Bankkauffrauen, Optikerinnen oder Mechatroniker bilden sich berufsbegleitend weiter, um dann als sogenannte Ergänzungskräfte in Kindergarten, Hort oder Krippe angestellt werden zu können. Gleichgestellt, finanziell und rechtlich, mit Kinderpflegerinnen. BR24 hatte kürzlich über die modularen, vom Sozialministerium entwickelten Kurse berichtet.
Von Fachakademien und Berufsfachschulen, die für die klassische Ausbildung von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen zuständig sind, kam kurz darauf heftige Kritik an dieser Weiterbildung. In einem Brandbrief, unter anderen adressiert an die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU), kritisierte ein breites Bündnis, dass es bergab gehe mit der frühkindlichen Bildung in Bayern. Es sei skandalös, hieß es weiter, dass Kitas mit schlecht ausgebildeten Amateuren überflutet würden. Die Kleinsten der Gesellschaft würden nicht mehr erzogen und gebildet – wie es im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan festgeschrieben ist. Sie würden nur noch aufbewahrt.
"Wie ein Sechser im Lotto": Dank Weiterbildung Berufswunsch erfüllt
Diese harsche Kritik trifft viele Frauen und Männer. Barbara Grandl zum Beispiel. Sie ist eine der Quereinsteigerinnen, hat die Weiterbildung zur Ergänzungskraft erfolgreich absolviert und arbeitet jetzt im evangelischen Kindergarten "Zum Regenbogen" in Willing im Landkreis Rosenheim.
Einmal die Woche macht sie eine spezielle Bewegungseinheit mit den jüngeren Kindern der Gruppe. Die Mädchen und Buben dürfen an der Sprossenwand klettern, in Reifen hüpfen oder durch einen Stofftunnel krabbeln. Die Kleinen lernen dabei sich selbst und ihre körperlichen Fähigkeiten kennen. Sie üben sozial in der Gruppe, gehen über Grenzen. Psychisch wie körperlich. Für sie als Ergänzungskraft seien diese Einheiten jetzt nach der Weiterbildung ganz anders als früher, als sie noch ungelernte Assistenzkraft war, erzählt Barbara Grandl. Denn durch die Weiterbildung nehme sie viel mehr wahr, habe viel mehr theoretisches Wissen.
Von der Bankkauffrau zur Kinderpflegerin
Berufsbegleitend hat die gelernte Bankkauffrau ein Jahr lang die vom Sozialministerium entwickelte Weiterbildung gemacht. Und ist jetzt gleichgestellt, finanziell und rechtlich, mit einer Kinderpflegerin. Das sei wie ein Sechser im Lotto, so Barbara Grandl, dass sie sich ihren Traum auf diesem Weg habe erfüllen können. Denn für sie als Mama von drei Kindern sei jetzt, mit 47 Jahren, eine klassische Vollzeit-Ausbildung zur Kinderpflegerin nicht mehr in Frage gekommen.
Carmen Hellfritsch, die Leiterin des Kindergartens "Zum Regenbogen" in Willing im Landkreis Rosenheim, schätzt ihre neue Ergänzungskraft sehr. Barbara habe große Freude an der Arbeit mit den Kindern. Sie sei eine unglaubliche Bereicherung für die Einrichtung. Carmen Hellfritsch sieht natürlich auch "das Dilemma", das es derzeit im Bereich der Kinderbetreuung gebe. Laut Sozialministerium fehlen rund 18.800 Ergänzungs- und Fachkräfte in den bayerischen Kitas.
Die modulare Weiterbildung sei sicherlich nicht für jeden, aber doch für manche eine sehr gute Möglichkeit für einen Quereinstieg, findet Carmen Hellfritsch. Für Barbara Grandl beispielsweise sei es sehr sinnvoll gewesen, sich weiterzuqualifizieren. Denn "die Barbara ist pädagogisch fit, sie weiß, was sie tut, sie hat Freude an dem Beruf." Nach dem erfolgreichen Abschluss konnte sie als pädagogische Ergänzungskraft unbefristet angestellt und auch in den Betruungsschlüssel mit eingerechnet werden. Das widerum helfe freilich auch dem Träger, erklärt Hellfritsch.
"Es geht bergab mit der frühkindlichen Bildung in Bayern"
Ein breites Bündnis von Fachakademien und weiteren klassischen Ausbildern für Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen sieht durch die modulare Weiterbildung jedoch die frühkindliche Bildung in Bayern in Gefahr. Die Weiterbildung habe mit Qualität nichts mehr zu tun und müsse dringend überarbeitet werden, findet auch Timo Meister, der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft katholischer Erziehungsstätten.
Er hatte den Brandbrief initiiert und beklagt, es sei skandalös, dass Kitas mit schlecht ausgebildeten Amateuren überflutet würden. Die Kleinsten der Gesellschaft würden nicht mehr erzogen und gebildet – wie es im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan festgeschrieben ist. Sie würden nur noch aufbewahrt. Barbara Grandl erlebt das aber ganz anders. Gerade dank der Quereinsteigerinnen stehe ihr Kindergarten gut da. Denn sie hätten noch genug Personal, um wirklich zielgerichtet zu arbeiten, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. "Das geht aber nur, weil wir so viele sind."
Geschlossene Kitas oder Abstriche bei der Qualifikation?
Auch Andreas Dexheimer, der Vorstand der Diakonie Rosenheim, kann die Kritik der staatlichen Ausbildungsstätten nur bedingt nachvollziehen. Bei der Diakonie Rosenheim werden die Weiterbildungskurse für Quereinsteiger erstens angeboten. Zweitens werden deren Absolventinnen dann auch in den Kitas der Diakonie angestellt. Dexheimer sieht eine sozialpolitische Komponente in der ganzen Diskussion: Wolle man perfekt ausgebildete Kräfte, die jedoch nur wenige Kinder betreuen können? Oder lieber Betreuung für möglichst viele bieten und dafür unter Umständen Abstriche bei der Qualifikation in Kauf nehmen?
Wenn die Ausbildung weiterhin nur über die klassischen Ausbildungsstätten geleistet werden würde, wäre die Folge laut Dexheimer: geschlossene Kitas. Denn es fehle an allen Ecken und Enden an Personal. Er als Vorstand der Diakonie Rosenheim habe aber eine gesellschaftliche Aufgabe. Es gebe so viele Familien, die aus unterschiedlichsten Gründen dringend auf Kinderbetreuung angewiesen sind. Für diese Familien fühlt sich Dexheimer mitverantwortlich. Er will für sie Betreuungsplätze anbieten können. Allein über die klassische Ausbildung des Kita-Personals sei das aber derzeit nicht mehr möglich.
Nur ein Baustein von vielen gegen den Personalmangel
Barbara Grandl hat noch Kontakt zu den anderen Quereinsteigerinnen, die mit ihr die Weiterbildung zur Ergänzungskraft gemacht haben. Alles Frauen, die die Entscheidung zur Umschulung ganz bewusst getroffen haben, erzählt Grandl. Trotz teils finanzieller Einbußen. Die Kritik der staatlichen Ausbildungsstätten trifft sie. Ihr sei es ein Anliegen, miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten. Der Weiterbildungskurs sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Baustein von mehreren. Sie würde sich wünschen, dass alle zusammenhelfen, um dem Personalmangel entgegenzuwirken.
Mithelfen würden gerne auch die staatlichen Ausbildungsstätten, betont beispielsweise Timo Meister immer wieder. Sie wünschen sich dringend eine Überarbeitung der Weiterbildung für Quereinsteiger. Und: Sie, als Fachakademien, würden sich dabei gerne einbringen. Denn ihre Expertise – das ist ein weiterer ihrer Kritikpunkte – wurde bisher überhaupt nicht berücksichtigt.
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