Die Hochspannungsleitung von Ellwangen nach Nördlingen ist eine Hauptschlagader für die Stromversorgung im Nördlinger Ries
Bildrechte: BR/Johannes Hofelich
Videobeitrag

Das Genehmigungsverfahren für den Ausbau der Hochspannungsleitung von Ellwangen nach Nördlingen hat sieben Jahre gedauert.

Videobeitrag
>

Zu viel Photovoltaik: Bayerisches Stromnetz am Limit

Zu viel Photovoltaik: Bayerisches Stromnetz am Limit

Das regionale Stromnetz in Bayern ist vielerorts an seiner Kapazitätsgrenze. Der Grund: der große Zubau an Photovoltaikanlagen. Im Nördlinger Ries können deshalb schon mittelgroße Photovoltaik-Anlagen nicht mehr ans Netz gehen.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

"Ich glaub, mir haut's den Vogel raus!" Das sei seine erste Reaktion gewesen, sagt Axel Güthner. Der Chef eines Eisen- und Sanitärgroßhandels wollte auf einem Hallendach seiner Firma in Oettingen im Landkreis Donau-Ries eine Photovoltaikanlage installieren – mit einer Leistung von 300 kW. Eine mittelgroße Anlage, heutzutage nichts Ungewöhnliches. Doch von Netze ODR, dem Netzbetreiber im Nördlinger Ries, gab es eine Absage.

Die geplante Photovoltaikanlage könne nicht ans Stromnetz angeschlossen werden. Der Grund: Das Stromnetz in der Region ist ausgelastet. Die kleinen Anlagen auf Dächern von Privathäusern könnten zwar noch ans Netz gehen, aber schon etwas größere Anlagen nicht mehr, heißt es bei dem Netzbetreiber.

  • Zum Artikel: Wenn überschüssiger Strom nicht gespeichert werden darf

Strom dort produzieren, wo er gebraucht wird

"Wie sollen wir da die Energiewende schaffen?", fragt sich Unternehmer Axel Güthner. Seiner Meinung nach soll Strom dort produziert werden, wo er gebraucht wird. Zuerst auf den Dächern, bevor es in die Fläche geht. Einen Großteil des Stroms seiner geplanten Photovoltaikanlage hätte er selbst verbraucht, den Rest wollte er ins Netz einspeisen.

Um den Solarstrom aufzunehmen, müsste das regionale Stromnetz in Bayern schneller ausgebaut werden. Denn bisher kann der Netzausbau nicht mit dem Zuwachs an Photovoltaikanlagen mithalten. Das Nördlinger Ries steht dabei stellvertretend für ein bald flächendeckendes Problem.

"Es kommt bayernweit mittlerweile zu Netzengpässen. Wir können die Anlagen letztendlich nicht so schnell ans Netz nehmen, wie sich das die Anlagenbetreiber wünschen", sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) dem BR. Betroffen sei vor allem der ländliche Raum, wo die Zuwachsraten am größten sind.

Vor den Netzbetreibern liegen "gewaltige Aufgaben"

Mehrere bayerische Netzbetreiber haben dem BR die Situation bestätigt. Von der N-ergie Netze GmbH aus Nürnberg heißt es: Die Kapazitäten im Stromnetz des Unternehmens seien bei viel Sonnenschein "weitgehend ausgereizt". In verschiedenen Regionen bestünden Engpässe für die Aufnahme von regenerativ erzeugtem Strom.

Der schwäbische Netzbetreiber LEW Verteilnetz sieht sich mit Blick auf die Zukunft vor "gewaltigen Aufgaben". Denn es braucht noch viel mehr Photovoltaik: Das Dreifache von dem, was bisher am Netz ist, um die Ziele der Klimapolitik zu erreichen, teilt das Unternehmen mit. Dafür blieben noch sieben Jahre Zeit.

Genehmigung für Netzausbau dauerte sieben Jahre

Sieben Jahre – das ist auch die Zahl, die bei Netze ODR im Nördlinger Ries immer wieder fällt, aber in einem anderen Zusammenhang. Sieben Jahre hat das Genehmigungsverfahren für den Ausbau der regionalen Hochspannungsleitung von Ellwangen im benachbarten Baden-Württemberg nach Nördlingen gedauert, sagt Sebastian Maier. Er ist technischer Vorstand bei dem Energieunternehmen EnBW ODR, zu dem auch der Netzbetreiber Netze ODR gehört. Die Leitung zu verstärken, wäre Teil der Lösung für die geplante Photovoltaikanlage von Unternehmer Axel Güthner in Oettingen. Denn damit könnte wieder mehr Strom aus dem Ries in die großen Verteilnetze fließen.

In diesem Fall wäre der Netzausbau - für den hier die Behörden in Baden-Württemberg zuständig sind - also sogar verhältnismäßig einfach. Denn auf den Masten, die schon seit Jahrzehnten im Nördlinger Ries stehen, ist noch Platz. Es müssen nur weitere Leitungsseile auf die Masten gelegt werden. Zuletzt habe das zuständige Schwesterunternehmen Netze BW aber allein zweieinhalb Jahre auf einen Termin beim Oberlandesgericht Mannheim gewartet, um den Einspruch einer Bürgerinitiative zu behandeln. "Der Termin hat dann eine Stunde gedauert", sagt Sebastian Maier. Der Einspruch sei abgewiesen worden.

Karte: Aufnahmekapazität des Strom-Verteilnetzes in Bayern

Bildrechte: Bayerisches Wirtschaftsministerium / BR
Bildbeitrag

In einigen Regionen Bayerns ist die Aufnahmekapazität des Strom-Verteilnetzes für neue Solarparks inzwischen beschränkt.

Netzausbau mit "veralteter Technik"

In rund zwei Jahren soll die Hochspannungsleitung ins Nördlinger Ries nun ausgebaut sein. Aber schon vor Beginn der Bauarbeiten ist das Vorhaben veraltet. EnBW-ODR-Vorstand Sebastian Maier erklärt es so: Beim Planungsstart vor sieben Jahren sei der Stand der Technik noch ein anderer gewesen.

"Wir würden heute nicht mehr im Einleiter-System bauen, sondern im Doppelleitersystem, also zwei Seile nebeneinander, und könnten so die doppelte Leistung übertragen", sagt Maier. Dafür müsste man aber mit dem Genehmigungsverfahren wieder von vorne beginnen. Maier fürchtet, dass das wieder sieben Jahre dauern könnte. "Das heißt, ich baue jetzt mit der veralteten Technik aus."

Bayerische Staatsregierung schafft 100 neue Stellen

Auch das bayerische Wirtschaftsministerium beklagt lange Genehmigungsverfahren. So dauere der Bau eines Umspannwerkes derzeit fast dreieinhalb Jahre. Das Ministerium teilt dem BR mit, dass die Staatsregierung 100 neue Stellen geschaffen habe, um die Genehmigungsprozesse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen.

Ob das reicht? Sebastian Maier von EnBW ODR fordert einen Turbo: "Wir müssen weg von einer 'Geschwindigkeit Bürokratie' und hin zu einer 'Macher-Geschwindigkeit'." Die Dauer der Genehmigungsverfahren müsse sich halbieren.

Netzbetreiber werden mit Anträgen für Photovoltaik-Anlagen überhäuft

Wie eng der Flaschenhals Netzausbau schon ist, zeigt eine Karte im Energieatlas Bayern. Dort ist ein großer Teil der regionalen Stromnetze orange statt grün eingefärbt. Das heißt: Dort ist das Netz schon an seiner Kapazitätsgrenze.

Dabei schießen die Anfragen für neue Photovoltaikanlagen gerade in die Höhe. Der größte regionale Verteilnetzbetreiber in Bayern, Bayernwerk Netz aus Bayreuth, teilt dem BR mit, dass die durchschnittliche Anzahl von Anfragen an das Unternehmen allein von 2021 auf 2022 von rund 3.000 pro Monat auf rund 6.000 gestiegen sei. Neben den Genehmigungsverfahren nennen Wirtschaftsministerium und Netzbetreiber auch Fachkräftemangel und Materialengpässe als Gründe für den schleppenden Netzausbau.

Neben dem Netzausbau braucht es Stromspeicher

Doch allein mit mehr Stromleitungen funktioniert die Energiewende nicht, sagt Detlef Fischer vom Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. In Bayern sei schon jetzt so viel Photovoltaik ans Netz angeschlossen, dass im Sommer an sonnigen Tagen um die Mittagszeit mehr Solarstrom produziert, als in ganz Bayern verbraucht werde.

Deshalb brauche es viele tausend Batteriespeicher. So sieht es auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Erst vergangene Woche hat er die beiden größten Energiespeicher Bayerns in Mittel- und Unterfranken in Betrieb genommen. Mehrere Zehntausend Haushalte können damit für eine Stunde mit Strom versorgt werden.

Solarstrom aus dem Sommer für den Winter speichern

Doch auch wenn jetzt viele Stromspeicher gebaut würden, "damit ist immer noch nicht das Problem gelöst, dass wir den Photovoltaikstrom, der uns im Sommer aus den Ohren kommt, irgendwie in den Winter bringen", sagt Detlef Fischer vom VBEW. Nützen könnte es, den Strom in Wasserstoff umzuwandeln. Es müsse eine Wasserstoff-Industrie aufgebaut werden, sagt Fischer.

Für Unternehmer Axel Güthner aus Oettingen zeichnet sich unterdessen eine pragmatische Lösung ab. Er könnte seine geplante Photovoltaikanlage auf das Hallendach bauen, wenn der Netzbetreiber die Anlage bei viel Sonnenschein vom Netz nehmen darf, ohne dafür – wie sonst üblich – einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Für den Unternehmer wäre das okay. Er will auch seinen Mitarbeitern anbieten, am Wochenende kostenlos ihre E-Autos zu laden, damit möglichst wenig Strom vergeudet wird.

  • Zum Artikel: Hohe Energiepreise: Was Experten von der Regierung fordern

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!