Am Montag vor der Europawahl tauchte das Video des YouTubers Rezo "Die Zerstörung der CDU" im Listening-Center von BR24 auf - in dem Tool, das in Echtzeit soziale Medien, Websites, Foren und Blogs nach relevanten Inhalten durchsucht und erkennt, wenn Themen größer werden. Zu dem Zeitpunkt war das Video als Thema in den klassischen Medien bundesweit noch nicht angekommen. BR-Redaktionen, die dieses Tool nutzten, konnten sich also frühzeitig ein Bild von Rezos Auftritt und von den Diskussionen dazu im Netz machen. Das Rezo-Video verbreitete sich dann bekanntlich viral und grenzüberschreitend.
Das Video tauchte konkret in einer Suchanfrage für die Europawahl auf. Um themenspezifische Inhalte aufzuspüren, waren in diesem Monitoring sämtliche Begriffe hinterlegt, die in Verbindung mit der Wahl standen. Zum Beispiel Politiker, Parteien und Wahlkampfthemen wie der Klimawandel, die Asylpolitik oder die Datenschutzgrundverordnung. Die erfolgreichsten Treffer listete das Tool auf, am Tag der Europawahl war im Listening-Blick auf Bayern ein BR-Video ganz oben.
Die Farben am linken Rand der Treffer geben dabei Emotionen - "Sentiments" - in den Online-Inhalten wieder. Der Algorithmus checkt, welche Schlüsselwörter im Text und in den Social Media-Reaktionen vorkommen: Rot steht für wütende Reaktionen, gelb eher für neutrale, grün für zustimmende Reaktionen. Die einzelnen Treffer - im Screenshot in Blau - sind Links zu den jeweiligen Plattformen, zum Beispiel Youtube, Twitter, Facebook oder auch Websites von Newsanbietern wie dem britischen "The Guardian".
Was ist Social Listening und warum fallen dort Themen viel früher auf?
Digitales Social Listening ist sehr viel breiter und systematischer aufgestellt, als dies einzelnen Personen oder Gruppen möglich ist. Grundlage sind bei BR24 insgesamt ca. 400 Millionen Quellen im Netz: soziale Plattformen, Foren, Webseiten und Blogs. Um die richtigen Inhalte herauszufischen aus diesem Meer von Daten, besteht das Programm aus Suchanfragen, die wiederum selbst aus hunderten Schlagwörtern zusammengesetzt sind.
Im Listening-Center von BR24 gibt es derzeit über 140 aktive Suchen, jede davon umfasst an die 300 Schlagwörter. Zur "Niederbayern"-Suche gehören beispielsweise die Namen von niederbayerischen Politikern, Prominenten, Orten, Facebook-Gruppen und Vereinen. Die leitenden Redakteure vor Ort, genannt Chefs vom Dienst (kurz CvDs), kombinieren die eigenen Recherchen mit den Anregungen aus dem Listening, über die BR24 täglich auch via Mail informiert.
Listening im Redaktionsalltag
Die Software ist bei BR24 seit August 2018 am Start - rechtzeitig zur bayerischen Landtagswahl. Eines der ersten auffälligen Muster war: Videos, die AfD-nahe Seiten und Blogs verteilten, fielen besonders oft in den Hitlisten auf. "Warum ist die AfD in den Sozialen Medien aktiver und oft auch erfolgreicher als andere Parteien?" war die Frage, die sich für die Redaktion daraus ableitete. Das Team des "Faktenfuchs" recherchierte mithilfe des neuen Listening-Centers und fand Antworten. Die Dominanz der AfD in den sozialen Medien war dabei ein Trend, der auch in anderen Tools auffallen konnte. Die Spezialität des Listenings bei BR24 aber ist es mehr und mehr, seine Antennen auf Bayern zu lenken.
Alle Antennen auf Bayern
"Social Listening ist ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Themensuche für das 'Bayernthema', das wir vor allem digital denken. Welche Themen trenden im Netz, was bewegt die Menschen in den Regionen Bayerns? Und auch im Rückkanal ist dieser Blick wertvoll: Was löst unsere Berichterstattung aus?" Sonja Meyer-Golling, Planungs-Koordinatorin
Das "Bayernthema" wird seit Mitte März täglich trimedial - also Online, im Radio und Fernsehen - ausgespielt. Nutzern der BR24-App wird das aktuelle Thema schon morgens kurz nach sechs - ohne Ton - mit einem Push-Service aufs Handy gespielt.
Die Konferenz der aktuellen Redaktionen am Morgen, zu der auch alle Regionen und Fachredaktionen des Bayerischen Rundfunk zugeschaltet sind, startet um 8:30 Uhr mit Tipps aus dem Social Listening für den aktuellen Tag. So kamen jüngst auch die Smileys auf den Mülltonnen in Weiden ins Programm oder die Kekse gegen Rassismus an einer Schule in Elsenfeld im Landkreis Miltenberg.
"Natürlich bekommen wir viele Sachen auch schnell mit, weil wir in den Regionen nah dran sind an den Leuten. Wir haben aber auch immer wieder Listening-Themen im Programm. Zum Beispiel die Geschichte von zwei heute 56-jährigen Zwillingen aus Wurmannsquick im Rottal, die als sechsjährige Buben auf der Turmspitze von Notre Dame waren und dort fotografiert wurden." Bernd Kellermann, Chef vom Dienst in Regensburg
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Social Listening zeigen, dass das Tool die Recherche der Journalisten stärkt, sie aber keineswegs ersetzt: Die Korrespondentinnen und Korrespondenten und Reporterinnen und Reporter vor Ort bleiben natürlich die wichtigsten Quellen für neue Themen und Geschichten.
Das Listening kann die Journalisten aber vielfach unterstützen. Es ...
- erweitert den journalistischen Horizont
- liefert Themen, die sonst womöglich übersehen worden wären
- zeigt, was die Leute interessiert und bewegt
- führt aus der eigenen Wahrnehmungs-Blase heraus
In Zeiten der Kommunikation über die sozialen Medien ist vor allem der letzte Punkt hilfreich: Der Blick der Profis darf sich nicht verlieren im Spiegelkabinett der eigenen begrenzten Wahrnehmung. Social Listening führt bewusst heraus aus dieser Blase.
Haben wir trotzdem ein Thema übersehen, für das Sie sich interessieren? Schreiben Sie BR24 unter feedback@br24.de oder schicken Sie eine Mail an den Faktenfuchs: Faktenfuchs@br24.de.