Drei Jahre lang hat Jonas hier gelebt. Seinen Namen hat die Redaktion auf seinen Wunsch geändert. Mittlerweile ist er von Würzburg weggezogen. Heute steht der 24-Jährige das erste Mal wieder vor dem Haus im Würzburger Stadtteil Grombühl. Zusammen mit Reportern: Er hat sich im Rahmen der Bürgerrecherche "Wem gehört die Stadt?" von BR und Correctiv gemeldet. "Ich glaube, hier wird auf eine menschenunwürdige Art und Weise Geld verdient, auf dem Rücken derjenigen, die es sich nicht anders leisten können", sagt Jonas, als er die schmutzige weiße Fassade betrachtet. Im Hintergrund: der Lärm vorbeifahrender Autos und Züge.
Bis zum 23. Februar können Sie an der Bürgerrecherche HIER teilnehmen!
Mietverträge auf ein Jahr befristet
In dem Haus leben nach Informationen des BR rund 100 Menschen auf sechs Etagen. Viele sind Studenten, viele haben einen Migrationshintergrund. Während seiner Ausbildung hat Jonas hier gewohnt. An diese Zeit erinnert er sich ungern zurück. Die Mietverträge seien immer auf ein Jahr befristet gewesen, die Hausverwaltung habe sich um nichts gekümmert. Weil die Zimmer einzeln und nicht als gesamte Wohnung vermietet worden seien, habe die Hausverwaltung die Wohnung immer wieder ohne Ankündigung betreten. Jonas vermutet, dass das Haus früher ein Bürogebäude war. "Das kann niemals zum Wohnen vorgesehen gewesen sein", sagt er.
Jonas öffnet die Eingangstür und betritt das Haus. "Die Tür war noch nie verschlossen. Hier kann jeder rein und raus spazieren und ich glaube das ist Teil des Problems", sagt er. Im Treppenhaus erkennt er seinen alten Briefkasten wieder. Der hängt neben unzähligen anderen, die kreuz und quer an der Wand verteilt sind. Manche davon stehen offen, ein paar Briefe liegen auf dem Boden. Der ehemalige Bewohner drückt auf den Knopf des Aufzugs. Nichts passiert. Er nimmt die Treppe nach oben. Wände, Lampen und Türen sind beschmiert. Eine Brandschutztür steht offen. Darauf klebt ein Zettel – anscheinend von der Hausverwaltung: "Dies ist eine Brandschutztüre! Nicht offenhalten! Polizeilich verboten!" Darunter ein weiterer Zettel, in Handschrift geschrieben: "Bitte, bitte nicht zumachen! Tür und Schloss sind kaputt."
Kaputter Aufzug, Wasserschäden, defekte Brandschutztüren
Vor einer Wohnungstür hält Jonas inne. "Hier habe ich gewohnt", sagt er und klingelt. Ein ehemaliger Mitbewohner öffnet die Tür. Er freut sich, Jonas zu sehen und bittet ihn herein. Vor dreieinhalb Jahren war Jonas das letzte Mal hier. Geändert hat sich in der Wohnung nichts. Die Bewohner erzählen von Schimmel, Wasserschäden und undichten Fenstern. Vom Aufzug, der seit Jahren abgeschaltet ist, von defekten Brandschutztüren. Jonas verabschiedet sich und geht die Treppe weiter nach oben ins Dachgeschoss. Er erinnert sich: "Das war mal die Dachterrasse." Dann wurde nach Informationen des BR vor ein paar Jahren aufgestockt, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Jonas klopft an eine Tür. Ein Freund von ihm macht auf. Der Mieter erzählt, dass es im Sommer hier so heiß werde wie in einer Sauna. Das halte er nur aus, wenn er auf dem Balkon schlafe. Das alles hat Jonas hinter sich gelassen: "In meinen Augen ist nichts besser geworden, sondern nur noch schlimmer. Es funktioniert weniger, es ist schmutziger. Das ist katastrophal."
Kein Platz für ein Bett
Katastrophal ist auch die Situation anderer Bewohner. Einer wohnt auf etwa zehn Quadratmetern für mehr als 300 Euro Miete. Platz für ein Bett gibt es nicht. Zum Schlafen ist eine kleine Nische vorgesehen, über dem Bad und direkt unter der Decke. "Da oben bekomme ich keine Luft", sagt er. Deshalb schläft er auf dem Boden. Ein weiteres Problem: Die Mieter im Erdgeschoss können nicht lüften. Denn eine Glasfront vor den Fenstern soll den Lärm der Autos und Züge dämpfen. Ein junger Mann erzählt, er habe mit abgelaufenen Wasserzählern zu kämpfen gehabt. Die Wasserkosten hätten sich plötzlich mehr als verzehnfacht. Im Zimmer eines weiteren Bewohners sei plötzlich Wasser aus der Decke gekommen. Im Hohlraum zwischen Decke und der darüber liegenden Wohnung habe ein Eimer gestanden, der übergelaufen sei. Eine Frau beklagt sich darüber, dass ihre Heizung seit Jahren kaputt sei. Sie laufe durchgehend auf höchster Stufe. Nach BR-Informationen werden die Heizkosten nicht nach eigenem Verbrauch bemessen. Stattdessen werden die Kosten des gesamten Hauses auf alle Mieter aufgeteilt.
Mieterverein ist entsetzt
Edgar Hein vom Würzburger Mieterverein ist entsetzt, als er aktuelle Fotos von den Zuständen in dem Haus sieht. "Ob das überhaupt zu Wohnzwecken geeignet ist?", fragt er sich. Hein erinnert sich, dass Mitglieder des Vereins vor ein paar Jahren wegen gravierender Wohnungsmängel die Miete gemindert hätten. "Aber, dass es so schlimm aussieht, habe ich nicht gewusst", sagt Hein. Dass jemand gezwungen ist, solche Wohnungen zu mieten, sei der Wohnsituation in Würzburg geschuldet. Seiner Meinung nach sei das Haus ein Fall für die Bauaufsicht. Nach BR-Informationen wurden vor ein paar Jahren einige Wohnungen in einem Kellergeschoss geräumt.
Stadt verweist auf ein laufendes Verfahren
Bei der Stadt Würzburg ist das Haus bekannt. Schon 2016 gab es Medienberichte über unhaltbare Zustände. Auf eine aktuelle Anfrage zur Situation weicht die Stadt aus. Konkrete Fragen zu den Wohnverhältnissen, zum Brandschutz und ob überhaupt eine Baugenehmigung vorlag, werden bislang nicht beantwortet – mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren. Antonia Derek, Leiterin der Bauaufsicht Würzburg, sagt nur allgemein: Grundsätzlich könne die Bauaufsicht Gebäude vor allem bei Brandschutzmängeln oder Einsturzgefahr räumen. "Das sind nur gravierende Ausnahmefälle, bei denen wir bauaufsichtlich tätig werden und die Räumung vollziehen. Sie müssen bedenken, dass sie dort die Menschen vor die Tür setzen und aus ihrem Wohnumfeld herausziehen." Die verantwortliche Hausverwaltung hat sich trotz mehrfacher Versuche, Kontakt aufzunehmen nicht zu den Zuständen geäußert.
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