19. Februar 2020: Um 21.55 Uhr steuert Tobias R. auf zwei Lokale am Hanauer Heumarkt zu, holt seine zwei mitgebrachten Schusswaffen hervor und beginnt unvermittelt, auf Anwesende zu schießen. Laut Ermittlungen der Bundesanwaltschaft geht der Attentäter dabei strategisch und planvoll vor und wählt Opfer mit augenscheinlichem Migrationshintergrund aus. An dem Abend sterben in der hessischen Stadt neun Menschen innerhalb von zwölf Minuten. Nach der Tat erschießt Tobias R. in seinem Elternhaus seine Mutter und nimmt sich anschließend selbst das Leben.
Wahnvorstellungen und rechtsextreme Ideologie wirkten zusammen
Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin sterben in dieser Nacht durch die Kugeln des Täters.
Tobias R. war das erste Mal 2001 wegen wahnhaften Vorstellungen aktenkundig geworden, suchte Kontakte zu ultrarechten Gruppierungen, nahm an Schießtrainings in Schützenvereinen teil – und besaß als Mitglied im Schützenverein legal Waffen. Ein Psychiater stellte später fest, dass die schizophrene Wahnvorstellung von R. und seine rechtsextreme Ideologie in dem Fall zusammenwirkten.
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Anschlag war "Ergebnis rechter Hetze"
"Ihre Namen sollen erinnern und mahnen, den rassistischen Normalzustand im Alltag, in den Behörden, den Sicherheitsapparaten und überall zu beenden. Der rassistische Anschlag war auch Ergebnis der rechten Hetze von Politikern, Parteien und Medien. Behörden und Sicherheitsapparat haben ihn durch ihre strukturelle Inkompetenz und Ignoranz weder verhindert noch aufgeklärt", bilanziert die "Initiative 19. Februar Hanau" anlässlich des zweiten Jahrestages. Angehörige der Opfer und deren Freunde haben sich zur Initiative zusammengeschlossen, die eine lückenlose Aufklärung und Konsequenzen aus der Tat fordert.
Untersuchungsausschuss befasst sich mit Notausgang
Im Juli des vergangenen Jahres begann ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag seine Arbeit. Dieser geht vor allem der Frage nach, ob es vor, während oder nach der Tat zu einem Behördenversagen gekommen ist. Aktuell wird über einen möglicherweise verschlossenen Notausgang in einem der Tatorte, der "Arena Bar" diskutiert. Er soll zur Tatzeit verriegelt gewesen sein, sodass Gäste nicht vor dem Attentäter fliehen konnten. Ein Video einer Überwachungskamera zeigt, wie ein Gast kurz vor dem Attentat vergeblich versuchte, eine Tür zu öffnen. Überlebende und Hinterbliebene stellten wegen fahrlässiger Tötung eine Anzeige gegen Unbekannt.
"Wäre die Tür offen gewesen, hätten wir eine Chance gehabt"
Ihr Vorwurf: Der Notausgang sei in Absprache mit der Polizei absichtlich verschlossen gewesen, um Razzien zu erleichtern. Polizei und Bar-Betreiber widersprachen dieser Darstellung. Das Verfahren wurde unlängst eingestellt – mangels hinreichenden Tatverdachts. Eine Rechtsanwältin hat gegen die Verfahrens Einstellung Beschwerde eingelegt. "Wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre, hätten wir eine Chance gehabt, dem Täter zu entkommen", sagte Etris Hashemi, Bruder des ermordeten Said Nesar Hashemi und Überlebender des Anschlags im vergangenen Dezember im Hessischen Landtag.
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Kritik an Einstellung der Ermittlungen zu Mitwissern
Laut Bundesanwaltschaft hatte der Attentäter von Hanau keine Mitwisser oder Gehilfen – ein entsprechendes Ermittlungsverfahren stellte Karlsruhe ein. Hinterbliebene und Überlebende überzeugte das nicht. Sie halten dagegen, dass die Rolle des Vaters von Tobias R. für "nicht ausermittelt" sei, den sie wegen Beihilfe zum Mord oder Nichtanzeige geplanter Straftaten angezeigt hatten. Obwohl Vater und Sohn laut Bundesanwaltschaft ein "in erheblichem Umfang übereinstimmendes Weltbild mit extremistischen und verschwörungstheoretischen Tendenzen" hatten, würde dieses jedoch weder eine "Einflussnahme eine Teilnahme oder Mitwisserschaft" begründen, teilte die Bundesanwaltschaft mit. "Die Ankündigung des Generalbundesanwalts die Akten zu Hanau zu schließen, wird uns nicht aufhalten weiter für lückenlose Aufklärung und Konsequenzen zu kämpfen", teilte die Initiative unlängst mit.
Hinterbliebene fordern weitere Schritte
Vor wenigen Tagen besichtigte Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) die Tatorte in Hanau und besuchte mit der "Bildungsinitiative Ferhat Unvar" und der "Initiative 19. Februar Hanau" zwei der Gruppen, die sich nach dem Attentat gegründet haben. Die Tat habe laut Spiegel gezeigt, dass die Gesellschaft sehr wachsam sein müsse. Ihr zufolge sei Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland "nicht nur erschreckend lebendig", sondern nehme zu. Daher sei es umso wichtiger, "dass wir diejenigen unterstützen, die sich der Menschenfeindlichkeit entgegenstellen." Auch die "Initiative 19. Februar Hanau" fordert weitere Schritte: "Damit wir keine Angst mehr haben müssen, muss es politische Konsequenzen geben. Rassismus, egal in welcher Form, darf nicht mehr geduldet, verharmlost oder ignoriert werden.
Innenministerin will Rechtsextremen "Waffen entziehen"
Auch der Bundestag befasste sich kurz vor dem zweiten Jahrestag des rassistischen Anschlags in einer Aktuellen Stunde mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in Bezug auf das Hanau-Attentat: "Der Täter ermordete neun Menschen, weil sie eine Einwanderungsgeschichte haben. In seinem mörderischen Rassismus, seinem fanatischen Hass und Verschwörungsdenken erklärte er sie zu "Fremden". Das waren sie aber nicht. Sie waren Teil unserer Gesellschaft. Daran dürfen wir als Staat nicht den geringsten Zweifel lassen."
Noch vor Ostern will die Innenministerin einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Darin geht es unter anderem um die Verschärfung des Waffenrechts. "Wir werden ihnen sehr konsequent die Waffen entziehen", sagte sie im Bundestag. Dass es klaffende Lücken im System gibt, zeigte der Anschlag von Hanau. Trotz amtsbekannter Wahnvorstellungen konnte der rechtsextreme Attentäter Tobias R. legal Waffen besitzen und damit regelmäßig trainieren.
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