Mücken, Mücken, Mücken: Die Menschen am Chiemsee und Ammersee kennen das Problem seit Jahren. Auch aktuell schwirren die kleinen Biester wieder an den Seen herum. Für viele Gemeinden, die nicht direkt an einem See liegen, aber vom Hochwasser betroffen sind, ist die drohende Mückenplage aber ein neues, zusätzliches Problem. Noch sind die Mücken nicht da, aber die Insektenforscher sind sich einig: Sie werden in den nächsten Tagen und Wochen kommen.
Beispiel: Die Hochwassergemeinde Nordendorf bei Augsburg
Mit am stärksten betroffen vom Hochwasser ist die 2.700 Einwohner große Gemeinde Nordendorf im Landkreis Augsburg. Der Ort musste fast komplett evakuiert werden und war tagelang abgeriegelt. Das Wasser stand so gut wie überall. Der Deich an der Schmutter drohte zu brechen. Mittlerweile sind Straßen und Plätze abgetrocknet. Das Ausmaß der Schäden ist noch nicht absehbar. Noch immer steht auf einigen Wiesen das Wasser. Die Wiesen schauen aus wie kleine Seen. Dazu kommt die Wärme der letzten Tage: ein Paradies für Mücken.
Viele Mückenlarven auf überschwemmten Wiesen
"Die Mücken freuen sich", sagt Insektenforscher Thomas Morwinsky von der Bundeswehr in München vom Bereich Public Health. Er geht in Nordendorf auf Mückensuche. Mit einem kleinen Becher in der Hand nimmt der Biologe eine Wasserprobe aus der überschwemmten Wiese und wird schnell fündig. Im Becher zappeln mehrere Mückenlarven. Auch Mückenpuppen schwimmen im Wasser. Es gibt also Mücken in verschiedenen Stadien auf der überschwemmten Wiese. "Das ist schon eine anständige Anzahl an Mücken", stellt der Insektenforscher fest. Bei optimalen Bedingungen schlüpfen die Mücken nun in einer Woche.
100 Stiche pro Minute: Überflutungsmücke ist besonders aggressiv
Mehr als 50 Stechmückenarten gibt es in Bayern. Besonders schlau und gemein ist die sogenannte Überflutungsmücke. Diese einheimische Stechmücke hat sich auf Überschwemmungslagen spezialisiert. Die Mücken sind robust, anpassungsfähig, überleben mehrere Jahre auch im Trockenen, um dann bei Überschwemmung zu schlüpfen. "Außerdem sind sie sehr aggressiv, treten in großen Massen auf und stechen auch tagsüber", so Insektenforscher Martin Geier aus Regensburg. Er hat Mückenplagen in Zahlen bemessen. In solchen Gegenden könne ein Mensch bis zu hundert Stiche pro Minute bekommen. Das Gute: Die Überflutungsmücke überträgt keine Krankheiten.
Nordendorfs Bürgermeister hat Bürger über drohende Mückenplage informiert
Nach dem verheerenden Hochwasser hat Nordendorfs Bürgermeister Tobias Kunz noch immer viel zu tun. Die Infrastruktur wieder in Gang setzen, Feuerwehr und Bauhof neu ausstatten und einsatzfähig machen sowie die Bürgerinnen und Bürgern bei der Antragsstellung nach den Schäden helfen. "Die Mücken sind jetzt unser kleinstes Problem", sagt Tobias Kunz.
Und dennoch hat der Bürgermeister über eine mögliche Mückenplage vorsorglich informiert, damit sich die Bürgerinnen und Bürger zumindest mit Insektenspray eindecken können. Die Gemeinde werde aber nichts gegen die drohenden Mückenschwärme unternehmen, sagt Bürgermeister Tobias Kunz. "Das hat Dimensionen, die können wir gar nicht stemmen." Mehrere Hektar Land waren unter Wasser. Noch immer sind etliche Wiesen voller Wasser. "Wir wüssten auch gar nicht, wie wir die Mückenplage großflächig bekämpfen sollten."
Mangelware: Mückenbekämpfungsmittel BTI
Das bayerische Umweltministerium sagt, der Kampf gegen eine Mückenplage liege in kommunaler Hand und rät, das Mückenbekämpfungsmittel BTI einzusetzen. Aber genau daran mangelt es aktuell, sagen Insektenforscher. Durch das Hochwasser in ganz Deutschland gibt es nun einen höheren Bedarf. Die Firmen kämen mit der Produktion nicht hinterher, so der Münchner Insektenforscher Thomas Morwinsky. Die Firmen, die BTI herstellen, produzierten nicht auf Vorrat, sondern nur für einen gewissen Bedarf, den sie aus jahrelanger Erfahrung haben. "Wenn jetzt auf einmal doppelt oder dreifach so hoher Bedarf da ist, dann heißt es, wer zuerst kauft, kriegt was, und die anderen kriegen eben nichts mehr."
Der Wirkstoff von BTI ist ein Eiweißkristall, das aus dem "Bacillus thuringiensis israelensis" gewonnen wird. Er lässt Larvenstadien von Mücken im Wasser absterben und verschont andere Wasserinsekten.
Appell an Gemeinden: Mehr Vorsorge bei Mückenplage
Mit Sorge beobachtet der Regensburger Insektenforscher Martin Geier schon seit vielen Jahren die Problematik "Mückenplage nach Hochwasser". Er hat sich auf die Bekämpfung von Mücken spezialisiert. Für die betroffenen Gemeinden sei es schwierig, sich neben der Überschwemmung und den Folgen auch noch um die Koordinierung eines BTI-Einsatzes zu kümmern. "Das funktioniert in der Praxis meistens nicht", sagt der Biologe. Das Hauptproblem sei, dass sich die Gemeinden sehr schwertun, eine Organisation aufzubauen und am Leben zu halten für den Einsatz von BTI. Sein Wunsch: eine langfristige Strategie bei der Mückenbekämpfung. Dazu gehört auch: einen Vorrat an BTI anlegen, eine Logistik aufbauen und regelmäßig Übungen durchführen.
Bis dahin raten Insektenforscher bei einer Mückenplage: Sich nur so lang wie nötig im Freien aufhalten, wenn draußen, dann nur in langer Bekleidung und mit Mückenspray einsprühen.
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