Seit 50 Jahren gilt der Sperrbezirk in der Münchner Innenstadt.
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Sexarbeiterin wartet auf einen Freier

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Prostitution in München: Fällt der Sperrbezirk?

Prostitution in München: Fällt der Sperrbezirk?

Seit 50 Jahren ist die Münchner Innenstadt Sperrbezirk. Aktuell wird - auch in der Politik - neu über ihn diskutiert. Wie stehen Sexarbeitende, Polizei und Bordellbetreiber zu einer potentiellen Lockerung? "Kontrovers" hat mit ihnen gesprochen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Regelmäßig macht sich Johanna Weber für die Arbeit auf den Weg von Berlin nach München. Sie ist Sexarbeiterin und hat sich in den vergangenen fast 20 Jahren als Domina einen Namen gemacht. Weber ist außerdem Mitbegründerin und politische Sprecherin des Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen.

Für die Sexarbeit extra nach München anzureisen, lohnt sich für Johanna Weber, denn die Preise seien hier besonders hoch. Wie alle legal tätigen Sexarbeitende arbeitet sie in München außerhalb des Sperrbezirks. Doch genau der ist ihrer Meinung nach nicht mehr zeitgemäß und sollte verkleinert werden. Wie sie sehen das viele, die in der Sexarbeit tätig sind.

Seit Olympia 1972: Sperrbezirk in München

Seit inzwischen 50 Jahren gilt im Großteil der Münchener Innenstadt der Sperrbezirk. Eingeführt wurde er 1972 zu den Olympischen Spielen, um damals die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" zu gewährleisten. Denn wegen Olympia 1972 wurden nicht nur viele Gäste erwartet: Auch Bordellbetreiber aus ganz Deutschland wollten Laufhäuser in München eröffnen und von dem internationalen Event profitieren.

Zu viele, entschied damals der Münchner Stadtrat und beschloss im März 1972 einstimmig eine Sperrbezirksverordnung, die Prostitution in der Münchner Innenstadt verbietet. Es folgte der sogenannte "Dirnenkrieg": Prostituierte demonstrierten gegen die Pläne des Sperrbezirks, erhielten Unterstützung von Studierenden und Freiern. Nach drei Tagen endeten die Demonstrationen jedoch ohne Erfolg.

Sperrbezirk in München: mehrfach ausgeweitet

Seither wurde das Sperrgebiet in München mehrfach vergrößert. Inzwischen sind über 90 Prozent des Stadtgebiets von München Sperrbezirk. Obwohl Sexarbeit in Deutschland seit zwanzig Jahren legal ist: Innerhalb des Sperrbezirks ist jede Art der Prostitution und sogar schon das Angebot dieser illegal.

Wer als Freier oder Kunde in München die Dienste von Sexarbeitenden in Anspruch nehmen möchte, muss deswegen aus der Innenstadt raus: In die Gewerbegebiete, oder zu sogenannten Anbahnungsstraßen. Doch nicht alle Freier sind so mobil, zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder Ältere.

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Sperrbezirk München

Grafik: Sperrbezirk München

Sind ältere und behinderte Freier durch den Sperrbezirk benachteiligt?

Das gab den Anstoß für eine politische Diskussion: Im Bayerischen Landtag fand bereits im Sommer eine Anhörung zur Situation von Menschen in der Sexarbeit statt. Dasselbe fordern jetzt die Stadtratsfraktionen von CSU und Freien Wählern für München.

Steht nach 50 Jahren eine Lockerung des Sperrbezirks in der Landeshauptstadt bevor? Johanna Weber begrüßt die politischen Diskussionen:

"Es geht zunächst bei den Politikern darum, dass man den Sperrbezirk lockert, damit Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen sind, auch sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen können und Besuch bekommen dürfen." Johanna Weber, Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen

Für Weber ist das ein Schritt in die richtige Richtung, doch sie möchte weiterreden und das Modell des Sperrbezirks weiter öffnen.

Im Video: Streit um Sperrbezirk - Der Kontrovers-Beitrag

Sorge: Liberalere Prostitutionspolitik könnte Missstände befeuern

Ist der Sperrbezirk in München noch zeitgemäß? In dieser Frage gehen die Meinungen - auch innerhalb der Berufsbranche selbst - stark auseinander. Der frühere Kriminaloberkommissar Helmut Sporer ist davon überzeugt, dass der Sperrbezirk eher hilft als schadet. Er hat Jahrzehntelang im Prostitutionsmillieu ermittelt, berät heute Politiker auf Landes- und Bundesebene.

"Eine liberale Prostitutionspolitik, so zeigen verschiedene Gutachten und auch die Praxis, führt auch zur Ausweitung von Prostitution und auch zur Ausweitung der Missstände, die damit verbunden sind. Sprich: Menschenhandel und Ausbeutung." Helmut Sporer, Kriminaloberkommissar a.D.

Diese Gefahr sieht er auch für München, wenn der Sperrbezirk gelockert würde oder gar ganz entfallen sollte.

Sexarbeiterin: Lockerung des Sperrbezirks wäre eine Chance

Anders sieht das die Sexarbeiterin Johanna Weber. Sie arbeitet im Hochpreissegment, hat eine Agentur gegründet. Auf ihren Erwerb zahlt sie Steuern, muss aber darüber hinaus keinem Zuhälter oder Bordellbetreiber anteilig etwas abgeben.

Weber ist überzeugt: Das wäre für wesentlich mehr Menschen in der Sexarbeit möglich, wären sie nicht ausschließlich auf die Zone außerhalb des Sperrbezirks angewiesen: "Alle, die sagen: Ich möchte was Eigenes aufmachen, vielleicht mit einer Kollegin zusammen, die hätten eine Chance, was zu finden."

Leierkasten-Bordellbetreiber plädiert für Sperrbezirk

Denn für Bordellbetreiber ist es ein lukratives Geschäft, Räume an Menschen in der Sexarbeit zu vermieten. Kontrovers-Reporter treffen Deniz, den "Leierkasten"-Geschäftsführer, dem wohl berühmtesten Laufhaus Münchens. Auch der Leierkasten musste vor 50 Jahren die Innenstadt und den ausgerufenen Sperrbezirk verlassen.

Die Sexarbeitenden hier mieten einen Raum im Leierkasten. 195 Euro pro Nacht müssen sie an den Bordellbetreiber dafür zahlen, brauchen also mindestens fünf Freier pro Nacht um für die Zimmermiete aufkommen zu können. Ein kleinerer Sperrbezirk könnte die Auswahl an Bordellen für die Frauen erhöhen. Doch der Geschäftsführer vom Leierkasten ist gegen eine Verkleinerung des Sperrbezirks. Er fürchtet nicht die Konkurrenz, sagt er: "Ich fürchte nur, dass die Illegalität der Prostitution sich steigern wird."

Hohe Strafen für Prostitution im Sperrbezirk

Dabei wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass es derzeit keine Prostitution innerhalb des Sperrbezirks gäbe, ergeben Kontrovers-Recherchen. Sie findet in Privatwohnungen und Hotels statt. Wenn die Polizei Hinweise erhält, oder mithilfe von Scheinfreiern Sexarbeitende dabei erwischt, wie sie ihre Arbeit innerhalb des Sperrbezirks anbieten oder ausführen, drohen den Prostituierten hohe Ordnungsstrafen. Johanna Weber sieht das kritisch:

"Dass die Frauen kriminalisiert werden, weil sie ihre Kunden im Sperrbezirk, in einem der noblen Hotels besuchen, finde ich sehr schwierig, weil diese Frauen sind in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die Kunden bestellen sie dahin. Und sie müssten eigentlich sagen, das mache ich nicht. Aber wovon sollen die leben?" Johanna Weber, Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen

Auch der frühere Kriminaloberkomissar Helmut Sporer findet, dass hier die Falschen betraft werden: "Für die Zukunft stelle ich mir als praktikable Lösung vor, die Frauen zu entkriminalisieren - egal wo sie tätig sind, auch im Sperrbezirk. Dass nicht die Frauen zur Verantwortung gezogen werden, sondern die Freier - und die Profiteure."

Dafür müsste sich allerdings die Politik eingehender mit dem Thema auseinandersetzen und die Gesetze entsprechend ändern. Ob es zu einer Anhörung im Münchner Stadtrat kommen wird, könnte sich jedoch überhaupt erst im Mai 2023 entscheiden.