Autismus, Mutismus – Begriffe, die wohl den meisten etwas sagen. Sprachentwicklungsstörungen hingegen sind viel weniger bekannt – dabei gehören sie zu den häufigsten Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen: Knapp zehn Prozent von ihnen sind betroffen. Je früher man eine solche Störung der Sprache jedoch entdeckt und behandelt, desto einfacher ist es für die Betroffenen ihr Leben zu meistern.
Spielerisch lernen: Akkusativ oder Dativ?
Zwischen der Würzburger Logopädin Karolina Volk und Arvid liegen vier Bildkarten auf dem Tisch. Je zwei zeigen eine ähnliche Situation. Volk bittet Arvid gut zuzuhören und einen der bunten Steine aus dem Glas auf die Karte zu legen, deren Geschichte er hört. "Die Ente schwimmt in DEN Teich", spricht Volk. Arvid nimmt sich einen Stein und legt ihn zögerlich auf eine der Karten. "Hör nochmal genau hin: in DEN Teich - nicht in DEM", versucht Volk dem Achtjährigen einen Tipp zu geben.
Sprachentwicklungsstörung umfasst viele Bereiche
Arvid hat eine Sprachentwicklungsstörung, kurz SES, und ist damit etwa eins von 830.000 Kindern deutschlandweit, die eine solche Entwicklungsstörung haben. Die Ursachen sind in den meisten Fällen unklar. Bei einer SES sind wie bei Arvid etwa der Wortschatz und die Grammatik betroffen. Häufig gibt es auch Probleme in der Kommunikation, der Aussprache oder beim Verstehen von Sprache.
Probleme Sprache zu verstehen - Schwierigkeiten in der Schule
Dass das für Kinder mit einer SES vor allem im schulischen Alltag zu Problemen kommen kann, weiß Professorin Carina Lüke, Inhaberin des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik: „Für ein Kind kann es schwierig sein, sich neue Wörter anzueignen. Es muss in der Schule lernen, was ein Dreieck ist, eine Ecke, eine Kante, eine Fläche. Wenn es aber Probleme hat, sich neue Wörter zu merken, deren Bedeutung zu verstehen, dann kann dieses Kind dem Unterricht nur schlecht folgen. Und genau das ist ein erhebliches Problem für Kinder mit einer SES.“
Corona und Home-Schooling: Kinder mit SES bleiben unentdeckt
Auf die Zahl der Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung habe Corona keinen Einfluss gehabt, sagt die Professorin. Allerdings: „Was durch Corona sicherlich mehr geworden ist, dass wir die Kinder nicht entdecken. Eine SES ist schwer zu entdecken. Vor allem pädagogische Fachkräfte sind da hilfreich. Sie sehen, dass sich das ein oder andere Kind nicht altersgemäß sprachlich entwickelt und geben den Hinweis an die Eltern. Durch Corona ist dies weniger geworden, weil die Kinder nicht in den Einrichtungen waren.“
Zusammenarbeit in Medizin und Bildung wäre wichtig
Um zu verhindern, dass Kinder mit einer SES womöglich übersehen werden, würde sich Lüke wünschen, dass der medizinisch-therapeutische mehr mit dem Bildungsbereich zusammenarbeitet. „Interdisziplinarität wäre extrem wichtig, damit betroffene Kinder kontinuierlich beobachtet und entsprechend betreut und gefördert werden können.“
Je früher in Therapie, desto besser die Entwicklungschancen
Ob sich ein Kind alterstypisch in der Sprachentwicklung befindet oder eine Störung hat, ist oft schwer von außen zu beurteilen. Erste Anlaufstelle ist die kinderärztliche Praxis. Entscheidend ist dann eine logopädische Diagnostik. Wenn eine SES frühzeitig entdeckt und therapiert wird, können sich die Kinder und Jugendlichen altersgemäß entwickeln. "Lieber präventiv handeln als zu spät, dann kann eine langwierige Therapie womöglich vermieden werden", erklärt Lüke.
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