"Love on Tour" heißt die Welttournee von Harry Styles. Allein in Europa spielt er in diesem Sommer mehr als dreißig Konzerte, derzeit ist er in Düsseldorf. Und egal wo er auftaucht, die Menge ist bunt und das Kreischen ist laut.
So auch in München Mitte Mai. Kontrovers-Die Story hat drei extreme Fans begleitet.
Stress schon lange vor Konzertbeginn
Schon 34 Stunden vor dem Konzert sind Michelle, Lucie und Laura im Stress. Das Konzert findet zwar erst am nächsten Tag statt, doch für die drei jungen Frauen hat der Kampf um die besten Plätze schon längst begonnen.
Konkret heißt das: Sie müssen sich einen Platz in der Warteschlange sichern. Denn als extremer Fan reicht es nicht, einfach nur ein Ticket zu haben, erklären sie in der Kontrovers-Story. Fieberhaft suchen sie auf dem Gelände nach anderen "Harries", die eigenmächtig ein Nummernsystem eingeführt haben, das den Platz in der Warteschlange regelt. Ob diese Reihenfolge vom offiziellen Veranstalter überhaupt übernommen wird, ist ungewiss. Doch Michelle, Lucie und Laura ist das im Moment egal: Die Hoffnung ihrem Star so nah wie möglich kommen zu können ist stärker als die Vernunft.
Im Video: Harry-Styles-Fans außer Rand und Band: Ab wann ist Fankult toxisch?
Das Pop-Phänomen Harry Styles
Wer ist dieser junge Mann, für den die drei schwärmen? Und was macht das Pop-Phänomen Harry Styles aus? Seine Karriere beginnt im Jahr 2010 mit der britischen Boyband One Direction. Der damals gerade 16-Jährige feiert Riesenerfolge mit der Band. 2016 startet er dann seine Solokarriere, die ihn seither zu einem der angesagtesten Popstars weltweit macht.
Seine Fans lieben ihn für das, was er auf der Bühne verkörpert: eine Art moderne Männlichkeit, feministisch, androgyn, gefühlsbetont und frei von traditionellen Geschlechterzuschreibungen. Das Phänomen Harry Styles speist sich eben nicht nur aus seiner Musik, sondern auch seinem Status als neue männliche Stilikone – gerne auch in Rüschchen und Perlenkette: ein Popstar für eine Generation, die sich von klassischen Geschlechterrollen verabschiedet.
Das bewusste Spiel mit der Androgynität ist nicht neu. Wer sich darüber wundert, denke an Styles' Idole wie David Bowie, Freddie Mercury, Elvis Presley oder Elton John. Neu an diesem Phänomen ist die Wucht der medialen Omnipräsenz, die Styles nur zum Teil selbst meisterhaft auf Social Media orchestriert. In einem Interview beschreibt er, wie viel Druck auf ihm lastet - und dass er weiß, wie schnell der Erfolg vorbei sein kann: "Man steckt so viel Liebe in eine Industrie, die so wankelmütig ist und die dich liebt, wenn es bei dir läuft. Aber wenn nicht, bist du einfach raus."
Fanliebe geht auch ins Geld...
Extreme Fans wie Michelle und ihre Freundinnen sichern dabei den Erfolg von Harry Styles nicht nur auf der Bühne. Die 23 Jahre alte Studentin gibt nur an diesem Wochenende knapp 300 Euro aus – für Fanartikel und Konzertkarten. Und es gibt nichts, was Michelle nicht besitzt: Fotos, Kalender, T-Shirts, das Zimmer der Studentin ist voll davon.
Auch ihren Körper zieren Tattoos, die eine Verbindung zu ihrem großen Idol darstellen. Es sind Motive, die Harry Styles selbst trägt oder die in Verbindung zu ihm stehen. Für Michelle ist es eine Möglichkeit, sich ihm besonders nah zu fühlen. "Das ist halt das Gefühl von zu Hause, was er mir gibt und deswegen halt das Haus. Für Harrys House, sein neues Album", sagt sie lächelnd und zeigt auf ihr neues Tattoo auf dem Unterarm, das ein kleines Haus mit Herzchen darstellt. Wieviel Geld sie bisher insgesamt ausgegeben hat, darüber hat Michelle den Überblick verloren.
Harry Styles ist immer dabei
Diese Art der Fanliebe ist nicht nur teuer. Sie ist oft so einnehmend, dass wenig Zeit für anderes bleibt – so auch bei Michelle: "In jeder freien Minute eigentlich ist man am Handy oder am PC oder auf Youtube um sich irgendwas anzuschauen, um immer zu schauen: 'Okay, bin ich auf dem neusten Stand, ist irgendwas passiert?' Um sich zu vernetzen und um zu schauen, wenn es einem nicht gut geht, sich aufzubauen zwischendurch."
Das Netz schweißt die Fans in zusammen. Der Hype um Harry Styles wird von seinen Fans im Internet befeuert. Und gleichzeitig ist es der Ort, in dem die Grenzen zwischen Obsession und toxischem Fankult gefährlich verschwimmen können. Es gibt unendlich viele Videos, die Fans aus aller Welt täglich hochladen, kommentieren und teilen. Dabei entstehen auch gefährliche Verschwörungstheorien.
Wenn Fans zu Stans werden
Noch zu Zeiten der Boygroup One Direction verbreitet sich unter vielen Fans der Glaube: Harry und sein Bandkollege Louis Tomlinson sind ein Paar. Für viele Fans ist eindeutig, dass die Liebe der beiden vom Management unterdrückt und deshalb verheimlicht wird. So kommt es zu einer vehementen Hetzkampagne gegen Styles' damalige Partnerin Olivia Wilde auf Social Media. Olivia sei ekelhaft – und die Beziehung Fake. Harry äußert sich nur ein einziges Mal dazu. In einem Interview im Musikmagazin Rolling Stone sagt er, das sei ein "Shitstorm von Leuten, die versuchen, schrecklich zu anderen zu sein." Das gebe ihm "natürlich kein gutes Gefühl".
Zu negativen Erfahrungen mit seinen Fans hat sich Harry Styles noch nie explizit geäußert. Auch wenn die Kunstfigur, die er erschaffen hat, mehr oder weniger ihnen ausgeliefert ist. So wird er selbst 2022 Opfer eines Stans – eines stalkenden Fans. Der junge Mann schläft wochenlang vor seinem Anwesen, folgt ihm, wann immer er kann und bricht schließlich bei ihm ein. Ist das der Preis für den Erfolg?
"Geht gar nicht. Ich bin enorm krasser Fan. Aber er hat auch ein Recht auf Privatsphäre. Auf der Bühne steht er da, um uns zu entertainen, keine Frage, aber sobald er die Bühne verlässt ist er ein ganz normaler Mensch wie jeder von uns auch", sagt Michelle in der Kontrovers-Story.
"Wenn er dann da vorne steht und einen anschaut …"
Mittlerweile sind es nur noch wenige Stunden vor dem Konzert auf dem Olympiagelände. Michelle und ihre Freundinnen haben sich stilgerecht umgezogen – mit Federboa und bunten Anzügen. So wollen sie möglichst nah vor Harry Styles stehen: "Ich würde schon sehr viel dafür tun, um ihm als Person mal ein bisschen nahezukommen, um einfach nur mit ihm zu reden mal, das wäre einfach schon ein Traum", gesteht Michelle.
Nach 36 Stunden warten, campieren und fiebern ist dann der Moment gekommen. Michelle steht mit ihren Freundinnen an der Absperrung, nur einen Meter von Harry Styles entfernt. Er läuft an ihnen vorbei. Kreischen. Ein für alle überwältigender Moment, der nur wenige Sekunden dauert. Nach einunddreiviertel Stunden ist das Konzert vorbei.
Ob es sich gelohnt hat?
Michelle hat schon Karten für ihr nächstes Konzert – Anfang Juli spielt Harry Styles in Frankfurt.
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