Wer in den Lechtaler Alpen derzeit unterwegs ist, dem konnte es im Spetmeber passieren, dass es plötzlich nicht mehr weitergeht. Wege wurden hier Anfang September nach Starkregen und Unwettern weggespült. So zum Beispiel zwischen Leutkircher Hütte und Stuttgarter Hütte, wo der Weg zum Teil abgerutscht ist, wie Bergwanderer berichten.
Ohne Weg: Nicht weitergehen
Die Hüttenwirtin der Leutkircher Hütte habe die erfahrenen Wanderer noch gewarnt, aber sie hätten es erst geglaubt, als sie selbst zu der Stelle kamen und merkten: Es geht hier tatsächlich nicht weiter.
Ohne Weg im Absturzgelände weiterzugehen, erschien der Wandergruppe zu gefährlich. Und so entschlossen sie sich, umzukehren.
Umkehren ist die richtige Entscheidung
Genau die richtige Einschätzung und Entscheidung, meint der Allgäuer Bergführer Thomas Dempfle vom Oase Alpincenter in Oberstdorf. Besser, man kehre zehnmal um, als einmal etwas zu riskieren.
Er selbst kennt das Problem. Auch rund um Oberstdorf - wie überall in den Alpen - führen Extremwetter dazu, dass Wege zerstört oder durch Schlamm- und Steinlawinen verschüttet werden. Bäche, die in der Karte als Rinnsale eingezeichnet sind, können sich nach ergiebigen Niederschlägen plötzlich in reißende Ströme verwandeln. Auch da sei es besser, nicht trotzdem zu versuchen, den Bach zu überqueren. Am Ende könne man weder vor noch zurück, was dann schnell besonders gefährlich wird.
Bäche werden zu reißenden Strömen
Gefährlich kann das etwa im Katzentobel werden, durch den es von Einödsbach hoch zum Waltenberger Haus und zum beliebten Heilbronner Weg geht. Als Bergführer hat Thomas Dempfle immer ein Seil dabei, um die Gäste im Zweifelsfall zu sichern. Aber man müsse natürlich auch mit einem Seil umgehen können.
Insofern sei der bessere Tipp für alle Nicht-Bergführer und Wanderer ohne große Bergkenntnis: sich umfassend informieren. Vorab kann man im Tourismusbüro anrufen oder auf der Hütte, ob der Zustieg möglich ist. Natürlich bleibt immer ein Restrisiko.
Verhältnisse können sich schnell ändern
Die Verhältnisse in den Bergen können sich sehr schnell ändern, weiß Franz Güntner vom Deutschen Alpenverein. Anders als beim Autofahren gebe es keine Art Verkehrsfunk mit einer Übersicht über alle gesperrten Wege.
In Oberstdorf zumindest gibt es seit zehn Jahren einen Bergsportbericht [externer Link]. In dem einzigartigen Service werden aktueller Wetterbericht, Hüttenöffnungen und Wegebeschaffenheit täglich aktualisiert online gestellt. Ähnlich wie man das von Pisten- und Loipenberichten im Winter kennt, sind die Wanderwege mit grünen und roten Punkten gekennzeichnet: Grün für begehbar. Rot für gesperrt. Rotgrün – bedingt begehbar wie derzeit zum Beispiel der Abstieg von der Seealpe nach Oberstdorf – aufgrund von Bach-Geschiebe nach Hochwasser, laut Bergsportbericht. Auch darüber, dass der Anstieg zum Biberkopf von Warth aus wegen eines Murenabgangs und Wegabbruchs aktuell nicht möglich ist, informiert die Übersicht.
Immer mehr Wegeschäden durch Extremwetter
Gerade in diesem Sommer kam es nicht nur im Allgäu, in den Lechtaler Alpen und am Arlberg vermehrt zu Murenabgängen nach Starkregen. Insgesamt nimmt dieses Phänomen zu, denn auch die Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen steigt an, beobachtet der Klimapolitologe Reinhard Steurer von der Universität Wien und meint, irgendwann komme der Punkt, an dem man entscheiden muss, Infrastruktur aufzugeben.
Auch Wanderwege und Hütten gehören zur Infrastruktur, zumindest zur touristischen Infrastruktur. Im Hochgebirge existieren heute schon Wege nicht mehr, die noch vor Jahrzehnten in Wanderkarten eingetragen wurden. In tiefer gelegenen Regionen wird man sich mehr und mehr erkundigen müssen, ob Routen noch gangbar sind. In einigen Jahren wird das zur Routine der Tourenvorbereitung gehören, meint der Wissenschaftler.
Flexibilität und Eigenverantwortung sind gefordert
Schon jetzt findet sich im Oberstdorfer Bergsportbericht der Hinweis, dass der Status eines alpinen Wegs nur eine Empfehlung aufgrund der aktuellen Bedingungen auf Basis sommerlicher Normalverhältnisse sei. "Inwieweit Du die Fähigkeiten besitzt, die angegebenen Wege sicher zu begehen, liegt ausschließlich in deiner Verantwortung. Grundsätzlich sollte man die eigenen Fähigkeiten nie über- und die alpinen Gefahren niemals unterschätzen", heißt es dort.
Umkehren bleibt im Zweifelsfall immer die sicherste Variante. Doch um Umkehren zu können, braucht man natürlich genügend Kraftreserven, weil der Weg zurück oft mit zusätzlichem Gehen verbunden sein kann. Wegsperrungen und Umleitungsschilder sollte man unbedingt ernst nehmen, auch wenn man die Gefahr nicht selbst erkennen kann. Denn die Schilder werden nicht ohne Grund aufgestellt.
Im Video: Die "Vollkasko-Mentalität" am Berg
Dieser Artikel ist erstmals am 7.9.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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