Sollen Seniorinnen und Senioren ab einem bestimmten Alter regelmäßig zum Führerschein-Test? Würde das kuriose Vorfälle verhindern wie diesen vor wenigen Tagen: "Bremspedal mit Gaspedal verwechselt: 94-Jähriger rast in Selb mit Auto durch Garten"? Und würde es die Wahrscheinlichkeit dramatischer Unfälle verringern, die mit dem hohen Alter der Fahrer zusammenhängen könnten – also Schlagzeilen wie "Senior fährt rückwärts in Supermarkt – Frau tödlich verletzt"?
Über diese Fragen wird in der Politik seit langem gestritten. Zuletzt sorgte ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission für neue Debatten. Demnach sollen Menschen ab 70 alle fünf Jahre ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen. Allzu streng ist die geplante Vorgabe nicht: Die EU-Mitgliedsstaaten sollen selbst entscheiden können, ob sie die Ü70-Führerschein-Überprüfung einführen – und ob die Tests verpflichtend oder nur freiwillig sein sollen.
CSU gegen Führerschein-TÜV: "Lehnen wir klar ab"
In Bayern sind sich die meisten im Landtag vertretenen Parteien auf BR24-Anfrage in einem Punkt einig: Verpflichtende Führerschein-Tests, bei denen ältere Menschen ihre Fahrtauglichkeit nachweisen müssen, soll es nicht geben. Allerdings würde der EU-Plan das auch gar nicht vorschreiben.
Am deutlichsten wird die CSU: "Die Menschen werden älter und müssen länger arbeiten", sagt Manfred Ländner, innenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion. "Eine grundlose und allgemeingültige Überprüfung der Fahrtauglichkeit nur wegen Erreichen des Lebensalters von 70 Jahren ist völlig überzogen." Laut dem CSU-Politiker wäre eine solche Maßnahme "Altersdiskriminierung in Reinkultur".
FDP: "Sehr umsichtige Verkehrsteilnehmer"
Martin Hagen, Landes- und Fraktionschef der FDP, äußert sich ebenfalls ablehnend. "Gerade viele ältere Autofahrerinnen und Autofahrer sind sehr umsichtige Verkehrsteilnehmer, weil sie über viel Fahrpraxis verfügen", sagt er. Auch der ADAC konstatiere, dass ältere Verkehrsteilnehmer deutlich regelkonformer unterwegs seien, nur selten durch Alkohol am Steuer oder unangepasste Geschwindigkeit auffielen. Zudem sähen Verkehrspsychologen die infrage kommenden Testverfahren kritisch.
"Für uns ist deswegen eine pauschale Fahrtauglichkeitsprüfung für ältere Personen nicht angemessen", betont Hagen. "Individuelle Mobilität ist gerade für ältere Menschen ein ganz wichtiger Aspekt, um unabhängig bleiben zu können." Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing, ebenfalls von der FDP, ist gegen den EU-Vorschlag. Er setze auf Eigenverantwortlichkeit, sagte Wissing zuletzt.
SPD im Bundestag: Freiwilligkeit vor Zwang
Die Landtags-Grünen wollten sich auf BR24-Anfrage nicht zu dem Thema positionieren. Bayerns SPD-Fraktion verweist auf eine Wortmeldung aus Berlin. "Wir werden alle einmal älter", sagt Mathias Stein, stellvertretender verkehrspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Bundestag. Mit dem Alter steige die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Probleme, "die einen Einfluss auf die Fahrtauglichkeit haben". Statistiken würden zeigen, dass neben Fahranfängern vor allem ältere Fahrer "meist deutlich über 75" und mit gesundheitlichen Einschränkungen besonders unfallgefährdet seien.
Der SPD-Politiker betont, dass die Vorschläge der EU viel Freiraum bei der Umsetzen ließen. "Die Bandbreite reicht von verpflichtenden Maßnahmen wie ärztlichen Untersuchungen und Fahrüberprüfungen bis hin zu freiwilligen Ansätzen wie Selbsteinschätzungen." Laut Stein sollte Freiwilligkeit immer den Vorrang vor Zwang haben, "hier haben wir bei Weitem noch nicht unsere Möglichkeiten ausgeschöpft".
Senioren und Unfälle – was sagt die Statistik?
Tatsächlich ist das mit den Zahlen so eine Sache. Vor kurzem hat das Statistische Bundesamt Daten für das Jahr 2021 veröffentlicht, die man unterschiedlich interpretieren kann. Demnach waren insgesamt knapp 67.000 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten. Der Anteil dieser Altersgruppe an der Bevölkerung liegt aber bei 22,1 Prozent.
Andererseits sagen Experten: Die geringere Unfallbeteiligung dürfte auch daran liegen, dass ältere Menschen seltener am Straßenverkehr teilnehmen. Und gleichzeitig waren Unfälle häufig gravierender, wenn Ältere verwickelt waren. So trugen sie in mehr als zwei Drittel der Fälle die Hauptschuld – weil sie die Vorfahrt genommen hatten oder beim Abbiegen, Wenden und Anfahren Fehler machten.
Landtags-AfD: Freiwillige "Möglichkeit zur Selbstreflexion"
Die Landtags-AfD befürwortet eine freiwillige Überprüfung der Fahrtauglichkeit – wie von der EU vorgeschlagen alle fünf Jahre für Senioren ab 70. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Singer sagt: "Eine solche Maßnahme würde den Senioren auf freiwilliger Basis eine externe und professionelle Einschätzung ihrer Fahrtauglichkeit sowie eine Möglichkeit zur Selbstreflexion bieten."
Wie die anderen Fraktionen im Landtag spricht sich auch die AfD gegen eine verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit aus. Das würde laut Singer alle Senioren unter einen Generalverdacht stellen. "In ländlichen Regionen ist das Auto gar Voraussetzung, um überhaupt seine Grundbedürfnisse erfüllen zu können", sagt er. Autofahren solle nur eingeschränkt werden, "wenn erhebliche Gefahren für den Betroffenen oder die Mitmenschen bestehen".
Freie Wähler: "Nein zu dieser Idee"
Bleiben die Freien Wähler – die überhaupt nichts von Führerschein-Überprüfungen für ältere Menschen halten. Bereits vor einigen Tagen erklärte Tobias Gotthardt, europapolitischer Sprecher der Landtagsfraktion: "Immer wieder kommt aus Brüssel der Vorschlag, den Erwerb des Führerscheins 'auf Zeit' zu regeln." Alter allein mache einen Menschen nicht zum schlechten Fahrer.
"Wir in Deutschland gewähren den Führerschein lebenslänglich und entziehen ihn anlassbezogen im Einzelfall", sagte der Politiker der Freien Wähler. "Das funktioniert und ist für mich eindeutig der bessere Weg."
Freiwillige Tests: "Keine Fahrprüfung"
Schon jetzt gibt es in Deutschland freiwillige Kurse und Tests, bei denen vor allem ältere Menschen ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen können. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DRV) startete gerade eine Kampagne, in der Senioren zu freiwilligen Gesundheitschecks sowie zu fahrpraktischen Maßnahmen ermuntert werden. Zudem gibt es einen Online-Selbsttest. Auch der ADAC bietet für ältere Menschen einen "Fahr-Fitness-Check" an.
Der DRV empfiehlt zudem eine sogenannte Rückmeldefahrt: Dabei können Senioren eine Fahrt mit Fahrsicherheitsexperten buchen. Sie erhalten danach eine individuelle Einschätzung ihrer Kompetenzen. "Das Ergebnis einer Rückmeldefahrt behalten die Beteiligten für sich und soll lediglich zur Selbsteinschätzung der eigenen Fahrfähigkeiten in bestimmten Verkehrssituationen dienen", erläutert DVR-Hauptgeschäftsführer Stefan Grieger. "Eine Rückmeldefahrt ist keine Fahrprüfung, es besteht also auch kein Risiko, die Fahrerlaubnis zu verlieren."
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