"Es war ein Donnerstag im April 2013. Heute bin ich nicht mehr die Frau, die ich damals war. Denn an diesem wunderschönen Frühlingstag erlebte ich etwas, was mein Leben nachhaltig und gravierend verändert hat: Ich wurde unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewaltigt." So steht die Geschichte von Nina auf einem Zettel, der an einer Kleiderstange in der Ausstellung hängt. Direkt daneben: ein dunkelblaues Sommerkleid. Darunter Lederflipflops. Die Kleidung, die Nina am Tag ihrer Vergewaltigung trug. Ihre und elf weitere Geschichten erzählt die Wanderausstellung "Was ich anhatte..." anhand der Kleidungsstücke der Opfer. Derzeit ist sie im Eichstätter Bahnhofsgebäude zu sehen.
Betroffene in allen Altersklassen
Ein Kleiderständer weiter: ein grüngeblümtes Kinderkleidchen von Ruth. Sie war sechs Jahre alt, als ihr Stiefvater sie sexuell missbrauchte - über Jahre hinweg. "Er kam in mein Zimmer. Wenn es dunkel war. Im Schlafanzug. Wenn meine Mutter nicht da war", so erzählt Ruth ihre Geschichte auf dem Zettel im Rahmen der Ausstellung. Heute berät Ruth Kinder und Familien, die von sexualisierter oder häuslicher Gewalt oder Mobbing betroffen sind. Auf der anderen Seite des Kleiderständers ein langes, hellblaues Nachthemd. Hier erzählt die Enkelin die Geschichte ihrer dementen Oma, die im Pflegeheim lebt. Dort hat ein Pfleger die Frau vergewaltigt. Die Ausstellung macht schnell klar: Alter oder gar die Kleidung spielen bei sexualisierter Gewalt keine Rolle.
Täter-Opfer-Umkehrung durchbrechen
Beatrix Wilmes hat die Ausstellung konzipiert. In den sozialen Netzwerken hatte sie einen Aufruf gestartet. Daraufhin meldeten sich 40 Frauen. Ihr Anliegen: Öffentlichkeit schaffen. "Wir möchten mit dieser Ausstellung Denkanstöße geben. Wir möchten, dass die Menschen, die die Kleidung sehen, die die Geschichten lesen, anfangen, sich damit auseinanderzusetzen. Das Thema rausholen aus der Tabuzone", nennt es Wilmes. Es solle nicht nur heimlich darüber geredet werden. "Es passiert in der Öffentlichkeit, wir zeigen es jetzt in der Öffentlichkeit und wir wollen, dass darüber geredet wird." Die Ausstellung zeige, es sei egal, was Frauen tragen, so Wilmes. Die Frauen seien nicht selbst schuld an sexuellen Übergriffen. Die Täter-Opfer-Umkehr müsse durchbrochen werden - in der gesamten Gesellschaft.
Aufklären und Öffentlichkeit schaffen
Ninas Fall ist nie vor einem Gericht gelandet, die Täter sind nie dafür bestraft worden. Die junge Frau lebt in München. Von Justiz und Gesellschaft ist sie enttäuscht. "Bei der Polizei hat man mir nicht geglaubt. Das mit den K.-o.-Tropfen werde nur in den Medien erzählt, hat man mir gesagt", erzählt sie. An dieser Herangehensweise habe sich ihrer Meinung nach in den vergangenen zehn Jahren nur wenig geändert. Sie hat ihr blaues Sommerkleid für die Ausstellung zur Verfügung gestellt: "Ich möchte die Gesellschaft verändern. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die Opfer einer echt schlimmen Straftat werden, danach weiter geschädigt und traumatisiert werden." Sie möchte erreichen, dass Opfer wirkliche Hilfe bekommen.
Täter kommen meist aus dem eigenen Umfeld
Rund 1.500 Vergewaltigungen wurden im letzten Jahr in Bayern angezeigt. Das sind aber nur die Fälle, die in der polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen. Studien zeigen, dass nur etwa jeder zehnte Fall bei der Polizei angezeigt wird. In etwa 16 Prozent der Fälle ist der Täter der Partner oder Ex-Partner, in über 40 Prozent der Fälle ein Freund oder Bekannter, mehr als die Hälfte der Täter stammen also aus dem privaten Umfeld.
Einer der vielfältigen Gründe dafür, dass nicht mehr Opfer Strafanzeige stellen, sei das Victim Blaming, meint Nina - also der Umstand, dass oft den Opfern die Schuld gegeben wird für das, was ihnen widerfahren ist. Das sei in den Institutionen wie Polizei und Justiz verankert, aber auch im privaten Umfeld, wie in Familien und Freundeskreisen. "Und das macht es den Opfern so schwer." Die Ausstellung sei ein Symbol dagegen, die klarmache, niemand werde wegen seiner Kleidung vergewaltigt. Nina setzt sich heute für Betroffene ein und hat dafür eigens einen Verein gegründet.
- Zum Artikel: Vergewaltigungen - Warum zeigen so wenige Frauen an?
Ausstellung nächstes Jahr in München
Die Wanderausstellung "Was ich anhatte..." ist noch bis zum 30. November im Bahnhof in Eichstätt zu sehen, also mitten in der Stadt. Es ist das zweite Mal, dass sie in Bayern ausgestellt wird. Im nächsten Jahr sollen die Kleidungsstücke und die Geschichten der Betroffenen in München zum Nachdenken aufrufen.
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