Zwölf Jahre ist es her, als Karina mit ihrem zweiten Kind schwanger war. Ein Junge, Sebastian. In der 39. Schwangerschaftswoche kann sie ihn nicht mehr spüren. "Bis zum Schluss haben wir gehofft, dass das jetzt nicht stimmt. Doch in der Klinik hat die diensthabende Ärztin dann irgendwann den Kopf geschüttelt. Da ist mir dann klar geworden, dass er jetzt nicht mehr lebt." Die Grundschullehrerin erzählt mit sanfter Stimme ihre Geschichte: vom Gefühl, wie betäubt zu sein. Und von der Kraft und Freude, die sie durch professionelle Begleitung in einer Beratungsstelle und den Austausch mit anderen Eltern von "Sternenkindern" erfahren hat.
Thema war lange tabuisiert
Der Begriff "Sternenkinder" soll den Fokus auf das Kind lenken, das während der Schwangerschaft oder kurz danach gestorben ist. Juristisch spricht man von Fehl- oder Totgeburten. Wie viele Schwangerschaften davon genau betroffen sind, ist nicht ganz klar: Die Schätzungen liegen zwischen elf und 20 Prozent. Der Weltsternenkindertag am 15. Oktober soll das sichtbar machen. Denn lange wurden diese frühen Verluste tabuisiert. Frauen sollten die Kinder so schnell wie möglich vergessen – oft bekamen sie die Babys nicht mal zu Gesicht.
Anlaufstelle für Betroffene
Erst seit 2013 können Eltern ihre Sternenkinder formlos beurkunden lassen – und bestatten, wenn sie das wollen. "Es hat sich viel getan in den letzten Jahren", beobachtet Bianca Steinbauer. Die Pädagogin und Therapeutin hat mit viel Elan in Hausham eine Beratungsstelle aufgebaut: die Bethanien Sternenkinder Beratungsstelle Oberland/Inntal.
Begrüßen, was man verabschieden muss
In einem großen Bücherregal sind Ratgeber aufgereiht, in einem anderen Raum lädt eine orangene Sitzecke ein, sich hinzusetzen. Kleine Lampen im ganzen Raum verbreiten ein warmes, orangenes Licht. Die Beratungsstelle ist für die Angehörigen von Sternenkindern in allen Lebenslagen da. In der Akutsituation geht es erst mal darum, sich Zeit zu nehmen, keine Entscheidungen zu treffen, die den Verlust noch viel schwerer machen. "Nur das, was man wirklich begrüßt hat, kann man verabschieden", erklärt Bianca Steinbauer.
Die Zeit mit Sebastian
Karina nahm sich nach der Nachricht von Sebastians Tod erst mal einen Tag Zeit. "Wir sind als Familie an den Schliersee gefahren, haben eine Schwimmkerze angezündet," erzählt sie. Sie entscheidet sich für eine normale Geburt. "Sebastian die Ehre zu erweisen, ihn selbst auf die Welt zu bringen, war für mich ganz, ganz wichtig". Sie berührt ihn nach der Geburt, macht Fotos, verabschiedet sich. Das kann befremdlich klingen, doch sie empfindet die knappe Zeit mit ihrem Sohn rückblickend als sehr wertvoll. Und auch Experten raten dazu, das Kind kennenzulernen.
"Oft einsam gefühlt"
Unterstützung bekommt sie auch von ihrem Umfeld. Karina ist ihrer Familie und ihren Freunden sehr dankbar. Doch es gibt auch Momente, in denen sie sich einsam fühlt – jetzt, wo die Geburt länger zurückliegt. "Nach einem Jahr redet niemand mehr mit dir darüber. Ich war auch gleichzeitig schwanger mit Freundinnen. Es war gar nicht böse gemeint, aber ich habe gespürt, dass sich etwas verändert hat." Besonders mit dem Trost, dass sie ja noch andere Kinder bekommen könne, tat sie sich schwer. "Das ist nicht das gleiche Kind. Es geht um den einen Jungen oder das eine Mädchen, das nicht sein darf."
Es geht nicht nur um Trauer
Geholfen haben ihr die vielen Angebote zum Austausch mit anderen Eltern von Sternenkindern in der Haushamer Beratungsstelle: Rückbildungskurse für Sternenmamas, Almwanderungen für die Väter, Kränze binden für den Weltsternenkindertag, auch mit den Geschwisterkindern. "Es geht nicht nur um Trauer, sondern wir treffen uns, um uns zu verbinden. Wir haben viele schöne Momente gemeinsam und es entstehen neue Freundschaften."
Schwierige Finanzierung: Keine Unterstützung vom Freistaat
Angebote für die Angehörigen von Sternenkindern gibt es immer mehr. Trotzdem sieht Bianca Steinbauer noch viel Arbeit besonders in den ländlichen Räumen. Hier seien die Tabus oft auch noch stärker als in der Stadt. Um das zu ändern, wünscht sie sich auch finanzielle Unterstützung vom Freistaat. Ihre Beratungsstelle wird von Stiftungs- und Spendengeldern finanziert. Betroffene können sich in Bayern zwar an Trauerberatungsstellen und Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen wenden. Spezielle Einrichtungen für die Hinterbliebenen von Sternenkindern, die die Betroffenen auch langfristig traumatherapeutisch begleiten, unterstützt der Freistaat bisher nicht speziell.
Doch aus Bianca Steinbauers Sicht sollte die Politik verstehen, wie präventiv diese Arbeit ist. "Es geht um die seelische Gesundheit eines gesamten Familienverbands. Fehlgeburten sind häufig und etwas ganz Natürliches. Wir können damit umgehen, aber es braucht gute Bedingungen, und wir müssen über diese Themen sprechen."
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