauen. Die Rückmeldung der ehemaligen Schreinerlehrlings-Gymnasiasten sei durchweg positiv: "Alle sagen, sie würden das sofort wieder machen", freut sich Lehrherr Michael Huber.
Projekt einzigartig in Bayern
Auch Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) ist begeistert von dem bayernweit einzigartigen Ausbildungsprogramm. "Ich begrüße das Projekt sehr und freue mich, dass es so erfolgreich ist".
Pläne für Schreinerausbildungen an anderen Gymnasien in Bayern gibt es aber keine. "In Marquartstein haben wir besondere Voraussetzungen: Das Gymnasium ist ein Landschulheim mit viel Platz und es gibt einen Schreinermeister im Kollegium", so Piazolo. Die berufliche Orientierung am Gymnasium will der Minister aber auch anderweitig noch mehr stärken.
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