Die Gewalttat bei Neuschwanstein war Mord – darin sind sich die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung einig. In ihren Plädoyers vor einer Woche forderten sowohl die Anklage als auch die Verteidiger des 31-jährigen Amerikaners eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten. "Die Taten sind massiv, sie sind schrecklich und sie machen sprachlos", sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer und sprach von einer "menschenverachtenden Gesinnung" des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem US-Amerikaner aus Lincoln Park (Michigan) unter anderem Mord, versuchten Mord und Vergewaltigung mit Todesfolge vor.
Angeklagter lockt Opfer zu abgelegener Stelle
Am 14. Juni vergangenen Jahres traf der Mann, der als Tourist in Deutschland war, auf einem Wanderweg in der Nähe der berühmten Marienbrücke bei Schloss Neuschwanstein zufällig auf die beiden Studentinnen aus den USA. Unter dem Vorwand, ihnen einen besonders schönen Aussichtspunkt auf das Schloss zeigen zu wollen, lockte er die Frauen zu einer abgelegenen Stelle. Dort soll der Angeklagte die jüngere der beiden – eine 21-jährige Studentin aus dem US-Bundesstaat Illinois – plötzlich von hinten angegriffen, zu Boden gerissen und gewürgt haben.
Staatsanwalt: "Er wollte sich ihrer entledigen"
Als ihre 22-jährige Freundin der Frau zu Hilfe eilte, soll der Amerikaner diese nach einem kurzen Kampf über einen steilen Abhang in die Schlucht gestoßen haben. "Er wollte sich ihrer entledigen, sie musste weg", ist der Staatsanwalt überzeugt. "Deshalb stieß er sie in die Pöllatschlucht hinab." Die 22-Jährige fiel mehr als 50 Meter in die Tiefe. Nur ein querliegender Baum verhinderte, dass die Frau noch weiter in den an dieser Stelle gut 100 Meter tiefen Abgrund stürzte. Die 22-Jährige erlitt bei dem Sturz Platzwunden, Schürfwunden und Prellungen. Die Staatsanwaltschaft wertet den Angriff auf die 22-Jährige als versuchten Mord.
Die Verteidiger des Angeklagten sehen darin lediglich eine gefährliche Körperverletzung. Ihr Mandant habe nicht gewusst, dass der Abhang so steil sei und ein Sturz tödlich enden könnte, argumentierten die Anwälte des 31-Jährigen vor Gericht.
Nach ihrem Sturz in die Tiefe harrte die 22-jährige Studentin in Todesangst in dem Steilhang aus und setzte mehrere Notrufe ab. Unterdessen würgte der Angeklagte ihre 21-jährige Freundin oberhalb des Abhangs nach eigenen Angaben bis zur Regungslosigkeit und vergewaltigte die Frau. Ein Video, das der Angeklagte selbst mit seinem Handy filmte, zeigt, dass er die Frau auch mit seinem Gürtel bis zur Bewusstlosigkeit strangulierte. Anschließend soll der Mann die 21-Jährige ebenfalls in die Schlucht gestoßen haben. "Er wollte sichergehen, dass die Geschädigte auf keinen Fall überlebt und warf sie deshalb den gleichen Hang hinab", sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. "Er hat sie wie ein Objekt behandelt und hat sie wie einen Gegenstand, den man nicht mehr benötigt, den Hang hinabgestoßen."
Opfer stirbt im Krankenhaus
Die 21-Jährige kam nach dem Sturz 50 Meter weiter unten neben ihrer Freundin bewusstlos und halbnackt zu liegen. Die beiden Frauen wurden von der Bergwacht mit einem Hubschrauber aus dem Steilhang gerettet und in verschiedene Krankenhäuser geflogen. Wenige Stunden nach dem Angriff erlag die 21-Jährige dort ihren Verletzungen. Todesursache war nach Aussage der zuständigen Rechtsmedizinerin der Angriff gegen den Hals und das Würgen. "Es handelte sich um ein vollendetes Tötungsdelikt", sagte sie vor Gericht. Der Angeklagte wurde kurz nach der Tat ohne Gegenwehr in der Nähe der Marienbrücke festgenommen.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung werten den Angriff auf die 21-Jährige als Mord. In ihren Plädoyers am vergangenen Montag forderten deshalb beide eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten. Der Staatsanwalt verlangte darüber hinaus, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen soll. Dadurch könnte der Angeklagte nicht bereits nach 15 Jahren auf Bewährung aus der Haft entlassen werden. Außerdem forderte er zudem den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung des Mannes. In dem Fall könnten Richter später noch eine Verwahrung nach der Haft anordnen, wenn der Beschuldigte weiter für gefährlich gehalten wird.
Die Verteidiger des Angeklagten sehen dagegen weder die besondere Schwere der Schuld noch die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung als gegeben an.
Staatsanwaltschaft geht von sexuellem Motiv aus
Zu Prozessauftakt vor drei Wochen hatte der Angeklagte in einer Erklärung seiner Anwälte ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Allerdings bestritt der 31-Jährige, dass er tatsächlich vorhatte, die beiden Frauen zu töten. Zu seinen Motiven äußerte sich der US-Amerikaner nicht. Er schwieg im weiteren Verlauf des Prozesses. Lediglich in seinem letzten Wort sagte er nach Ende der Plädoyers, er sei sehr traurig über das, was passiert ist.
Die Staatsanwaltschaft geht von einem sexuellen Motiv für die Tat aus. "Die Geschädigte hat genau seinem Typ Frau entsprochen", so der Staatsanwalt: "Eine junge, zierliche Frau mit asiatischem Äußeren: Ich bin überzeugt, dass sie voll in sein Beuteschema gepasst hat." Auf den Handys, dem Laptop und Festplatten des Angeklagten hatten Ermittler neben Fotos und Videos von der Tat auch zahlreiche Pornofilme, Gewaltpornos und kinderpornografisches Material sichergestellt. Etliche der Videos zeigten Frauen asiatischer Herkunft.
Appell der Überlebenden an das Gericht
Am letzten Verhandlungstag - noch vor den Schlussvorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung - wurde vor Gericht noch ein Brief der Überlebenden verlesen. Darin schilderte die 22-Jährige, wie sehr sie unter dem Verlust ihrer besten Freundin und den Folgen der Tat bis heute leidet. Am Ende des Schreibens richtete sie einen Appell an das Gericht: Die Richter sollten berücksichtigen, welchen Schmerz er ihr, ihrer Freundin, deren Familie und ihren Freunden zugefügt habe. "Bitte sorgen Sie dafür, dass er das nicht erneut tun kann!"
Das Urteil will das Gericht am späten Montagvormittag (11.03.) verkünden.
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