Der rasante Aufstieg von Varta war in Nördlingen in den vergangenen Jahren für alle sichtbar: Direkt neben der Bundesstraße ist in kurzer Zeit ein neues, großes Fabrikgebäude entstanden. Die Stadt und der Abfallwirtschaftsverband Nordschwaben siedeln sogar den Nördlinger Recyclinghof um, damit der große Nachbar Varta sich auch künftig weiter ausbreiten kann. Doch das schnelle Wachstum des Batterieherstellers am Standort Nördlingen kehrt sich vorerst in einen genauso schnellen Schrumpfkurs um.
Belegschaft schrumpft um die Hälfte
Von 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im vergangenen Jahr wird die Belegschaft bis 2023 um die Hälfte verkleinert, indem befristete Verträge nicht verlängert werden. Außerdem schickt Varta von Dezember bis Ende April 500 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Sie sollen die Arbeitszeit um 80 Prozent reduzieren, also nur noch einen statt fünf Tage die Woche arbeiten.
Lithium-Ionen-Zellen für Kopfhörer und Fitnessuhren
Dabei waren die Aussichten vor zwei Jahren noch sehr gut: Varta kam kaum damit hinterher, kleine Lithium-Ionen-Zellen zu produzieren. Sie stecken zum Beispiel in Fitnessuhren und kabellosen Kopfhörern, die viele zusammen mit ihren Smartphones benutzen. In Nördlingen baute Varta deshalb eine neue große Fabrikhalle, die vergangenes Jahr im Beisein von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eingeweiht wurde. Innerhalb kurzer Zeit schnellte die Zahl der Mitarbeiter auf 1.000 nach oben. Varta wurde zum größten Arbeitgeber in Nördlingen.
300 Millionen Euro Fördergelder
Zunächst sah es so aus, als würde diese positive Entwicklung weitergehen. 2020 hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) persönlich einen Förderbescheid in der Varta-Zentrale im baden-württembergischen Ellwangen überreicht: 300 Millionen Euro bis 2024. 100 Millionen Euro davon gehen an den Standort Nördlingen. Dort soll die nächste Generation von Lithium-Ionen-Zellen entwickelt werden. Varta war das erste Unternehmen, das aus einem Milliardenprogramm der Bundesregierung für die Batteriezellproduktion in Deutschland Geld bekam. Altmaier sagte damals, Deutschland dürfe nicht ins Hintertreffen geraten – sich also von ausländischen Produzenten auf Dauer abhängig machen.
Umsatz und Gewinn geht zurück
Nach vielen Meldungen über hohe Umsätze und sehr hohe Gewinne in den vergangenen Jahren jetzt innerhalb weniger Monate die Kehrtwende. In den ersten neun Monaten des Jahres ist der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf 570 Millionen Euro gesunken. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) ist im gleichen Zeitraum um 64 Prozent auf 66,4 Millionen Euro gesunken.
Preisanstieg bei Lithium um 600 Prozent
Laut dem Vorstand der Varta AG machen dem Unternehmen gestiegene Ausgaben zu schaffen: Vorstandsmitglied Armin Hessenberger sagte bei einer Pressekonferenz, die Energiekosten hätten sich nahezu verdreifacht. Außerdem seien die Rohstoffpreise stark angestiegen: Das für die Batterieproduktion wichtige Lithium sei zwischenzeitlich um 600 Prozent teurer geworden. Die Preise für Kobalt und Mangan seien im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sei der private Konsum gesunken und werde auch niedriger bleiben. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Inflation kaufen sich weniger Menschen Fitnessuhren und Kopfhörer.
Apple setzt nicht mehr nur auf Varta
Die Gewerkschaft IG Metall in Augsburg sieht aber nicht ausschließlich äußere Umstände für die Krise bei Varta. Juliane Deak von der IG Metall sagte dem BR, es sei kein Geheimnis, dass mit Apple einer der Großkunden auf einen zweiten Zulieferer setze und nicht mehr exklusiv bei Varta einkaufe.
Viel Geld vom Staat, hohe Dividenden für die Aktionäre
2020 Förderzusagen vom Staat über 100 Millionen Euro für den Standort Nördlingen, jetzt springt der Staat mit dem Kurzarbeitergeld für den Großteil der Belegschaft ein und dazwischen hat Varta 200 Millionen Euro an Dividenden an die Aktionäre ausgezahlt. Geld, das jetzt fehlt. Varta hat angekündigt, vorerst keine Dividenden mehr auszuschütten. Allerdings ist das Geld auch für den Zeitraum ausgezahlt worden, als es Varta blendend ging. Da ist es üblich, die Aktionäre, die in ein Unternehmen investiert haben, für ihre Risikobereitschaft zu entlohnen.
Erst 63 Millionen Euro Fördergelder ausgezahlt
Was mit den Fördergeldern passiert ist, ist noch nicht klar. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage, bisher seien rund 63 Millionen Euro von den insgesamt 300 Millionen Euro ausbezahlt worden. Aktuell prüfe man, ob die angekündigten Sparmaßnahmen Auswirkungen auf die Förderungen hätten. Allgemein gelte: Wenn sich ein Projekt verzögere, so würden Fördergelder entsprechend später bereitgestellt. Werde ein Projekt abgebrochen, so könnten Gelder auch zurückgefordert werden, teilte das Ministerium mit.
Regierung will Batterieproduktion in Deutschland halten
Generell sehe die Bundesregierung die Batterieproduktion aber weiterhin als Schlüsselelement in der Energiewende an. Eine heimische Batterieproduktion stärke die Resilienz der Lieferketten – also die stabile Versorgung in der Wirtschaft. Ähnlich sieht es das bayerische Wirtschaftsministerium, das sich an den Förderungen beteiligt. Man sehe für den Freistaat weiterhin gute Chancen als Standort für die Batterieproduktion, teilte das Ministerium dem BR mit.
Varta stoppt nächsten Fabrikneubau in Nördlingen
Jetzt muss sich zeigen, ob der Freistaat ein guter Standort für die Batterieproduktion ist und mit der Konkurrenz aus dem Ausland mithalten kann. Den nächsten geplanten Neubau in Nördlingen hat Varta vorerst gestoppt. Es sollte eine Fabrik für Elektroauto-Batterien entstehen. Jetzt warte man erst konkrete Zusagen von künftigen Auftraggebern ab, bevor gebaut wird.
Lichtblick für Varta-Beschäftigte auf Jobsuche
Immerhin, vielleicht gibt es für die Varta-Beschäftigten, die sich eine neue Arbeit suchen müssen, einen Lichtblick. Nördlingens Oberbürgermeister David Wittner (PWG) sagte dem BR, Mittelstand und Handwerk in Nördlingen würden dringend Personal suchen. In der Vergangenheit habe es fast schon den Vorwurf gegeben, dass Varta zu viele Mitarbeiter abwerben würde. Diese Zeiten sind nach dem rasanten Aufstieg von Varta in Nördlingen vorerst vorbei.
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