Noch ist sie Bundesaußenministerin. Doch sobald eine neue Regierung steht, wird Annalena Baerbock eine normale Bundestagsabgeordnete sein. In einem Brief erklärt sie, sich für "kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben". Das Schreiben liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor.
Baerbock erklärt den Verzicht mit ihrer Familie. Die "intensiven Jahre" als Außenministerin hätten einen "privaten Preis". Deshalb wolle sie sich "aus dem grellen Scheinwerferlicht" zurückziehen. "Erst einmal", schreibt Baerbock – und lässt sich damit die Hintertür offen für ein späteres politisches Comeback.
Baerbock begründet Verzicht mit Familie
Baerbock war als Bundesaußenministerin viel unterwegs. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine oder dem Hamas-Überfall auf Israel wollte sie vor Ort sein, um persönliche Kontakte zu knüpfen. Bei solchen Auslandsreisen endete das Programm selten vor dem späten Abend. Wenn die Außenministerin danach noch im kleinen Kreis berichtete, fielen Mitarbeitern und Journalisten schon mal die Augen zu. Baerbock wirkte meistens hellwach.
In solche Runden ließ die Grünen-Politikerin erkennen, wie schwer es ihr fällt, wenig Zeit für ihre beiden Töchter zu haben. Im vergangenen November macht sie die Trennung von ihrem Mann öffentlich. Das meint Baerbock in ihrem Brief mit dem "privaten Preis".
Kein Machtkampf um Spitzenämter
Hinter Baerbocks Verzicht steckt aber noch mehr. Schließlich hatte die Außenministerin durchblicken lassen, weitermachen zu sollen. Sie wäre also bereit gewesen, den Preis zu zahlen. Doch die Grünen werden im neuen Bundestag in der Opposition sein. Viele Spitzenämter gibt es nicht mehr zu vergeben. Die Bundestagsfraktion schrumpft von 118 Abgeordnete auf 85.
Die bisherigen Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann wollen weitermachen. Dröge gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels als gesetzt. Auch Haßelmann genießt über ihren Realo-Flügel hinaus hohes Ansehen. Eine Kandidatur gegen sie wäre für Baerbock ein Risiko gewesen. Die Außenministerin stellt sich in ihrem Brief hinter Dröge und Haßelmann und spricht von "zwei starken Frauen" an der Spitze der Fraktion.
Baerbocks Verzicht stößt in der bayerischen Landesgruppe der Grünen auf Respekt. Sprecherin Jamila Schäfer würdigt, dass die Außenministerin den europäischen Zusammenhalt und eine global gerechtere Welt vorangetrieben habe. "Ich kann sehr gut verstehen, dass sie nach diesen intensiven Jahren mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen will und bin sehr froh, dass sie unserer Partei trotzdem mit ihrer Expertise erhalten bleibt", so Schäfer zu BR24.
Kritik an Baerbock aus linkem Flügel
Die Noch-Außenministerin ist in der Grünen-Fraktion aber nicht unumstritten. Vor allem dem linken Parteiflügel und der Parteijugend war ihre Kompromissbereitschaft in der Ampel zu groß – vor allem mit Blick auf die Asylpolitik.
Mit Baerbocks Verzicht auf ein Spitzenamt könnte für die Grünen ein neues Kapitel beginnen. Zusammen mit Robert Habeck steht die 44-Jährige für einen pragmatischen Mittekurs ihrer Partei. Unter den beiden wuchs die Partei um fast 100.000 Mitglieder. Die Grünen landeten zum zweiten Mal in ihrer Geschichte in der Bundesregierung.
Nach dem Wahlergebnis von 11,6 Prozent und dem Gang in die Opposition diskutieren die Grünen intern, ob dieser Kurs noch richtig ist. Für Anfang April ist ein kleiner Parteitag geplant. Den Frust könnte dann vor allem Parteichefin Franziska Brantner abbekommen, die als Vertraute des Grünen-Kanzlerkandidaten Habecks galt.
Unterstützen die Grünen Sondervermögen?
Davor steht für die Grünen eine weitere Kursbestimmung an: Stützen sie Schwarz-Rot? Union und SPD brauchen im noch amtierenden Bundestag die Stimmen der Grünen, um das Grundgesetz zu ändern und ein Sondervermögen für Infrastruktur aufzulegen und die Regeln der Schuldenbremse für Verteidigung zu lockern.
Inhaltlich rennen Union und SPD damit offenen Türen ein bei den Grünen. Sie fordern schon lange, dass der Staat mehr Schulden macht, um investieren zu können. Die Union hatte das im Wahlkampf aber abgelehnt. Jetzt zeigen sich die Grünen offen für Gespräche. Ihr Ziel: Ein Teil der neuen Milliarden-Schulden soll in den Klimaschutz fließen.
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