Tierarzt Andreas Striezel hat seine Praxis an Investoren verkauft, denn er findet keinen Nachfolger.
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Tierarzt Andreas Striezel hat seine Praxis an Investoren verkauft, denn er findet keinen Nachfolger.

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Tierarztpraxen in Bayern: Die Investoren greifen zu

Internationale Betreiberketten kaufen auch in Bayern vermehrt Tierarztpraxen auf. Gerade Kleintierpraxen versprechen Gewinn, weil Besitzer für Hund, Katze und Co. oft viel Geld ausgeben. Nun drohen höhere Kosten. Doch winken womöglich auch Vorteile?

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Seit 2015 kaufen Betreiberfirmen verstärkt Tierarztpraxen auf, auch in Bayern. Die mitunter ausländischen Investoren sehen vor allem bei den Kleintierpraxen einen lukrativen Markt, denn Hunde, Katzen und Co. sind ihren Besitzern im Krankheitsfall oft lieb und teuer. Womöglich drohen letzteren in den investorengeführten Praxen nun höhere Kosten. Das befürchten Kritiker der Übernahmewelle.

Nahrungsmittelkonzerne und Kapitalanleger als Praxisbetreiber

Die drei größten Betreiberketten, die auch in Bayern tätig sind, heißen Anicura, Evidensia und Tierarzt Plus. Anicura ist eine Tochter des US-amerikanischen Nahrungsmittelkonzerns Mars, der auch Tierfutter wie Pedigree, Whiskas, Sheba, Kitekat, Frolic und Cesar herstellt – mit einem Marktanteil von 24 Prozent. Bei Evidensia hat der Nestlé-Konzern eine Minderheitsbeteiligung. In Europa gehören schon 2.500 Tierarztpraxen und -kliniken zu der Kette, die in Bayern 19 Standorte betreibt. Und Tierarzt Plus ist in der Hand einer Venture Capital AG aus Berlin.

Seit es auf den Anleger- und Kapitalmärkten wieder mehr Zinsen gibt, hat sich zwar der Trend zu immer mehr Tierarztpraxen in Investorenhand verlangsamt. Doch in den kommenden Jahren werden viele Tierärzte der Babyboomer-Generation in Rente gehen. Nachfolger für die Praxen zu finden, ist schwierig.

Tierärzte sind oft Einzelkämpfer und stark Burnout-gefährdet, auch die Suizidrate ist in dieser Berufsgruppe vergleichsweise hoch. Die Belastungen sind groß, vor allem im Großtierbereich: weite Fahrtstrecken zu den Höfen, ständige Erreichbarkeit für Notfälle, immer mehr Büroarbeit, vergleichsweise geringer Verdienst. Der Frauenanteil an den fünf tiermedizinischen Fakultäten in Deutschland ist überdurchschnittlich hoch. Viele wünschen sich eine gute Work-Life-Balance und geregelte, familienfreundliche Arbeitszeiten – welche Tierärzte mit eigener Praxis eben oft nicht haben.

Tierärztekammer sieht Entwicklung positiv

Iris Fuchs, Präsidentin der Landestierärztekammer, hält größere Praxen grundsätzlich für positiv. Arbeitszeiten lassen sich besser organisieren; auch teure Investitionen wie zum Beispiel der Kauf eines MRT-Geräts sind eher möglich. Sie glaubt nicht, dass Tierärztinnen und Tierärzte bei den investorengeführten Praxen unter schlechteren Bedingungen arbeiten. Denn die Absolventen könnten sich angesichts des Tierarztmangels die Stellen aussuchen, seien gut vernetzt, würden sich nicht unter Druck setzen lassen.

Humanmedizin: Investorenpraxen sind teurer

Auch Siegfried Moder, Präsident des Europäischen Tierärzteverbandes, hält die investorengeführten Praxen für hilfreich. Etwa dann, wenn beispielsweise ältere Tierärzte keinen anderen Nachfolger finden. Die Praxen oder Kliniken würden sonst verloren gehen und den Tierarztmangel verschärfen, meint Moder. Ob in Investorenpraxen oder -kliniken eher teure und möglicherweise unnötige Behandlungen oder gewinnversprechende Gesamtpakete angeboten werden, sei offen. Wenn, dann seien solche Entwicklungen erst in zwei bis drei Jahren erkennbar.

Der Blick zur Humanmedizin mit dem dort schon seit längerem anhaltenden Trend zu investorengeführten Praxen zeigt allerdings, dass die Kosten nachweislich steigen: Eine Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung von 2022 ergab, dass medizinische Versorgungszentren in Investorenhand pro Behandlungsfall über 10 Prozent höhere Arzthonorare abrechnen als Einzelpraxen.

Weniger Bürokratie als Vorteil

Gemeinschaftspraxen haben dank der Synergie-Effekte weniger Bürokosten, etwa wenn die Zentrale Lohnabrechnungen oder Umsatzsteuererklärungen für viele Praxen erledigt. Arzneimittel, Technik oder Verbrauchsmaterial lassen sich in großem Stil günstiger einkaufen. Doch auch das Management der Betreiberkette will bezahlt sein.

Wie rentabel muss eine Praxis aus Investorensicht also sein? Manche freien Tierärzte empfinden es als Schreckensszenario, dass angestellte Tierärzte möglicherweise unter dem Druck stehen könnten, eine bestimmte Anzahl an teuren Untersuchungen "verkaufen" zu müssen. Die Tierbesitzer könnten nicht beurteilen, ob das teure MRT notwendig ist oder ob es der günstigere Ultraschall auch getan hätte.

Nachgefragt bei Andreas Striezel aus Bräuningshof bei Erlangen. Er hat seine Praxis an die Kette Tierarzt Plus verkauft und verneint, dass er Druck verspüre, etwas zu "verkaufen". Er ist froh über seine Entscheidung, da ihm die Zentrale lästige Bürokratie abnehme und sich sogar um die immer schwieriger werdende Rekrutierung neuer Mitarbeiterinnen kümmere.

Große Betreiberketten kaufen auch in Bayern vermehrt Tierarztpraxen auf. Gerade die Behandlung von Kleintieren scheint lukrativ, weil Besitzer bereit sind, für Hund und Katze viel Geld auszugeben. Aber die Kosten könnten steigen.
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Gerade die Behandlung von Kleintieren scheint lukrativ, weil Besitzer bereit sind, für Hund und Katze viel Geld auszugeben.

Leidet die Unabhängigkeit?

Für Tierärztin Susanne Wolz-Richter aus Ottensoos im Nürnberger Land dagegen käme es nicht infrage, sich bei einer Kette anstellen zu lassen. Sie hat zusammen mit einer Kollegin eine alteingesessene Großtierpraxis übernommen und schätzt ihre Freiheit. Derzeit könne sie aus allen Medikamenten aller Pharmafirmen auswählen, was sie für das beste halte. In einer Betreiberkette, so fürchtet sie, müsste sie womöglich bestimmte Medikamente vom Partnerkonzern der Praxiskette verkaufen.

Auch Landwirt Bernd Nerreter legt Wert auf unabhängige Tierärzte wie Wolz-Richter. An der Medizinerin schätzt er, dass sie auch mal von einer Behandlung abrät: "Eine investorengeführte Praxis wird wahrscheinlich auf Teufel komm raus weiter behandeln, damit sie vielleicht ihre Medikamente verkauft und noch mal mehr Geld verdient", befürchtet er.

Und tatsächlich: Nicht nur Skeptiker fragen, wo die Rendite herkommen soll – wenn nicht über die Kunden. Tierärzte dürfen den bis zu vierfachen Satz der Gebührenordnung verlangen, derzeit wird im Schnitt der 1,3-fache Satz berechnet. Im internationalen Vergleich gilt Deutschland aktuell als Billigland in Sachen Tierarztkosten: In Skandinavien oder Großbritannien sind die Rechnungen oft doppelt so hoch.

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