Nachdem der #BR24-Faktenfuchs über umstrittene Klarsichtmasken berichtet hat, hat das bayerische Gesundheitsministerium jetzt seine Anforderungen an Mund-Nasen-Bedeckungen geändert. Künftig sind in Bayern nur noch textile Masken zulässig.
Studie ergab: Umstrittene Klarsichtmaske bietet keinen Schutz
Eine Pilotstudie der Hochschule München, die am Dienstag veröffentlicht wurde, hatte ergeben: Klarsichtmasken mit Spalt zwischen Gesicht und Plastik bieten keinen Schutz vor Aerosolen – die das Corona-Virus übertragen können. Doch das bayerische Gesundheitsministerium und das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hatten diese Masken bislang als Mund-Nasen-Bedeckung gelten lassen - wie es auch der Hersteller hatte erreichen wollen. Auch im Arbeitsschutz, auch in Schulen und Kinderkrippen.
LGL passt Masken-Anforderungen an
"Neben dem direkten Schutz gegen Tröpfchen muss auch eine Reduzierung von Aerosolen gewährleistet sein", schreibt das Gesundheitsministerium dem #Faktenfuchs auf Nachfrage. Es sei besonders wichtig, dass die Mund-Nasen-Bedeckung dicht an der Haut anliegt, um auch eine Freisetzung von Aerosolen an der Seite oder nach unten zu minimieren. "Deshalb ist eine Mund-Nasen-Bedeckung eine an den Seiten eng anliegende, Mund und Nase bedeckende textile Barriere, die aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet ist, eine Ausbreitung sowohl von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln als auch von Aerosolen durch Atmen, Husten, Niesen und Aussprache zu verringern, unabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie."
Aufgrund des Ausbreitungsverhaltens von Aerosolen sei eine lückenhafte Abdeckung nicht ausreichend, denn nur mittels einer eng an der Haut anliegenden Mund‑Nasen‑Bedeckung werde eine seitliche oder aufwärtsgerichtete Freisetzung dieser potenziell infektiösen Luftgemische bestmöglich minimiert, heißt es nun in den LGL-Anforderungen. Dies entspreche auch der Haltung des Robert Koch-Instituts.
Begründung des Ministeriums birgt Widersprüche
Das Gesundheitsministerium schließt sich dem jetzt ausdrücklich an - und macht damit eine Kehrtwende - die es so begründet: "Mittlerweile sind die Erkenntnisse über das SARS-CoV-2-Virus und dessen Übertragungswege weit fortgeschritten."
Dabei wirft die Chronologie des Geschehens Fragen auf: Im Juni hatte der Geschäftsführer des Herstellers der besonders umstrittenen Klarsichtmasken laut Medienbericht, mit dem die Firma auch auf ihrer Webseite wirbt, einen Termin bei Gesundheitsministerin Huml. Er ist Funktionär des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga. Das Gesundheitsministerium widerspricht dem Bericht: Es habe im Zuge der genannten Thematik keinen persönlichen Austausch zwischen Ministerin Huml und dem Hersteller des Produktes gegeben.
Im Juli hatte aber das Gesundheitsministerium dem Hotel- und Gaststättenverband in einem Schreiben bestätigt, dass Klarsichtmasken dieses Herstellers als MNB gelten können - und sich dabei auf eine Prüfung durch das LGL berufen. Das Ministerium behandelte diese Klarsichtmasken damit anders als Gesichtsvisiere, die es - in Übereinstimmung mit Experten - für den Bevölkerungsschutz als ungeeignet einstuft - eben wegen der Rolle von Aerosolen.
Rolle von Aerosolen schon deutlich länger bekannt
Doch schon vor Juli, als das Ministerium den Brief verschickte, bestand in der Wissenschaft der dringende Verdacht, dass sich das Virus auch über Aerosole übertragen kann. So hatte die LMU Anfang Juli erste Ergebnisse diesbezüglich. Im Mai maßen Wissenschaftler den Aerosol-Ausstoß bei den Bamberger Symphonikern. Auch diese Studie aus dem Mai geht explizit auf Aerosole ein. Im Juni nahm die Debatte um Klimaanlagen und die Rolle von Aerosolen Fahrt auf und - und kurz nach den Tönnies-Fällen führten Wissenschaftler die hohen Zahlen dort auf Aerosole zurück.
In den FAQ des Gesundheitsministeriums stand noch bis zuletzt (abgerufen am 10.12., 9.53 Uhr), dass Klarsichtmasken als MNB entsprechend der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung getragen werden können. Die Bestätigung des Ministeriums für die Klarsichtmasken als MNB, auf der die Behörde bis zum 10. Dezember beharrte, führte zum Beispiel bei Michael Birkhorst, Leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit der Stadt München, zu Unverständnis: "Wieso der Freistaat Bayern eine Klarsichtmaske infektionsschutzrechtlich und mittlerweile auch arbeitsschutzrechtlich als geeigneten Ersatz für eine textile MNB sieht, kann ich nicht nachvollziehen."
Der Hersteller betonte zuletzt in einer Mail an den #Faktenfuchs, die Funktionsweise der Maske habe das klar definierte Ziel, Schutz vor Tröpfchen zu bieten. Durch das Tragen sollen "Geschwindigkeit des Atemstroms oder Speichel-/Schleim-Tröpfchenauswurfs reduziert und beim Einatmen Tröpfchen abgefangen werden" - damit zitiert der Hersteller die Beschreibung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) für Alltagsmasken.
Landesamt für Gesundheit folgte zunächst Hersteller-Darstellung
Zunächst war das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Darstellung des Herstellers gefolgt. Die Behörde hatte für seine "Prüfung" das selbsterstellte Video des Herstellers, das dem #Faktenfuchs vorliegt, als Grundlage genommen für seine Bestätigung des Produkts als Mund-Nasen-Bedeckung (MNB). Das Video soll laut Angaben des Herstellers den Luftstrom beim Tragen der Maske anschaulich machen - und dass er umgelenkt werde. Sogar die Firma selbst räumt ein, dass sich anhand des Videos nichts über die Verbreitung von Aerosolen sagen lasse - da es nicht unter wissenschaftlichen Bedingungen entstanden sei, Dies betont der Hersteller ebenfalls in einer Mail an den #Faktenfuchs.
Die "Prüfung" der Klarsichtmaske durch das LGL, die auch in dem Schreiben erwähnt worden war, war also keine eigenständige wissenschaftliche Untersuchung.
Medizintechnik-Experte Schwarzbauer, wissenschaftlicher Leiter der Pilotstudie der Hochschule München, schaute sich das Video an und kam zu der Einschätzung: "Hinsichtlich des Infektionsschutzes hat das im Video gezeigte Experiment keine Aussagekraft."
Angesichts der Bestätigung des Gesundheitsministeriums und des LGL fügte Schwarzbauer in einer Mail an den #Faktenfuchs hinzu: "Wenn Informationen wie diese als Entscheidungsgrundlage für Regierungsbehörden dienen ist das alarmierend: Ich würde in diesem Zusammenhang von einer Vorgehensweise sprechen, die nicht nur hochgradig unprofessionell, sondern auch grob fahrlässig und in hohem Maße unethisch ist."
Zwischenfazit: die Merkwürdigkeiten
Das bayerische Gesundheitsministerium hatte also - auf Grundlage einer Prüfung, die lediglich auf Material des Herstellers basierte und nicht auf eigenen Testungen - eine Entscheidung getroffen, Klarsichtmasken als MNB anzuerkennen. Und das zu einem Zeitpunkt, als deren Beitrag zum Infektionsschutz bereits fragwürdig war. Kurz vor der Genehmigung für den Gebrauch der Masken im Gastro-Gewerbe hatte sich die bayerische Gesundheitsministerin Huml laut eines Medienberichts, mit dem Hersteller, einem Dehoga-Funktionär, getroffen - der Hersteller hat diesen Bericht auch auf seiner Webseite veröffentlicht. Das Ministerium allerdings dementiert dieses Treffen und einen persönlichen Austausch in dieser Angelegenheit.
Aerosolforschung: Zweilagige Textilmasken halten mehr ab
Der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, Christof Asbach, sieht das ähnlich. Er sagte dem #Faktenfuchs: "Dieses Produkt ist an der Seite komplett offen. Es hat keine filternde Wirkung und leistet nur eine Umlenkung der Strömung. Wie bei einem Gesichtsvisier werden so nur größere Tröpfchen abgehalten." Die Gesellschaft für Aerosolforschung hatte zu Beginn der Woche ein Positionspapier zur Rolle der Aerosole in der Corona-Pandemie und zu empfohlenem Verhalten herausgegeben.
Möglicherweise halte die Klarsichtmaske etwas kleinere Tröpfchen ab als andere Visiere, sagte Asbach, da sich das Material näher an Mund und Nase befindet. Wie gut große Tröpfchen tatsächlich abgehalten werden, müsste mit Aerosolmesstechnik geprüft werden, so Asbach. "Aber sehr kleine, die schon beim normalen Sprechen oder Atmen ausgestoßen werden, können frei ausströmen - anders als bei anderen Communitymasken. Zweilagige Textilmasken halten mehr ab."
11. Dezember, 8.10h: Wir haben im Absatz zur Chronologie und im Zwischenfazit Ergänzungen vorgenommen. Wir haben die Quelle "laut Medienbericht" ergänzt - ebenso wie die Stellungnahme des Ministeriums, dass ein persönlicher Austausch zwischen Ministerin und Hersteller nicht stattgefunden habe.