Wie ein ausgeknockter Riese liegt der LKW im Feld neben der Straße – auf der Seite, parallel zur Fahrbahn, vollkommen bewegungsunfähig. Was hier passiert ist? "Das wissen wir selbst nicht", sagt Daniel Eichenseher, "ob er jemand ausweichen musste oder ob er eingeschlafen ist." Der Fahrer liege im Krankenhaus, sei aber zum Glück nicht allzu schwer verletzt. Es ist morgens acht Uhr im Landkreis Dachau, westlich von München. 'Kontrovers - Die Story' hat Daniel Eichenseher und sein Team bei der Bergung begleitet.
Eichenseher ist Betriebsleiter bei einem Abschleppdienst. Er und seine Kollegen sollen den 40-Tonner bergen. Zuerst muss aber der Frachtraum leer sein – das Technische Hilfswerk packt mit an, um die schweren Stahlkabeltrommeln, die der LKW geladen hatte, nach draußen zu befördern. Dafür steht die Hecktür des LKW-Auflegers offen, genauso wie die Verkleidung der oben liegenden Seite. Erst wenn der LKW leer ist, können Eichenseher und sein Team mit der Bergung beginnen.
Gefahr: Beim Bergen kann Treibstoff in die Umwelt fließen
Mit zwei LKW-Kränen wollen die Helfer das umgestürzte Fahrzeug nun anheben und aufstellen. Die Gefahr dabei: Dass ein Umweltschaden entsteht. "Jetzt ist noch alles dicht", sagt Eichenseher. Doch womöglich gibt es eingeklemmte Motoröl- und Treibstoffleitungen oder beschädigte Tanks, die nur durch das Gewicht des LKWs zusammengehalten werden, beim Aufstellen aber auslaufen könnten.
Der Abschleppdienst Eichenseher kümmert sich nicht nur um verunfallte Schwerlastfahrzeuge. Mitarbeiter Andreas Lerner ist etwa in München unterwegs. Er soll einen Falschparker abschleppen, der ohne Berechtigung auf einem Behindertenparkplatz vor einem Krankenhaus steht. Der Auftrag kam von der Polizei. Lerner hat schon die Gurte an den vier Felgen befestigt, da taucht der Fahrer auf. Er hat Glück, sein Auto wird nicht abgeschleppt. Zusätzlich zum Strafzettel muss er lediglich die bislang entstandenen Kosten des Abschleppdienstes zahlen.
Abschleppdienst begegnet auch Angehörigen von Unfalltoten
So glimpflich läuft die Arbeit nicht immer ab. Abschleppdienste kommen auch bei schweren Verkehrsunfällen zum Einsatz. "Ich habe schon viele Schicksalsschläge gesehen", sagt Lerner auf dem Weg zum nächsten Falschparker. Angehörige, deren Partner oder Verwandte bei einem Unfall gestorben sind – auch ihnen begegnet Lerner bei seiner Arbeit. Früher haben ihn die Bilder von den Unfallstellen schlecht schlafen lassen, über die Jahre habe sich das aber gebessert, erzählt er.
Am nächsten Einsatzort wird Lerner schon von Bauarbeitern erwartet. Sie sollen das Pflaster auf einem Parkplatz aufreißen, deswegen gilt an dieser Stelle seit dem Morgen ein einwöchiges Halteverbot. Teile des Pflasters haben die Arbeiter bereits entfernt, da nun aber ein Kompaktklassewagen im Weg steht, gab es einen Anruf bei der Polizei. Die hat den Abschleppdienst beauftragt. Lerner macht Fotos von bereits vorhandenen Schäden am Auto, sodass diese später nicht ihm angelastet werden können. Dann braucht es volle Konzentration: Per Hand steuert Lerner den Kran nur wenige Zentimeter zentral über das Autodach. Anschließend hängt er hier die Gurte ein, die er zuvor an den Felgen montiert hat, und hievt den Wagen langsam auf die Lagefläche.
Lerner: "Der Großteil ist schon froh, dass es uns gibt."
Bei aller Vorsicht weiß Lerner auch: "Wir können die Straße hier nicht ewig blockieren. Also wir müssen hier schon zügig vorankommen." Kaum ausgesprochen, bringt auch schon ein hupender Verkehrsteilnehmer seine Ungeduld zum Ausdruck. Lerner bringt den Wagen nun zur Kfz-Verwahrstelle der Polizei. Die Gesamtkosten für die Verursacher liegen in der Regel über 300 Euro. Auch wenn sich Falschparker über die Abschleppaktion wohl eher nicht freuen – sie machen nur einen Teil der Arbeit aus, hinzu kommen Pannen- und Unfallhilfe. "Der Großteil ist schon froh, dass es uns gibt", sagt Lerner. Er weiß die Dankbarkeit der Kunden zu schätzen: "Deswegen macht auch der Beruf so Spaß."
Zurück auf der Landstraße im Landkreis Dachau. Daniel Eichenseher und seine Kollegen müssen den umgestürzten LKW leicht aufbocken. So können sie die dicken Gurte unter dem 40-Tonner hindurchführen. An denen ziehen anschließend zwei Krans und richten den LKW so langsam wieder auf. Mit einem kleinen Rumms landet das Fahrzeug wieder auf allen vier Rädern. "Die Dieseltanks sind dicht. Motoröl ist nicht ausgelaufen", sagt Eichenseher - kein Umweltschaden also. Bis auf Windschutzscheibe und Spiegel ist der LKW auch sonst größtenteils intakt.
So teuer ist die Bergung eines LKW
Noch steht das Fahrzeug aber weiter halb im Graben. An drei Achsen – vorne, hinten und in der Mitte – werden wiederum dicke Gurte und Kettenvorrichtungen befestigt. Die Kräne heben den LKW final auf die Straße. Für die letzte Aktion braucht es Vertrauen: Die auf der Unterseite des LKWs befestigten Bergegurte müssen vor dem Absetzen noch entfernt werden. Ein Mitarbeiter kriecht unter den schwebenden 40-Tonner und erledigt die Aufgabe.
Der LKW steht wieder auf sicherem Terrain. Nun heißt es: Letzte Scherben zusammenkehren, Sattelzug und Aufleger separat abschleppen, dann ist es geschafft. Daniel Eichenseher und sein Team waren dafür rund zwölf Stunden im Einsatz. Insgesamt wird diese Bergung zwischen 20.000 und 30.000 Euro kosten, vermutet der Betriebsleiter. Viel Geld, aber der LKW habe seiner Schätzung nach auch noch einen Zeitwert von 60.000 bis 70.000 Euro. Der Kunde – die betroffene Spedition – ist zufrieden. "Alles perfekt. Das geht runter wie Butter", sagt Eichenseher kurz vor Feierabend.
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