Das neue Infektionsschutzgesetz hat die Hürde Bundesrat genommen und wurde anschließend von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet. Die Länder verzichteten im Bundesrat darauf, Einspruch gegen das Gesetz zu erheben und einen Vermittlungsausschuss anzurufen. Die Bedenken waren teilweise groß, doch wolle man das Gesetz im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung nicht weiter verzögern, so der Tenor. Bereits ab Samstag gelten die neuen Corona-Regeln. Allerdings ist vor dem Bundesverfassungsgericht ein Eilantrag gegen das Infektionsschutzgesetz eingegangen.
Ministerpräsidenten äußern vielfach Bedenken
In der Debatte äußerten die Vertreter der Länder Bedenken gegen das Gesetz. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hegte juristische und praktische Zweifel. Besonders kritisierte er die bundesweite Ausgangssperre und die auch daraus resultierende, nach seinen Worten, "fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung". Das Gesetz sei ein Kompromiss und nicht der Weisheit letzter Schluss. Dennoch sprach sich Bouffier gegen die Anrufung eines Vermittlungsausschusses aus – in der dritten Corona-Welle sei Eile geboten, um das Gesundheitssystem zu entlasten.
Weil: "Kein Meilenstein in der Pandemiebekämpfung"
"Das Gesetz ist kein Meilenstein in der Pandemiebekämpfung", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) unmittelbar vor der Sitzung dem TV-Sender Phoenix. Die Bundes-Notbremse biete eher neue Lockerungs-Spielräume für die Länder, als neue Restriktionen. Er halte das Gesetz nicht für schädlich, aber es als großen Wurf zu bezeichnen, sei nicht vertretbar.
Ein Beispiel seien die Schulen: "Im neuen Gesetz ist von 165 die Rede, wie auch immer dieser Wert zustande gekommen sein mag, ab dem Schulen in den Distanzunterricht gehen müssen. In Niedersachsen liegt dieser Wert bei 100, und wir wollen dabei auch zunächst einmal bleiben", stellt Weil klar. Auch Bayern bleibt vorerst bei der 100er-Inzidenz in dieser Frage.
"Wir können keinen Fortschritt für den Infektionsschutz erkennen", bekräftigte Weil während der Debatte. Der einzige Vorteil der Bundes-Notbremse sei die verbesserte Halbwertszeit der Maßnahmen im Vergleich zu den kurzlebigen Beschlüssen der Bund-Länder-Konferenzen.
Haseloff kritisiert Infektionsschutzgesetz als "Tiefpunkt"
Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) kritisierte die Kompetenzverlagerung in der Pandemiebekämpfung auf den Bund durch das Infektionsschutzgesetz scharf. "Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland", sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt in der Sondersitzung. Die Länderkammer berate ein Gesetz, "dessen Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend sind".
Zwar seien bei den Beratungen im Bundestag noch Korrekturen vorgenommen worden. "Doch drängt sich nunmehr noch deutlicher die Frage auf, worin der Mehrwert dieses Gesetzes für die Menschen in Deutschland liegt gegenüber der im vergangenen Jahr im Grundsatz bewährten Abstimmung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen."
Entschließungsanträge ohne Mehrheit
Unter anderem Schleswig-Holstein brachte einen Entschließungsantrag ein, so können Bundesländer an die anderen appellieren, gemeinsam ihr Missfallen und ihre Bedenken auszudrücken und die Bundesregierung zu Nachbesserungen aufzufordern. Bernd Buchholz (FDP), Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, sagte, sein Land sei differenziert und flexibel vorgegangen: "Es war möglich, wenn man konsequent gehandelt hat." Die Bundes-Notbremse sei jetzt der Holzhammer, "wir brauchen das Gesetz nicht" und der Bundesrat dürfe es nicht kommentarlos passieren lassen. Der Entschließungsantrag erreichte keine Mehrheit.
Spahn wirbt für Infektionsschutzgesetz
Als letzter Redner plädierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür, auch die Erfolge der Pandemiebekämpfung zu sehen. "Wir müssen uns wieder ins Gelingen verlieben", so Spahn. Als Beispiel nannte der Minister die Corona-Warn-App und die Teststrategie. Spahn kritisierte, dass bei Beratungen zwischen Bund und Ländern, Beratungsdetails quasi per "Ticker" an die Presse durchgestochen würden.
Spahn betonte die Notwendigkeit einer weiteren Kontakteinschränkung. Man könne nicht gegen die dritte Welle der Corona-Pandemie testen und auch nicht impfen, mahnte der CDU-Politiker im Bundesrat. Auch eine höhere Impfquote in Deutschland würde die dritte Welle nicht brechen, warb der Minister in der Länderkammer für das neue Infektionsschutzgesetz.
Eilantrag gegen Bundes-Notbremse beim BVerfG eingegangen
Noch bevor die Politik das neue Infektionsschutzgesetz überhaupt beschlossen hat, ist schon der erste Eilantrag dagegen beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Welche Erfolgsaussichten der Antrag eines Anwalts haben kann, vermochte ein Sprecher in Karlsruhe am Donnerstag aber nicht zu sagen.
Rechtsanwalt Claus Pinkerneil mit Kanzleien in Berlin und München teilte mit, Verfassungsbeschwerde eingelegt zu haben. Ihm gehe es vor allem darum, dass das Gesetz die Maßnahmen weitestgehend (verwaltungs)gerichtlicher Kontrolle entziehe, dass der Inzidenzwert als alleiniger Maßstab ungeeignet sei und dass insbesondere Ausgangsbeschränkungen unverhältnismäßig seien.
Freie Wähler mit Verfassungsbeschwerde
Und dem Gesetz droht weiteres Ungemach. Zu "pauschal, zu undifferenziert und zu radikal" ist es den Freien Wählern. Die Partei geht gleich mit einer doppelten Verfassungsbeschwerde gegen die Bundes-Notbremse vor. Man wolle damit die "Freiheitsrechte" der Bürger verteidigen, sagte der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger bei der Vorstellung der ersten Klageschrift am Donnerstag in Berlin. Damit wenden sich die Freien Wähler zunächst gegen die bundeseinheitliche nächtliche Ausgangssperre in Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100. Mit einer zweiten Verfassungsbeschwerde wollen sie dann auch die geplante Notbremsen-Regel für den Handel zu Fall bringen.
- Lesen Sie hier: Klage gegen Bundes-Notbremse - Aiwangers schöne Blumen in Berlin
Auch die FDP-Spitze hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Corona-Notbremse bekräftigt und strebt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an. Zweifel an der Wirksamkeit von Ausgangssperren seien ein Argument für die Befürchtung, dass diese unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig seien, schrieb FDP-Chef Christian Lindner am Donnerstag auf Twitter. "Das muss nun in Karlsruhe beurteilt werden, damit alle Rechtssicherheit haben", forderte er.
Unter Verwendung von Agentur-Material.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!