Bevor der Wintereinbruch es unmöglich macht, will sich Rainer noch einmal auf die Suche nach seiner Schwester machen. Die Ungewissheit, was aus ihr geworden ist, lässt ihm und der Familie keine Ruhe. Das letzte Lebenszeichen seiner Schwester stammt vom Juli 2020: Die Polizei fand einen Eintrag von ihr im Gipfelbuch des Pflasterbachhörndl bei Bad Reichenhall.
Immer wieder waren Rainer und andere Angehörige seitdem in dem Gebiet unterwegs. Gemeinsam mit einer freiwilligen Helfergruppe will er dieses Mal eine Steilwand absuchen, wo sie verunglückt sein könnte.
- Tödlich verunglückter Wanderer nach fast drei Jahren geborgen
Die Kontrovers-Story: verzweifelte Suche nach vermisster Schwester
"Alpine Vermisstensuche" unterstützt Angehörige bei der Suche
"Wir arbeiten Streifen für Streifen. Ein Streifen braucht einen Tag. Wir sind da stundenlang unterwegs", erzählt Oliver Landolt. Er hat vor drei Jahren die Helfergruppe "Alpine Vermisstensuche" zusammen mit anderen ins Leben gerufen. Rund 20 Freiwillige unterstützen Angehörige bei der Suche nach vermissten Familienangehörigen.
Rainer ist dankbar für die Hilfe der Gruppe: "Für mich ist das Schöne, dass jemand da ist in dieser Situation. Das ist eine absolute Ausnahmesituation. Das gibt Motivation. Diese Gewissenhaftigkeit, diese Menschlichkeit, die hilft mir sehr." Genau darum geht es der Helfergruppe, sagt Landolt. "Ich glaube, wenn keine Leiche da ist und man nichts weiß, dann tun die Angehörigen sich einfach schwer, loszulassen."
Suchtrupp seilt sich an Steilhang ab
Um neun Uhr startet der Suchtrupp in zwei Gruppen: Die einen suchen gemeinsam zu Fuß mit dem Bruder unterhalb der Wand. Landolt dagegen macht sich gemeinsam mit Johanna Bartos, ebenfalls Mitglied der Helfergruppe, auf den Weg zur Steilwand. Die beiden sind Höhlenforscher, sie sind das Abseilen in schwierigem Gelände gewöhnt.
Die Steilwand ist etwa 300 Meter hoch, teilweise geht es fast senkrecht nach unten. Das Ziel: zwei Terrassen, also etwas flachere Stellen. An insgesamt 28 Tagen waren die Helfer seit August 2020 auf der Suche nach der vermissten Wanderin. Sie hoffen, jetzt endlich den entscheidenden Hinweis zu finden.
Vermisste Menschen im Alpenraum
Derzeit werden in Bayern rund 1.600 Menschen vermisst. Manche seit vielen Jahren. Wie viele davon in den Bergen verschwinden, erfasst die Polizei nicht statistisch. Die Bergwacht hat ungefähr 200 Einsätze pro Jahr, bei denen sie vermisste Menschen suchen müssen. Manchmal kommt es aber auch zu schweren oder tödlichen Unfällen – und in einigen Fällen bleiben Personen auch nach einer langen Suche unauffindbar. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd geht im Alpenraum von mindestens zwölf Menschen aus, die immer noch nicht gefunden worden sind.
Suche nach Rucksack und Kleidungsstücken
Bartos hält Ausschau nach dem grau-grünen Rucksack der Vermissten. Mit dem soll sie am 24. Juli 2020 unterwegs gewesen sein - sollten sie auf etwas stoßen, würden sie die Polizei informieren. Beim Abseilen auf die zweite Terrasse, plötzlich eine Sichtung: Bartos glaubt, den Rucksack entdeckt zu haben. Sie schaut genau hin und dann Fehlanzeige: "Ich dachte, ich sehe den Rucksack, aber es war nur ein Stein. Die Enttäuschung ist immer groß", sagt Bartos.
Polizei findet Spuren, Verschwinden bleibt ungeklärt
Trotzdem wollen sie nicht aufgeben. Die Gruppe glaubt, dass die Frau auf dieser Berggruppe gewesen und verunglückt sein muss. Der Gipfelbucheintrag, ein Handykontakt der Vermissten mit dem Funkmast in Bad Reichenhall am Tag ihres Verschwindens. Im Mai 2021 gab die Polizei bekannt, dass "sterbliche Überreste" der Vermissten in der Nähe gefunden worden waren. Konkreter äußert sich die Polizei dazu nicht.
Eine darauffolgende Suchaktion mit Hubschrauber und zahlreichen Helfern blieb im Juni, fast ein Jahr nach dem Verschwinden, erfolglos. Eine Leiche wurde bisher nicht gefunden - laut dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd sind weitere Suchaktionen beabsichtigt. Für die Angehörigen bleiben Grund und Umstände des Verschwindens deshalb weiter unbeantwortet und die Helfer sind der Überzeugung, dass sie an der Wand entlang irgendwann auf ein Handy oder den Rucksack stoßen müssen.
Suche nach vermisster Wanderin bleibt erfolglos
Auch diesmal haben Rainer, der Bruder der Vermissten und die freiwilligen Helfer, keinen Erfolg. "Noch ein Punkt, wo wir wissen, dass sie dort nicht ist. Das ist auch ein Fortschritt", sagt Landolt am Ende eines langen Tages. Auch Rainer versucht, das Positive zu sehen: "Wie du sagst, zumindest weiß man jetzt, wo sie nicht ist. Danke euch!" Sobald das Wetter es zulässt, wollen sie die Suche wieder aufnehmen.
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