Wie die meisten Menschen hat Anna von Boetticher schon als Kind im Schwimmbad probiert, wie lange sie unter Wasser die Luft anhalten kann. Aus dem Spiel wurde ernst: Mit siebzehn macht sie ihren ersten Tauchschein im Bodensee, später wird sie Tauchlehrerin. Da taucht sie noch klassisch, mit Sauerstoffflasche. 2007 macht sie dann einen Wochenendkurs im Apnoetauchen auf einer Marinebasis in England und schafft es im Tauchturm nach zwei Stunden Üben bis auf den Boden in 28 Meter Tiefe. Ohne Luftholen. Das ist der Anfang.
Mehr als sechs Minuten ohne Luftholen
Was Freitauchen vom klassischen Tauchen unterscheidet: Man taucht ohne technische Hilfsmittel, nur mit der Kraft der eigenen Lungen. Anna von Boetticher erkundet die Tiefe lediglich mit der Luft eines Atemzugs, der ihre Lunge füllt. Der Workshop in England weckt damals ihre Neugier – und ihren Ehrgeiz. "Ich wollte halt wissen: Wie tief kann ich denn wirklich tauchen? Wie tief komme ich denn, wenn kein Boden da ist?", erzählt Anna von Boetticher. Und versucht, es herauszufinden.
Ein halbes Jahr später holt sie ihre erste Bronze-Medaille bei der Weltmeisterschaft in Sharm El Sheikh – und bricht die deutschen Tiefenrekorde im Apnoetauchen. Einmal schafft sie es, über sechs Minuten die Luft anzuhalten. 2011 stellt sie zusammen mit ihrem Trainer und Tauchpartner Andrea Zuccari mit 125 Metern einen neuen Weltrekord in der Disziplin "Tandem No Limits" auf.
Anna von Boetticher ist in München geboren und in Icking aufgewachsen, ganz in der Nähe des Starnberger Sees. Ihre Leidenschaft fürs Apnoetauchen hat die heute 52-Jährige schon von den portugiesischen Azoren bis zum Eismeer nach Grönland geführt. Deutschlands beste Freitaucherin zieht es aber nicht nur in ferne Gewässer. Im Gegenteil: Man trage das Staunen in sich selbst, sagt Anna von Boetticher. "Wer den Willen hat, sich faszinieren zu lassen und zu staunen – dann findet man immer irgendetwas, was man spannend findet oder was schön ist oder was faszinierend ist. Und da muss man auch tatsächlich gar nicht um die Welt reisen, um schöne Dinge zu sehen."
Walchensee: "Ganz mysteriös und besonders"
Der Walchensee, der größte Alpensee Deutschlands, ist für sie immer einen Tauchgang wert. Sie kennt die Gegend im Voralpenland seit ihrer Kindheit. "Als Kinder waren wir Wandern und ich wollte immer meine Taucherbrille mitnehmen", erzählt sie. "Weil es könnte ja sein, dass da ein Fluss ist mit einem Gumpen oder so. Etwas, wo man mal reingucken kann." Ihr Vater musste sie ein paar Mal davon abhalten, in einen reißenden Bergbach zu springen.
Dafür tauchte sie dann im Walchensee: "Ein wunderschöner See, der zweittiefste See in Deutschland. 198 Meter tief und ganz mysteriös und besonders." Zunächst taucht sie dort mit Flasche, dann auch ohne Sauerstoffzufuhr. Und kommt zu dem Schluss: "Der Walchensee ist eines der faszinierendsten Gewässer, die ich je betaucht habe."
Vom Verirren unter Grönlands ewigem Eis
Ganz ohne Hilfsmittel geht es aber beim Apnoetauchen auch nicht: Man arbeitet sich in der Regel zunächst an einem Seil, , das genau vermessen ist, hinunter in die Tiefe, um auf jedem Meter zu wissen, wo man ist. Denn unter Wasser verliert man schnell die Orientierung. Das ist Anna von Boetticher schon passiert – in einem Gewässer, in dem die Temperaturen so niedrig sind, dass man allein schon wegen der Kälte nicht lange überleben kann: In Grönland tauchte sie mit einem Unterwasserfotografen in einem zugefrorenen Fjord unter der geschlossenen Eisdecke. Nachdem sie unter einen großen Eisberg getaucht war, fand sie nicht mehr zurück zum Einstiegsloch.
"Ich wusste, wenn ich jetzt Panik bekomme und impulsiv weiter in eine falsche Richtung schwimme, könnte das tödlich enden", erzählt Anna von Boetticher. Bevor man so etwas mache, müsse man von sich selbst wissen, dass man, wenn ein Problem auftritt, "mit Ruhe reagieren kann". Und Anna von Boetticher blieb ruhig. Sie tauchte erst mal noch tiefer, um einen besseren Überblick zu bekommen. Da fand ihr Tauchpartner sie und zeigte ihr die richtige Richtung.
Umgang mit Haien: "Vorsichtig zur Seite schieben"
Anna von Boetticher ist auch schon mit großen Haien vor den Azoren in Portugal getaucht. Das war auf einer Reise für die NDR-Dokureihe "Waterwoman" von Henning Rütten. In der Doku erzählt sie, wie sie mit den beeindruckenden Tieren umgeht, wenn sie ihnen in freier Wildbahn begegnet. Es gelte, den Hai immer im Blick zu behalten: "Die sehen deine Augen ganz genau und die merken, ob du sie im Blick hast. Wenn dieser Hai auf mich zukommt, dann schieb ich den vorsichtig zur Seite. Ansonsten fasse ich den Hai nicht an."
- Alle Folgen der Dokureihe "Waterwoman" in der ARD Mediathek
Von Boetticher berät Kampfschwimmer und Minentaucher
Im Winter zieht es Anna von Boetticher in die Berge, wo sie leidenschaftlich Snowboard fährt. Sport und Herausforderungen sind ihr wichtig im Leben. Zwischen ihren Wettkämpfen vermittelt sie ihre Erfahrungen Menschen aus anderen Bereichen, in denen Ruhebewahren bei größter Belastung überlebensnotwendig ist. Sie berät zum Beispiel die tauchenden Einheiten der Marine und arbeitet mit Spezialkräften der Kampfschwimmer und Minentaucher.
Das Interview führte Bayern2-Moderatorin Bärbel Wossagk in den "radioReisen". Die ganze Sendung gibt’s hier zu hören: "Reisegeschichten unter Wasser".
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