Sorgfältig malt der 16-jährige Ferdinand mit gelber Sprühkreide die Umrisse des ehemaligen Judenlagers Milbertshofen auf den Boden. Auf dem Gelände, in etwa so groß wie zwei Fußballfelder, wurden einst bis zu 1.200 Juden gleichzeitig untergebracht. Heute steht dort ein Bürogebäude von BMW. Nichts erinnert an das Lager, das von Juni 1941 bis August 1942 mitten in München existierte. Am 20.11.1941 wurden die ersten jüdischen Münchnerinnen und Münchner deportiert. 1.000 Menschen – darunter auch 130 Kinder - wurden vom Judenlager Milbertshofen ins litauische Kaunas gebracht und dort ermordet. Gemeinsam mit einer Gruppe Jugendlicher haben die Choreografin Dorothee Janssen und der Filmemacher Julian Monatzeder das ehemalige Judenlager in München durch Installationen und Performance sichtbar gemacht.
Verschiedene Stationen zeigen Leben der Bewohner
An verschiedenen Stationen können die Zuschauer das Leben der Lagerbewohner nachempfinden. An einer tippt der 16-jährige Silias auf einer Schreibmaschine die Zeilen eines Lagerbewohners nach und steckt sie durch den Zaun, der ihn von den Zuschauern trennt. Ein paar Meter entfernt liest Mayara laut Gegenstände vor, die von ihrem Ensemblekollegen Lu eilig in einen Koffer gepackt werden. Auf Leinwand gestrahlte Videoinstallationen machen die Dimensionen des Lagers deutlich. Um sie herum stehen Zuschauer, die ihre Performance gebannt verfolgen und anschließend einen QR-Code mit dem Handy scannen. Dort hören sie Erzählungen von Ernst Grube, der dem Projekt als Zeitzeuge zur Seite stand.
Zeitzeuge Ernst Grube erinnert sich
Gemeinsam mit seinen Geschwistern verbrachte Ernst Grube als Neunjähriger einige Monate im Judenlager Milbertshofen. Für das Projekt erinnerte er sich an seine Zeit im Lager zurück, denn "der Ort braucht eine Erklärung". Grube, der sich für eine aktive Vergangenheits- und Aufarbeitungspolitik stark macht, plädiert für eine aktive Erinnerungstätigkeit, die über die Jahrestage hinausgehe.
Wenn wir keine Antwort finden auf die Frage, warum das möglich war, dann werden wir auch nicht sehen, wenn sich solche Dinge wirklich wiederholen.“ Ernst Grube
Schüler werden zu Experten
Über ein halbes Jahr haben die 11 Schülerinnen und Schüler die Performance und das dazugehörige Theaterstück gemeinsam mit den Leitern des Projekts, Dorothee Janssen und Julian Monatzeder, entwickelt. Die Teilnehmenden sind bewusst heterogen ausgewählt, sie stammen aus verschiedenen Schulformen und Klassen. Mit Unterstützung des NS-Dokumentationszentrums und Ernst Grube haben sie sich das Thema erarbeitet. Doch neben dem kognitiven Zugang ist für Choreografin Dorothee Janssen insbesondere der körperliche Zugang wichtig: "Erinnerung ist ein körperlicher Prozess und das haben wir ganz stark gemerkt, jetzt in diesem Projekt, wie die Jugendlichen das bewegt hat, sich auch genau dort aufzuhalten, wo das passiert ist."
Wer das Ensemble noch einmal live sehen möchte: Am 21. Dezember tritt das Projekt „always remeber. never forget“ im Schwere-Reiter-Theater in München auf.
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