"Diese Ideologie, die wäscht einem so das Gehirn durch, dass man zum skrupellosen Mörder wird", sagt Harun. Er hat einen kurzen Bart, trägt eine schwarze Trainingshose und kaut ein Eukalyptusbonbon. Er war 2014 bei einer Al-Kaida-nahen Terrorgruppe in Syrien und so fanatisiert, dass er zeitweilig bereit war, sich in die Luft zu sprengen. Doch schon bald war er vom Krieg, den vielen Toten und der Gewalt so desillusioniert, dass er nach Deutschland zurückkehrte. 2015 verurteilte das Oberlandesgericht München Harun zu elf Jahren Haft - unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum versuchten Mord.
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Harun ist Deutscher und in München aufgewachsen. Er wurde als Kind von seinem Vater geschlagen und nahm Drogen. Mehrere Monate war er in Syrien. Jetzt sitzt er in der JVA Straubing in Haft. Harun ist Anfang 30 und träumt von einer Zukunft in Freiheit: Eine Ausbildung zum Buchbinder hat er absolviert. Auch will er seine Mittlere Reife nachholen, Abitur machen und studieren. Wann er rauskommt, weiß er noch nicht.
Zwei Jahre lang hat der Bayerische Rundfunk ihn immer wieder besucht.
Aussteiger Harun will ein warnendes Beispiel sein
Die Stimmungslagen im Besucherraum ohne Fenster wechseln – mal wirkt Harun sehr freundlich, dann wieder niedergeschlagen. Vor Gericht belastet er andere Rückkehrer als Zeuge. Deshalb gilt Harun in der Salafisten-Szene als Verräter. Sicherheitskreise und auch der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik halten ihn für einen glaubwürdigen Aussteiger. Steinberg tritt seit 2006 in vielen Terrorprozessen als Gutachter auf und hat Harun mehrfach vor Gericht getroffen: "Er war der erste Rückkehrer, der sich tatsächlich ausführlich zu seiner Zeit in Syrien geäußert hat", sagt Steinberg.
Harun will sich in der Prävention engagieren. Guido Steinberg sieht in ihm einen geeigneten Kandidaten, jemand, der im Rahmen von Vorträgen an Schulen oder im Internet vor Terrorgruppen warnen könnte.
Die Vergangenheit ist immer präsent
Doch trotzdem schlägt dem Ex-Terrorhelfer im Gefängnis viel Misstrauen entgegen - von Mitinsassen und JVA-Beamten. Als er wegen einer Lungenerkrankung drei Tage in ein Krankenhaus musste, wurde er die gesamte Zeit über an Händen und Füßen gefesselt. Harun empfand das als so entwürdigend, dass er sogar an Selbstmord dachte. Später stellte das Oberlandesgericht Nürnberg fest, die Fesselung dürfe nur entweder an den Händen oder an den Füßen erfolgen. Das Vorgehen war rechtswidrig.
In den vergangenen Jahren gab es Situationen, da hätte Harun gern den "Vollblut-Dschihadisten rausgelassen", wie er sagt: "Dann hätten die das gekriegt, was sie immer sehen wollten. Ich meine, es gibt Beamte, die mich als Bombenleger bezeichnen oder sonstigen Scheiß. Aber wenn ich das dann melde, heißt es, steck‘s doch weg." Die Vergangenheit ist immer präsent. So wie Haruns Tatoo auf dem rechten Unterarm, das einen Kämpfer mit Palästinensertuch zeigt. Ein Stück Erinnerung sei das – mehr nicht, sagt Harun.
Inzwischen hat Harun fast zwei Drittel seiner Haftstrafe abgesessen. Immer wieder hat er jetzt Freigang, besuchte etwa mit anderen Häftlingen den Christkindlmarkt in Regensburg. Er hofft, dass er bald vorzeitig entlassen wird. Wie wird er sich in Freiheit zurechtfinden, wenn er mit seiner Vergangenheit und Vorurteilen konfrontiert wird?
Beratungsstelle: Rückkehrer nach Haftentlassung intensiv begleitet
Betreut wird Harun von einem Mitarbeiter des sogenannten Violence Prevention Network (VPN) – eine Nichtregierungsorganisation, die sich deutschlandweit um Dschihadisten-Aussteiger kümmert. Zu Harun selbst kann sich die Organisation aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht äußern. Ganz allgemein sagt VPN-Geschäftsführer Thomas Mücke, dass Rückkehrer nach der Haftentlassung eine Perspektive brauchen – einen Job, eine Wohnung. Er spricht von einer "massiven Unterstützung": "Wir schauen uns an, mit welchen Personen wird er in den ersten Tagen zu tun haben. Auch bei den ersten Behördengängen begleiten wir ihn", sagt er.
Seinen Berater von VPN kennt Harun schon eine ganze Weile. Er lobt das "islamische Wissen" des Beraters, mit dem er viel über seinen Glauben gesprochen habe. Harun würde auch gern an einem VPN-Projekt mitwirken. Künftig möchte die Nichtregierungsorganisation mit Aussteigern zusammenarbeiten und sich von ihnen beraten lassen zu Fragen wie: Was kann man besser machen in einer Beratungssituation? Wie entwickelt sich die Szene aktuell?
Doch manchmal überkommen Harun Zweifel, ob das Aussteigerprogramm wirklich etwas gebracht hat. "Ich bin praktisch selbst ausgestiegen", sagt er. Harun rechnet damit, dass er in einem Wohnheim in München unterkommt. Das hat er sich schon angesehen. Er kann sich aber auch vorstellen, in einer anderen Stadt einen kompletten Neuanfang zu starten. Ob das klappt: ungewiss.
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