Der tschetschenische Machthaber Kadyrow (Archivbild)
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Hat der tschetschenische Machthaber Kadyrow einen Mord in Auftrag gegeben?

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Mordauftrag im Namen Kadyrows? Prozessauftakt in München

Wollte der tschetschenische Machthaber Kadyrow einen seiner Kritiker in Bayern töten lassen? Ab heute steht in München ein Mann vor Gericht, der einen solchen Mordauftrag aus tschetschenischen Sicherheitskreisen erhalten haben soll.

Mehrere Tausend folgen Mokhmad A. auf Youtube. Der gebürtige Tschetschene lebte zuletzt in Bayern im Raum Augsburg in einer Asylunterkunft. Der 27-Jährige ist ein Oppositioneller im deutschen Exil. Auf Youtube stellt er sich zum Beispiel in einem Video gegen Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow, der zur Unterstützung Russlands seine Soldaten in die Ukraine geschickt hat.

"Unsere Religion, unser Volk sind rein von euch", sagt A. in dem Video, "kein ehrwürdiger Tschetschene würde das ukrainische Land mit Waffen in der Hand betreten, um die Interessen der russischen Föderation und ihres Präsidenten Wladimir Putin zu verfechten."

Bundesanwaltschaft: Wohnort des Opfers ausgespäht

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der tschetschenische Autokrat Kadyrow den Oppositionellen in Deutschland ermorden lassen wollte. Den Ermittlern zufolge kam der Auftrag aus dessen Sicherheitsapparat und ging an den 47-jährigen Russen Valid D.. Dieser muss sich ab Mittwoch in München vor dem Oberlandesgericht verantworten. Valid D., so die Ermittler, habe sich eine Schusswaffe mit Munition und Schalldämpfer besorgt. Zudem soll er im Sommer 2020 den Wohnort des Opfers ausgespäht haben. Ein solches Vorgehen Kadyrows sei in Deutschland ungewöhnlich, sagt Extremismus-Forscher Hans-Jakob Schindler, Seniordirektor der internationalen gemeinnützigen Organisation Counter Extremism Project.

In anderen Ländern, vor allem der Türkei, sei Kadyrow dagegen sehr aktiv. Hier gab es Schindler zufolge "die letzten Jahre immer wieder Vorfälle, von denen man annehmen konnte, dass es der tschetschenische Sicherheitsdienst war". Es seien seltsame Todesfälle gewesen, so der Terrorforscher: "Ermordungen, die dann immer irgendwie durch Unfall, Kriminalität erklärt wurden. Diese Morde waren aber doch schon sehr seltsam, weil es vor allem Oppositionelle betroffen hat."

Für seinen Machterhalt mache Kadyrow, was er wolle, sagt Schindler. Insbesondere in Tschetschenien könne es böse enden, die Familie Kadyrow zu kritisieren. Dann erkläre er schonmal Kritiker zu islamistischen Terroristen. Auch vor Sippenhaft schrecke Kadyrow nicht zurück. Die ganze Familie eines Kritikers könne dann im Gefängnis landen.

Tendenziell lässt sich feststellen, dass in Europa Auftragsmorde zunehmen, spätestens seit 2009, seit Kadyrow an der Macht sei, sagt Tschetschenien-Expertin Miriam Katharina Heß von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Dieses gerichtliche Bearbeiten und Feststellen der Schuldigkeit" sei wichtig. "Die deutsche Rechtsprechung gehört zu denen, die am mutigsten und progressivsten sind."

Anvisiertes Opfer: "Bin erschüttert und verunsichert"

Auch das in Deutschland anvisierte Opfer Mokhmad A. hat Mitstreiter, die offenbar ebenfalls um ihr Leben fürchten müssen. Dazu gehört A.s älterer Bruder, der in Schweden im Exil lebt und sich ebenfalls in sozialen Netzwerken engagiert – und vor allem Kadyrow kritisiert. Laut Bundesanwaltschaft sollte mit der Ermordung eben dieser Bruder zum Schweigen gebracht werden. Nun im Münchner Prozess ist Mokhmad A. Nebenkläger. Über seine Anwältin lässt er mitteilen: "Ich bin erschüttert und verunsichert. Ich habe Angst vor weiteren Anschlägen auf mich und meinen Bruder. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern."

Der Angeklagte und der mutmaßliche Komplize

Der Angeklagte Valid D. wurde verhaftet, bevor er seinen mutmaßlichen Plan in die Tat umsetzen konnte. Die Bundesanwaltschaft spricht unter anderem vom Vorwurf des "Sichbereiterklärens zu einem Mord im staatlichen Auftrag".

Hilfe sollte Valid D. bei seinem Vorhaben von einem weiteren potenziellen Attentäter bekommen, den er laut Bundesanwaltschaft aus Tschetschenien nach Deutschland eingeschleust hatte. Die Ermittler sind sich sicher, dass dieser mutmaßliche Komplize des Angeklagten den Auftrag aber aus Angst vor Konsequenzen nur zum Schein angenommen hatte und das Attentat in Wirklichkeit nie begehen wollte. Welche Rolle dieser Komplize bei der Verhaftung des Angeklagten spielte, darüber gibt es bislang keine offiziellen Angaben. Für das Verfahren sind 39 Verhandlungstage angesetzt. Terminiert ist vorerst bis Ende Dezember.

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