Sonntagmorgen. Während die meisten Menschen in Regensburg noch schlafen, beginnt für Substitutionsarzt Eduard Boniakowski und sein Team ein intensiver Arbeitstag. Kurz vor 7 Uhr sammeln sich bereits die ersten Patienten vor seiner Praxis, um ihr Substitut abzuholen – meist Methadon, ein Ersatzstoff für Heroin.
Wie an jedem Tag steht eine Tour durch Niederbayern an, um die Patienten in seinen fünf Praxen in Landshut, Dingolfing, Eggenfelden, Deggendorf und Straubing zu behandeln. "Jetzt geht's los! Wir sind spät dran", sagt Boniakowski. Der 66-Jährige, der seit über 30 Jahren im Suchtbereich tätig ist, betreut aktuell rund 1.300 aktive Substitutionspatienten. In seinen über 30 Jahren als Arzt waren es bereits mehr als 80.000 Patienten.
Zahl der Opiatabhängigen steigt
Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die Zahl der Substitutionspatienten in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren leicht gestiegen. Sie lag 2023 bei 81.600 - Tendenz leicht steigend. Während die Zahl der Substitutionspatienten nach oben geht, nimmt die Zahl der substituierenden Ärzte in Deutschland jedoch aber ab. Die Bundesärztekammer gibt an, dass 2013 noch 2.691 Substitutionsärzte tätig waren. Aktuell sind es nur noch rund 2.400. Durchschnittsalter 58,5 Jahre. Auch in Bayern gebe es Regionen ohne solche Ärzte, warnt die Bundesärztekammer. Für die Betroffenen bedeutet das meist weite Anfahrtswege und eine erschwerte soziale Integration.
Hoffnung für Abhängige
Nach 45-minütiger Autofahrt kommt Boniakowski in Landshut an, in seiner ersten Praxis auf seiner Fahrt durch Niederbayern. Die Patienten warten bereits vor der Tür. Boniakowski scherzt mit einem Patienten: "Du bist aber dick geworden!" Der Patient quittiert es mit einem Lächeln und einem "passt schon". Auch Armin ist bei Boniakowski schon länger Patient. Der 43-Jährige hat tiefe Wunden im Gesicht. Früher war er stark abhängig von Crystal Meth. Trotz vieler Rückschläge hat er durch die Unterstützung des Arztes neue Hoffnung gefunden.
Drogenkranke: Weg vom Stigma
Substitution sei wichtig und richtig, weil sie den Menschen wieder ein einigermaßen geregeltes Leben ermögliche, so Boniakowski kurze Zeit später, auf der Autofahrt zur nächsten Praxis. Das Problem: Von 166.000 Opiatabhängigen seien nur gut 50 Prozent in Behandlung, schätzt die Bundesärztekammer auf BR-Nachfrage. "Hier braucht es eine gebündelte Kampagne, auch mithilfe der Politik, um zur Entstigmatisierung beizutragen." Unter anderem durch eine Integration in die allgemeine Gesundheitsversorgung wie bei anderen chronischen Erkrankungen, einer gesicherten Finanzierung von klugen und vorausschauenden Präventions- und Frühinterventionsmaßnahmen. Dagegen hält Substitutionsarzt Boniakowski die Legalisierung von Cannabis für absolut kontraproduktiv.
"Die Freigabe ist für mich ein Armutszeugnis. Man tut unseren jungen Menschen nichts Gutes." Eduard Boniakowski, Substitutionsarzt
Suchtmediziner: Cannabisfreigabe = Armutszeugnis
Die Behandlungen in den Praxen von Landshut bis Straubing ähneln sich: kurze Gespräche, Bewertung der Zurechnungsfähigkeit und Ausgabe des Substituts. Seine Assistentin gibt dazu den Namen in einen Computer ein. Über einen Automaten wird dann genau die Menge an Ersatzstoff ausgegeben, die der Patient benötigt. Lisa dagegen gehört zu den Patienten, die nur ein Rezept holen, um das Medikament zu Hause einnehmen zu können. Die 29-Jährige aus dem Bayerischen Wald geht offen mit ihrer Erkrankung um. Nach jahrelangem Drogenmissbrauch - weil sie sich dazugehörig fühlen wollte - hat sie sich vor Jahren entschieden, etwas zu ändern. Jetzt hat sie eine Arbeit und ihren Führerschein wieder.
Zukunft der Substitution ungewiss
Der Bedarf an Substitution ist in Niederbayern groß, schätzt Boniakowski. Der Allgemeinarzt und sein Team sind seit Jahrzehnten im Einsatz gegen die Sucht. Trotz seines Alters denkt der 66-Jährige nicht ans Aufhören. Der Erfolg gebe ihm recht: Etwa 60 Prozent seiner Patienten seien resozialisiert und berufsfähig.
Bundesweit sei die Versorgung von opioidabhängigen Patienten nicht ausreichend gesichert, so die Bundesärztekammer. Weniger Ärzte heißt weniger Versorgung. Und die Zahl der Drogentoten steigt seit mehr als zehn Jahren kontinuierlich an. 2023 hat sie den Höchstwert von 2.227 Toten erreicht.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!