Weil sie selbst in der 10. Klasse im vergangen Jahr wegen Corona nicht in ein ehemaliges Konzentrationslager fahren konnten, haben Nicholas Vogel und Merle Ertl einen eigenen Bildungsausflug organisiert. Die beiden machen gerade ein Praktikum im Burghauser Jugendbüro für die Fachoberschule Altötting. "Wir haben uns gedacht, dass die Geschichte der NS-Zeit in der Umgebung nicht besonders bekannt ist und man richtig wenig darüber weiß, was die Nazis in den Landkreisen Altötting und Mühldorf getan haben. Das wollten wir den Leuten näherbringen", erklärt Nicholas.
Mühldorfer Hart: Waldlager, Appellplatz, Massengrab
Franz Langstein, Vorsitzender des Vereins "Für das Erinnern – KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart" führt die Gruppe über das Gelände der ehemaligen Außenstelle des KZ Dachau. Im Waldlager sind noch die Umrisse der Hütten zu sehen, in denen die KZ-Häftlinge schlafen mussten. Weiße Baumstämme markieren den Bereich des ehemaligen Appellplatzes. Dort wurden die Gefangenen jeden Morgen und Abend gezählt, erzählt Franz Langstein. Erst wenn die Zahl passte, durften sie in die Hütten. Gezählt wurden zur Not auch Leichen, die im Anschluss in ein Massengrab kamen. Von 4.000 Toten weiß Franz Langstein sicher.
Tod durch Arbeit nach zehn Wochen
Dabei stand in Mühldorf laut Franz Langstein nicht der Vernichtungsgedanke im Vordergrund, sondern: "Arbeite, bist du tot bist. Man hat hier nicht vergast oder erschossen, man hat die Leute arbeiten lassen unter Bedingungen, die relativ schnell zu einer starken körperlichen Entkräftung geführt haben". Die durchschnittliche Lebensdauer betrug ihm zufolge acht bis zehn Wochen bei guter körperlicher Verfassung. Diese Erkenntnis schockiert die 16-jährige Merle besonders: "Dass die Lebenserwartung so gering ist, fand ich sehr krass."
Noch nicht Teil der Gedenkstätte: Der Bunkerbogen
Es geht weiter zur Bunkerbaustelle: Zwei Kilometer von den Hütten entfernt mussten die Gefangenen schuften - vor allem schwere Zementsäcke schleppen, zitiert Franz Langstein einen Überlebenden. Gelbe Schilder mit der Aufschrift "Lebensgefahr" warnen davor, das Gelände zu betreten. Auch Franz Langstein hält die Gruppe dazu an, nicht unter den massiven Betonbogen zu gehen, weil Teile herabfallen können. Der Bunkerbogen ist noch kein offizieller Teil der Gedenkstätte, auch wenn die Kampfmittelbeseitigung dort mittlerweile abgeschlossen ist.
Unterirdische Flugzeugproduktion geplant
Insgesamt zwölf der riesigen Bunkerbögen wollte das NS-Regime bauen. Geschafft haben sie sieben. Tief unter der Erde sollte eine Produktionsstätte für Flugzeugteile entstehen. Diese sollten dann über die bestehenden Bahnlinien ins KZ-Außenlager Kaufering gebracht und dort zusammengebaut werden. Die Alliierten zerbombten alle Bögen, bis auf den siebten - unter dem lag noch der stabilisierende Kiesberg, so Franz Langstein. Mitorganisator Nicholas ist sichtlich beeindruckt von dem Bauwerk.
Gedenkarbeit anfangs unerwünscht
Direkt vor dem massiven Betonbogen erzählt er der Gruppe von Menschen jedes Alters aus Altötting und Mühldorf von den Anfängen der Gedenkarbeit in der Region, in der man anfangs noch Gras über das Ganze wachsen lassen wollte. Am Ende der Führung erzählt er noch einen Witz, den er vom Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer gehört hat - weil man irgendwann nur noch mit Humor reagieren könne. Für Merle und Nicholas war der Ausflug ein Erfolg: "Er hat bleibende Eindrücke hinterlassen, hoffentlich auch bei allen Teilnehmern."
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