Ehemalige Niederlassung der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in Klosterzimmern
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Was erwartet die vermisste Elfjährige bei den "Zwölf Stämmen"?

Was erwartet die vermisste Elfjährige bei den "Zwölf Stämmen"?

Acht Jahre lang hat das vermisste Mädchen aus Eppisburg in einer Pflegefamilie gelebt, ist dort zur Schule gegangen, hat Freundschaften geschlossen. Jetzt ist sie mutmaßlich bei ihren Eltern bei den "Zwölf Stämmen" – in einer ganz anderen Welt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Kein Spielzeug, kein Fernseher, keine Süßigkeiten, kein Handy: Solche Dinge würden aus Sicht der Anhänger der "Zwölf Stämme" nur Neid, Habgier und Selbstsucht fördern, sagt die Theologin Claudia Jetter, Expertin für Weltanschauungsfragen bei der Evangelischen Kirche. Kein Eigentum, keine Individualität, dafür ein Leben in der Gemeinschaft und absoluter Gehorsam gegenüber den Älteren: Das gehört zu den Grundprinzipien dieser Gemeinschaft. Eine Kindheit bei den "Zwölf Stämmen" unterscheidet sich demnach beträchtlich von dem, was die Elfjährige bisher bei ihrer Pflegefamilie erlebt hat.

Hoffnung auf das 1000-jährige Friedensreich

Die Mitglieder der "Zwölf Stämme" glauben laut Jetter, dass sie das einzig auserwählte Volk Gottes sind. Sie lebten in Erwartung des Messias, von Yashua. Der werde bald kommen, so ihr Glaube, um mit ihnen zusammen im 1000-jährigen Friedensreich zu leben und zu regieren, bis ein Endgericht über die Ungläubigen – also: alle außerhalb ihrer Gemeinschaft – richten werde. Dafür aber ist es ihrer Vorstellung nach unabdingbar, rein von Sünde und frei von Schuld zu sein. Von ihren Kindern verlangen sie deshalb absoluten Gehorsam und Respekt.

Auch schon die Kleinsten müssen bei Versammlungen der Gemeinschaft stundenlang ruhig stehen. Tun sie das nicht, bekommen sie Schläge. Für andere Eltern sei das nicht nachvollziehbar, so Theologin Jetter, für die "Zwölf Stämme" aber die logische Konsequenz:

"Wenn man davon ausgeht, dass in ein paar Jahren oder sogar schon morgen der Messias kommt und es wirklich wichtig ist, dass man rein ist, und dass meine Kinder rein sind, damit sie zu den Auserwählten gehören, die gerettet werden, dann folgt das einer inneren Logik: Schlagen ist für die "Zwölf Stämme" nicht schlimm. Sie retten ihre Kinder, retten die Seelen ihrer Kinder, wollen sie retten und schützen. Nach deren Weltsicht funktioniert das so." Claudia Jetter, Expertin für Weltanschauungsfragen bei der Evangelischen Kirche

Die Kinder werden geschlagen, um sie zu retten

Mit Schlägen würden die Kinder gereinigt, gleichzeitig sei es aber auch Pflicht der Eltern, ihre Kinder bei Ungehorsam zu bestrafen, um zu beweisen, dass sie die Lehren Yashuas als offenbarte Worte annehmen und befolgen würden. Das einzige Ziel sei es, ein gottgefälliges Leben zu führen, für den Zeitpunkt, wenn Yashua wiederkomme.

Das Ziel: gehorsame Kinder ohne eigenen Willen

Der gesellschaftliche Konsens, dass ein Kind sich frei entwickeln und seine Grenzen austesten soll, das steht den Zielen der Zwölf Stämme diametral entgegen: Sie wollen gehorsame, respektvolle Kinder erziehen, die keinen eigenen Willen haben. Ihre Kinder halten sie von der Außenwelt fern. Die Mädchen müssen früh in Küche und Haushalt helfen oder auf ihre kleinen Geschwister aufpassen. Auch hier werden sie schon zu einer strengen Erziehung angeleitet. Die Buben arbeiten bei den Vätern mit. Unterrichtet werden sie in eigenen Schulen von Mitgliedern der Gemeinschaft. Lerninhalte wie die Evolutionstheorie oder Sexualkundeunterricht sind nicht mit den Glaubensinhalten der Gemeinschaft zu vereinbaren.

Aussteiger können nur schwer Fuß fassen

Die Gemeinschaft der "Zwölf Stämme" ist stark hierarchisch gegliedert, es handelt sich um eine zutiefst patriarchalische Gesellschaft. Der Einzelne ist nur etwas wert als Teil der Gemeinschaft. Das macht es auch Aussteigern so schwer, in der Welt außerhalb der Gemeinschaft Fuß zu fassen. Sie seien es nicht gewohnt, selbst Entscheidungen zu treffen oder eine eigene Meinung zu haben, so Jetter. Das sei wiederum auch das, was Menschen anspreche, in so eine Gemeinschaft zu gehen: Es gebe klare Vorgaben, was richtig und falsch sei, wie man sich wann zu verhalten habe. In einer Welt, in der wir ständige Entscheidungen treffen müssten, würden solche Gemeinschaften klare Richtlinien und Antworten bieten, so Jetter. Menschen, die da hineingeboren würden, würden nichts anderes kennen – draußen, werde ihnen eingeredet, sei das Böse, der Teufel, Satan.

"Heile Welt" versus Alltag bei den "Zwölf Stämmen"

In dieser aus Sicht ihrer Eltern "bösen Welt" hat das elf Jahre alte Mädchen aus Eppisburg nun also die meiste Zeit ihres bisherigen Lebens verbracht. Erst alle drei, später alle sechs Wochen haben ihre leiblichen Eltern sie besucht, unter Aufsicht einer Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes. Sie haben ihr Videos von ihrem Leben auf einem Hof in Tschechien mitgebracht – Filme, die laut der Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes eine heile Welt zeigten. Einen Alltag mit seinen leiblichen Eltern hat das Mädchen bisher nie erlebt. Jetzt wird sie ihn kennenlernen – einen Alltag, so ganz anders als ihr bisheriges Leben. Vorausgesetzt, sie ist wirklich bei ihren leiblichen Eltern. Davon aber geht die Polizei aus. Sie fahndet inzwischen europaweit nach dem Mädchen.

Vier der insgesamt zwölf Gemeinschaften der Zwölf Stämme befinden sich in den USA, zwei in Lateinamerika, vier in Europa, eine in Kanada und eine in Australien.

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