Nürnberg hat ein Drogen-Problem. Die Substanzen in der Stadt werden immer unberechenbarer – und die medizinischen Ressourcen immer knapper. Besonders am Wochenende gibt es immer weniger freie Krankenwagen und Intensivbetten für Menschen mit anderen akuten Notfällen, wie etwa Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Im schlimmsten Fall könnte es länger dauern, bis die Patienten die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Um gegenzusteuern, haben sich verschiedene Initiativen in Nürnberg zusammengeschlossen, damit es bald weniger Drogennotfälle gibt.
Krankenhäuser und Rettungsdienste sind überlastet
Auf der Internistischen Intensivstation im Klinikum Nürnberg Nord "spielt" Jan Welker an den Wochenenden quasi Tetris mit Patienten, Pflegekräften und Betten. Wenn von letzteren zum Beispiel nur noch zwei frei sind, aber vier sogenannte "Tox-Patienten", also Personen mit einer Überdosis, auf den langen Gang der Station im 2. Stock gerollt werden, hat er ein Problem. "Dann müssen wir die Ressourcen, die wir haben, dehnen. Und das kann natürlich problematisch sein."
Drei Gruppen von "Tox-Patienten" kommen in die Station: Betrunkene, Konsumenten von sogenannten Partydrogen wie zum Beispiel Ecstasy, sowie Drogensüchtige. "Da ist das Problem vor allem, dass sie oft gar nicht wissen, was genau in dem Stoff ist, den sie konsumieren", sagt Welker.
Szene-Droge "Spice"
In Nürnberg liegt die Droge "Spice" voll im Trend – warum gerade hier, weiß niemand so genau. "Spice" ist der Szene-Name für synthetische Cannabinoide. Die Hersteller tränken Tee, Kräuter oder Cannabis mit Chemikalien, die einen ähnlichen Effekt wie Marihuana haben sollen – oder auch ungleich stärker.
Vor dem Kontakt-Café der Drogenhilfe "Mudra" in Nürnberg liegt der stechend-chemische Geruch von "Spice" in der Luft. Wir treffen dort auf Mohammed, er hat sich gerade eine der Chemie-Kippen angesteckt. "Wenn ich das rauch', wird mein Blut eiskalt", erzählt er. Diese Kälte habe einen Kick. Für ihn wirke Spice so, als würde er eine halbe Flasche Wodka auf einmal trinken. Mohammed sagt: "Manche Leute vertragen das nicht. Gehen den Bach runter. Oder sterben."
Video: "Drogen-Hotspot Nürnberg: Eine Stadt kämpft mit dem Stoff"
Drug-Checking und Schutzräume
Um dem gegenzusteuern, wünschen sich Welker und die Nürnberger Drogenhilfen unter anderem ein "Drug-Checking". Also ein Angebot, bei dem Konsumenten ihren Stoff abgeben könnten. Ein Labor prüft dann, was drin ist – und in welcher Dosis.
Auch Drogenkonsumräume könnten helfen, glauben die Experten. Momentan konsumieren Süchtige vor dem Hauptbahnhof, in den Nürnberger Parks oder irgendwo sonst in der Öffentlichkeit. Das macht den Konsum unsicher und stört Passanten und Anwohner. Also brauche es "akzeptierte Aufenthaltsräume in Kombination mit Hilfsangeboten", sagt Mudra-Sozialpädagoge Martin Kießling. In den Konsumräumen könnten Betroffene ihren Stoff in Ruhe und mit medizinischer Überwachung spritzen, schlucken oder rauchen. Andernorts gibt es bereits Konsumräume. Die Suchtkooperation NRW erklärt zum Beispiel im Jahresbericht 2022: Einer von 1.000 Konsumvorgängen werde in den Konsumräumen in Nordrhein-Westfalen zum Notfall.
CSU: Nicht Dealern helfen oder Konsum unterstützen
Die CSU ist in Bayern grundsätzlich gegen Drug-Checking und Drogenkonsumräume. Die Argumentation der Partei: Man wolle den Dealern nicht bei ihrer Arbeit helfen und generell Drogenkonsum nicht unterstützen - suchtkranken Menschen helfen wolle man aber schon.
Deshalb sagt Bernhard Seidenath (CSU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses: "Hilfskonzepte müssen sich auf die Unterstützung schwerstkranker Personen beschränken." Ob und wie Drug-Checking und Drogenkonsumräume in Nürnberg möglich wären, erforschen aktuell Hochschulen aus der Region.
Das Nürnberger Drogenhilfemodell
Die Studien sind Teil des Nürnberger Drogenhilfemodells. Seit 2021 arbeiten Kliniken, Hochschulen und die Drogenhilfen gemeinsam daran, der Drogenproblematik in der Stadt gemeinsam etwas entgegenzusetzen. Die Herangehensweise: Zusammen erheben die Beteiligten Daten über die Drogen-Szene der Stadt, erstellen Studien und erarbeiten auf Basis der so gewonnen Erkenntnisse effektive Maßnahmen.
Die CSU-Landtagsfraktion hat es bislang mit mehreren Hunderttausend Euro gefördert, 360.000 Euro kamen zusätzlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Einige Maßnahmen zur Prävention, Akutversorgung und Nachsorge haben die Akteure bereits umgesetzt, etwa die Versorgung der Drogenhilfen mit dem Medikament Naloxon, das gegen Heroin-Überdosen hilft.
Wenn das Modell hält, was es verspricht, und Drogennotfälle weniger werden, könnte es auch in anderen Städten umgesetzt werden, sagt Bernd Seidenath. Er wünscht sich, "dass das Nürnberger Modell irgendwann zum Metropolmodell wird."
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